Zum Filmstart von "Love Life - Liebe trifft Leben" Sex und Krebs

Der Reflex des Gesunden ist das Sich-Abwenden. Das versteht Carice van Houten. Doch dieser Film ist anders, sagt die Hollywoodschauspielerin. "Love Life - Liebe trifft Leben" fängt da an, wo andere Krebs-Geschichten aufhören.

"Ich wollte nichts davon wissen! Eine junge Frau mit Krebs? Nein danke!" Carice van Houten sitzt entspannt und aufgeregt zugleich in einem kleinen Sessel in einem kleinen Apartment, durch dessen kleines Fenster der Lärm des Filmfestivals von Cannes hereindringt. Lebensfreude, pumpende Bässe aus Cabriolets, lautes Lachen. "Aber als ich dann das Skript gelesen habe, habe ich gemerkt, dass es nicht nur ein Film über Krebs ist, sondern eine Liebesgeschichte", sagt die Schauspielerin, die in "Operation Walküre" neben Tom Cruise und in "Black Book" neben Sebastian Koch gespielt hat. "Es ist so spannend, wie wir darauf reagieren. Ich finde es gut, dass es endlich einen Film gibt, in dem man über Krebs lachen kann, aber auch weinen. Die Menschen hören überhaupt nicht mehr auf zu weinen. Bei der Premiere in Holland sah man überall zerlaufenes Make-Up. Auch bei mir, obwohl ich doch wusste: Das bin ich, die etwas spielt."

"Love Life - Liebe trifft Leben" heißt der Film, der van Houten und ihre Zuschauer emotional verdammt hart rannimmt, mitnimmt, umwirft und auch wieder hinstellt - wenn auch vielleicht woanders als vorher. Es ist die Adaption des internationalen Bestsellers "Mitten ins Gesicht" (niederländischer Originaltitel "Kommt eine Frau zum Arzt") von Ray Kluun. Der Film hat in den Niederlanden den erfolgreichsten Start aller Zeiten hingelegt. Und das liege an seinem Realismus und seiner Ehrlichkeit, sagt van Houten.

Weder Buch noch Film scheuen sich, die Dinge beim Namen zu nennen, die eine Krebserkrankung bedeutet. Und da ist weit mehr als Chemotherapie, Haarausfall und der Kampf mit der eigenen Sterblichkeit. Es geht um Sex, Job, Treue, Kinder, Einkaufen, Urlaub - den Alltag, der immer noch da ist, auch wenn die Krankheit, die in Deutschland jeden Tag im Durchschnitt fast 50 Frauen tötet, über eine Familie hereinbricht.

Leben bis zum Anschlag

Van Houten spielt Carmen, eine erfolgreiche, schöne, lebenshungrige Frau, die mit einem ebenso erfolgreichen, schönen, lebenshungrigen Mann verheiratet ist. Das strahlende Paar aus der Werberwelt von Amsterdam hat eine kleine Tochter, ihr Leben scheint perfekt und bis zum Anschlag aufgedreht. Dann wird Carmen krank. Und vor allem Lebemann Stijn (Barry Atsma) kann mit den Grenzen, die er in seinem Hedonismus doch zu vergessen sucht, nichts anfangen.

"Love Life" folgt mit einem zuweilen atemlosen Beat vor allem Stijn, der sich einfach nicht zurechtfinden kann in einer Welt, die eben doch nicht nur Party ist, sondern aus der auch Schläuche heraushängen, die Narben hat, wo Brüste waren, die manchmal reduziert ist auf die blanke Existenzangst. Er drogt sich zu, er geht fremd, verzweifelt sucht er nach Leben, weil er nichts so sehr fürchtet wie den Tod. Und der sitzt nun ausgerechnet in seinem Zuhause, in seiner geliebten Frau.

Die Rolle des Stijn mache diese Geschichte so besonders, sagt van Houten. "Wir lieben und hassen ihn, lieben und hassen ihn. Ich glaube, viele Menschen denken überhaupt nicht darüber nach, wie das ist, wenn du mit jemandem lebst, der Krebs hat. Das konfrontiert dich auch mit deiner eigenen Sterblichkeit. Und natürlich will man davor weglaufen. 'Scheiß auf dich und deinen Krebs', sagt Stijn einmal. Er will es nicht in seinem Leben haben! Es ist eine verdammt große Sache, sich dem auszuliefern."

Ohne Klischees, ohne Wertung

Stijn dabei zuzusehen, wie er Carmen betrügt, um dann um so verzweifelter zu ihr zurückzukehren, tut weh, aber wie van Houten sagt: Man entwickelt seltsamerweise Verständnis für ihn. "Love Life" versucht - und das ohne Klischees und ohne zu werten -, auch die dunkelsten emotionalen Ecken auszuleuchten, vor denen man nur zu gern die Augen schließt. "Meine größte Angst war, dass Leute sagen, so ist es nicht. Aber sie haben uns gedankt, fühlten sich getröstet, sagten, es sei gut, dass endlich über all das gesprochen wird."

In Zeiten des Krebses habe Liebe ihre eigenen Regeln, heißt es am Anfang des Film, der von Hollywoods Urschrei "Liebe überwindet alles" nicht weiter entfernt sein könnte. Deshalb geht er einem wohl auch so nahe.

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