Runde, schwarze Brille, straff gebundene Fliege, streng zurückgekämmtes Haar, meist eine Pfeife im Mund und immer superkorrekt in einen dunklen Anzug gekleidet: Le Corbusier war der erste, der derart gestylt durch die Gegend lief. Um 1920 war das. Ganz offenbar setzte er sich selbst in Szene, um unverwechselbar zu werden - und unsterblich. Später wurden schwarze Eulenbrille und Fliege zum Erkennungszeichen des gemeinen Architekten. Le Corbusier jedoch hat damit angefangen.
Corbu, wie seine Freunde ihn nannten, war auch der erste Architekt, der sich selbst wie eine Marke verkaufte. Einschließlich Markennamen. Eigentlich hieß er Charles-Edouard Jeanneret, aber seit den Zwanziger Jahren benutzte er nur noch den Namen seines Großvaters: Le Corbusier. Ohne Vornamen. Eine Marke eben. Später haben das viele gemacht, Madonna etwa oder Ronaldo. Le Corbusier war der erste.
Gut durchdachte Grundrisse mit veränderbaren Wänden
Er ist der Architekt der Moderne. Geliebt, bewundert - und umstritten wie kein anderer. Sein bekanntester Spruch: "Ein Haus ist eine Maschine zum Wohnen". Mit seiner Architektur wollte er die Gesellschaft revolutionieren und fit machen für die neue Zeit der Moderne. Kritiker nannten seine weißen Flachdachbauten "Araberhütten" und hielten seine Wolkenkratzer für die Pest. Für seine Bewunderer waren seine Häuser der Inbegriff der Moderne.
Aber was macht ihn eigentlich so modern? Und was so hassenswert? Gegen klare Formen kann man doch eigentlich nichts haben. Und auch nicht gegen gut durchdachte Grundrisse mit veränderbaren Wänden, viel Licht und Flachdächer mit Dachgarten. Auch heute noch klingen diese Forderungen Le Corbusiers gut und vernünftig.
Aber vielen war er einfach zu radikal. Er wollte keine Gemütlichkeit und nichts Kuscheliges. Das Wohnzeitschriften-Modewort "Cocooning" wäre ihm ein Graus gewesen. Alles musste kompakt und praktisch sein, am liebsten sollten die Menschen auch noch seine Möbel kaufen: Den würfelförmigen Sessel LC2 aus Stahl und Leder. Oder die mit Kuhfell bespannte Liege LC4. Natürlich stehen die Buchstaben LC für Le Corbusier. Eine Marke eben.
Manchmal baute er die Möbel auch gleich unverrückbar ein in seine Wohnungen. In der Stuttgarter Weißenhofsiedlung gibt es Häuser mit Klappbetten, die "wie in einem komfortablen Schlaf- und Salonwagen tagsüber in den Schränken verschwinden", so Le Corbusier. Bequem waren diese Liegen wohl nicht, aber praktisch und Platz sparend. Der Architekt erwartete von seinen Bauherren, dass sie ihre Häuser als Kunstwerke ansahen - mit allen Nachteilen.
Schöne, helle, praktische Wohnungen
Weil er nicht Architektur studiert, sondern auf einer Kunstschule gelernt hatte, gab es schon mal kleine oder auch größere Maleurs bei seinen Häusern. Die Bauherrin seiner supereleganten, weißen Villa Savoye bei Paris beschwerte sich: "Es regnet in den Flur, es regnet auf die Treppe, und die Garagenwand ist pitschnass. Schlimmer ist, dass es immer noch in mein Bad regnet. Bei schlechtem Wetter wird es geradezu überschwemmt, da das Wasser selbst durch das Oberlicht hereinströmt." Und resigniert schloss sie: "Sie werden sich damit abfinden müssen, dass dieses Haus einfach unbewohnbar ist."
Trotzdem lieben die meisten Nutzer von Corbusier-Bauten seine Architektur. Die Bewohner des 1958 gebauten Hochhauses in Berlin, nahe dem Olympiastadion, schwärmen von ihren schönen, hellen, praktischen Wohnungen, die sich über zwei Etagen erstrecken und viel Platz bieten, obwohl sie gar nicht so groß sind. Le Corbusier macht süchtig. Einmal hier eingezogen, will kaum noch einer raus. Ja, er nannte dieses Hochhaus "Wohnmaschine". Aber auch ein anderer Ausspruch stammt von ihm: "Ein Haus sollte das Schatzkästchen des Lebens sein. Eine Maschine zum Glück."
Kaum zu glauben, dass einer, der so romantische Worte findet, äußerst brutal war in seinen Ideen für die Idealstadt, skizziert in der "Charta von Athen". Riesige Hochhäuser - "vertikale Gartenstädte", wie er sagte - sollten auf Stelzen inmitten weiter Grünanlagen stehen. Er trennte in Wohnstädte, Bürostädte und Amüsierstädte. Die Kneipe um die Ecke war bei ihm nicht vorgesehen, genauso wenig wie ein Nebeneinander von Alt und Neu. Am liebsten hätte er die alten, gewachsenen Städte ermordet und überall neue Betonsiedlungen hingepflanzt. In Trabantenstädten wie dem Märkischen Viertel in Berlin kann man besichtigen, wie traurig und wie wenig menschlich das ausgesehen hätte.
Auch Paris wollte er auf diese Weise verändern. Ein Teil des rechten Seine-Ufers sollte für seine "Stadt für drei Millionen Einwohner" abgerissen werden. Neben Eiffelturm und Louvre hätten dann Hochhaustürme in den Himmel geragt. Als Le Corbusier zum ersten Mal nach New York kam, erklärte er den erstaunten Amerikanern: "Ihre Wolkenkratzer sind nicht hoch genug." Gigantomanie und Zerstörungswut warf man ihm deshalb vor. Und tatsächlich galt ihm Tradition wenig, die Sehnsucht nach Geborgenheit und Schönheit verachtete er.
Von Josephine Bakers Tanz inspiriert
Sogar eine eigene Maßeinheit erfand Le Corbusier: den "Modulor" Sie beruhte auf dem menschlichen Körper und dem "Goldenen Schnitt". Menschlich hieß allerdings bei ihm: Corbusier-Maß. Weil der Architekt selbst nicht besonders groß war, empfahl er grundsätzlich 2,26 Meter hohe Räume. Beim Berliner Hochhausbau gab es deshalb Stunk. Weil die deutschen Vorschriften des Sozialen Wohnungsbaus mindestens 2,50 Meter vorschrieben, wurde stillschweigend umgeplant. Corbusier war beleidigt und distanzierte sich von seinem Berliner Projekt.
Aber er hatte auch weiche Seiten, liebte die Frauen, trieb sich gern in den Kneipen am Montmartre und Montparnasse herum, zeichnete, malte. Und dann traf er Josephine Baker, auf dem Schiff von Buenos Aires nach Rio. Schön ist sie, schwarz, sexy. Und schon eine Berühmtheit als Nackttänzerin im Bananenröckchen. Er liebt sie. Sie singt für ihn. Er zeichnet sie nackt. Und findet, dass der supermoderne Tanz dieser grandiosen Frau seiner supermodernen Architektur ebenbürtig, vergleichbar ist. Ausgerechnet Le Corbusiers "unbewohnbare" Villa Savoye soll von Josephine Bakers Tanz inspiriert sein.
Nach und nach kam Le Corbusier ab von den strengen Formen. 1955 entwarf er sein vielleicht berühmtestes Gebäude, die Wallfahrtskapelle Ronchamp mit ihren einmalig schönen Rundungen. Sie erinnert an die ausgewaschenen Steine und Schneckenhäuser, die Corbu im Urlaub an seinem geliebten Cap Martin sammelte.
"Inbegriff des neuen Menschen"
Hier konnte er sich gehen lassen, hier war er nicht der Marken-Architekt, sondern ein Naturbursche. Braungebrannt, in Badehose und oft auch ohne sammelte er Muscheln und Steine. Hier erlaubte er sich Freiheiten, die in Paris für ihn unmöglich gewesen wären - und die sein strenges Auftreten als große Inszenierung enttarnen. Hier lief er im Fakirkostüm herum oder mit Kapitänsmütze, schmuste mit seiner Katze und mit seinem wuscheligen Hund. Hier bemalte er die Wände und zeichnete Sonnenuntergänge im orientalischen Stil. Und hier ertrank er schließlich im Alter von 78 Jahren, als er beim Schwimmen einen Herzinfarkt erlitt.
Als "Inbegriff des neuen Menschen" war er bejubelt worden, verliebt in den technischen Fortschritt und überzeugt davon, dass seine Architektur die Welt verbessern würde. Auch wenn einige seiner Ideen mittlerweile überholt sind: Le Corbusier ist immer noch einer der ganz Großen. Grade diskutierte die Unesco, ob sein Werk zum Weltkulturerbe erklärt werden sollte. Diesmal wurde er noch abgelehnt, aber bei der nächsten Runde hat er gute Chancen.
Ausstellung in Berlin, Martin-Gropius-Bau, 9. Juli bis 5. Oktober 2009