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Schlag gegen al Kaida Ein Sieg für Joe Biden – mit einer bitteren Erkenntnis

US-Präsident Joe Biden
US-Präsident Joe Biden: "Jetzt wurde der Gerechtigkeit Genüge getan"
© JIM WATSON / AFP
"Diesen Terroristenführer gibt es nicht mehr": Die Tötung von Al-Kaida-Chef Aiman al Sawahiri ist ein Sieg für US-Präsident Joe Biden. Allerdings schlägt der Coup auch ein als abgeschlossen geglaubtes Kapitel wieder auf.

Barack Obama hatte sie, ebenso Donald Trump. Nun konnte auch der 46. Präsident der Vereinigten Staaten eine Erfolgsmeldung im Kampf gegen den Terror verkünden: "Diesen Terroristenführer gibt es nicht mehr", gab Joe Biden am Montagabend (Ortszeit) bekannt, der Al-Kaida-Chef Aiman al Sawahiri sei am Wochenende in der afghanischen Hauptstadt Kabul bei einem Drohnenangriff getötet worden (lesen Sie hier mehr über die Hintergründe). "Jetzt wurde der Gerechtigkeit Genüge getan", so Biden.

Dem Präsidenten kommt die erfolgreiche Operation gelegen. Angesichts innenpolitischer Probleme, wie den steigenden Lebenshaltungskosten und Öl-Preisen infolge des Ukraine-Krieges, verharren die Zustimmungswerte für Biden in der Bevölkerung bei zurzeit überschaubaren 39,9 Prozent, innerhalb der US-Demokraten lag der Wert zuletzt sogar noch niedriger. Bei den Kongresswahlen in drei Monaten droht seiner Partei aktuellen Umfragen zufolge eine Niederlage gegen die Republikaner. 

Die Tötung al Sawahiris könnte Biden nun einen bedeutsamen Schub in der Wählergunst bescheren, so wie es schon bei seinen Amtsvorgängern der Fall gewesen ist. Seinerzeit schossen Obamas Zustimmungswerte in die Höhe, nachdem der damalige Al-Kaida-Anführer Osama bin Laden, Kopf der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA und Vorgänger des nun getöteten al Sawahiri, von einer US-Spezialeinheit zur Strecke gebracht wurde. Auch Donald Trumps Ansehen stieg nach dem Schlag gegen IS-Anführer Abu Bakr al Baghdadi.

Joe Bidens Versprechen

Präsident Biden will den erfolgreichen Einsatz daher auch als ein eingelöstes Versprechen verstanden wissen – und als Beleg dafür, dass es auch ohne Tausende US-Soldaten auf afghanischem Boden möglich ist, Amerika vor Terroristen zu schützen. 

Die USA hatten vor knapp einem Jahr alle Truppen aus Afghanistan abgezogen und damit den internationalen Militäreinsatz in dem Land nach fast 20 Jahren beendet. Kurz zuvor hatten die Taliban die Macht in Kabul übernommen. Ihr rasanter Eroberungsfeldzug erschwerte den internationalen Truppenabzug, das damalige Chaos wurde auch Biden zugeschrieben, der angesichts des Debakels schwer unter Druck geriet und seinerzeit versprach, den Kampf gegen den Terrorismus in der Region nicht aufzugeben.

Vor diesem Hintergrund verband Biden den Schlag gegen al Sawahiri mit einer Botschaft an die Terrorgruppe: "Egal, wie lange es dauert, egal, wo ihr euch versteckt: Wenn ihr eine Bedrohung für unser Volk seid, werden die Vereinigten Staaten euch finden und euch ausschalten."

Allerdings macht der Coup auch ein abgeschlossen geglaubtes Kapitel wieder auf. US-Erkenntnissen zufolge hätten Mitglieder der Taliban-Führung gewusst, dass sich der Al-Kaida-Chef in der afghanischen Hauptstadt aufhielt – und damit klar gegen Vereinbarungen mit den USA verstoßen.

Im Februar 2020 unterzeichnete die US-Regierung unter Präsident Trump in Katar ein Abkommen mit den militant-islamistischen Taliban, in dem der vollständige Abzug der US-Truppen zugesagt wurde. Der amerikanische Rückzug folgte der Prämisse, dass die Taliban dafür Sorge tragen, dass Afghanistan zu keinem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Taliban hatten unter anderem einen Bruch mit al Kaida zugesagt.

Ist diese Vereinbarung, die Trump geschlossen und Biden umgesetzt hat, nun Makulatur? "Es fällt mir wirklich schwer zu glauben, dass sich al Sawahiri in Kabul aufhielt, ohne dass zumindest ein Teil der Taliban-Führung davon Kenntnis hatte", sagte der frühere CIA-Direktor Michael Morell am Montag zu CBS News, habe er dort doch "ziemlich offen" leben können und offenbar nicht versucht, sich zu verstecken.

So erfolgte die Tötung offenbar nach monatelanger Beschattung durch die US-Geheimdienste, die al Sawahiri schon Anfang des Jahres in der afghanischen Hauptstadt aufgespürt haben sollen und dann Monate damit verbracht hätten, seine Identität zu verifizieren. Das berichtete die "New York Times" unter Berufung auf US-Offizielle. Schließlich habe man ihn in einem Unterschlupf in Kabul aufgespürt. Dort sei er am frühen Sonntagmorgen Kabuler Zeit getötet worden, als er auf den Balkon des Hauses getreten sei.

Was, wenn…?

Sollten die USA die Vorstellung gehabt haben, das Kapitel Afghanistan nach dem Truppenabzug fortan im Rückspiegel betrachten zu können, so könnte sich diese Annahme nun als Trugschluss herausstellen. Denn was, wenn das Land nicht nur Zufluchtsort für den getöteten Al-Kaida-Chef war – sondern auch für weitere Terroristen mit bösen Absichten gegenüber den USA?

"Gehen Sie 21 Jahre zurück, in die Tage nach dem 11. September", fordert das US-Portal "Politico" seine Leserinnen und Leser in einem Debattenbeitrag auf. Seinerzeit habe Präsident George W. Bush von Afghanistan verlangt, bin Laden und andere Führer von al Kaida auszuliefern. "Als dies nicht der Fall war, starteten die USA eine Invasion, die die Taliban-Herrschaft schnell beendete und zum ersten Kapitel einer zwei Jahrzehnte andauernden Trillionen-Dollar-Kampagne wurde, die letztes Jahr im Chaos endete." Der Autor des Textes fragt: "Wenn die Taliban ihr Land für eine Schlüsselfigur bei den Anschlägen vom 11. September geöffnet haben, was sagt uns das darüber, wer sonst noch in Afghanistan willkommen geheißen wird?"

Präsident Biden will nach eigenen Worten jedenfalls keine Zufluchtsstätte für Terroristen dulden. In seiner Ansprache betonte er, die USA würden "nie wieder zulassen, dass Afghanistan zu einem Zufluchtsort für Terroristen wird, denn er (al Sawahiri) ist weg und wir werden dafür sorgen, dass nichts weiter passiert." 

Für die Republikaner ist hingegen klar: Der amerikanische Rückzug unter Bidens Kommando hat die USA gefährdet. So spiegele die Tatsache, dass der Al-Kaida-Chef in Afghanistan war, das "völlige Versagen der Politik der Biden-Regierung gegenüber diesem Land wider", teilte  Senator James M. Inhofe aus Oklahoma in einer Stellungnahme aus. Für den Abgeordneten Michael McCaul aus Texas sei der Luftschlag eine "Erinnerung daran, dass das amerikanische Volk von Präsident Biden belogen wurde." Die Terrorgruppe sei nicht aus Afghanistan "verschwunden", wie Biden glauben machen wollte, wurde McCaul von der "New York Times" zitiert.

Für Präsident Biden ist der Luftschlag ein Erfolg, der jedoch unangenehme Fragen aufwirft. Zum Beispiel: Ist das Kapitel Afghanistan wirklich geschlossen?

Mit Material der Nachrichtenagentur DPA

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