Eine Woche lang befand sich Dänemarks viertgrößte Stadt mit ca. 200.000 Einwohnern nur 35 Kilometer von Kopenhagen entfernt. Nach acht Tagen verwandelt sie sich wieder in die Kleinstadt Roskilde mit etwa 85.000 Einwohnern. Beim Roskilde Festival 2015 feierten und tanzten etwa 100.000 Besucher bei brütendem Sonnenschein, Staub und Musik. Hinzu kamen etwa 30.000 freiwillige Helfer und knapp 5.000 Journalisten, Musikindustrielle und Kreativwirtschaftler
Als deutsche Besucherin beim Roskilde Festival 2015 scheitert frau selbst im Schulterschluß mit allen internationalen Gästen an der 5 % Hürde - der weitaus größte Teil der feierwütigen Gemeinschaft kommt aus Dänemark selbst und den skandinavischen Nachbarn Schweden und Norwegen. Früher war das mal anders mit etwa 10% Deutschen unter den Besuchern. Doch auch wenn sich heute viele von recht teuren Ticketpreisen und einem Überangebot an Festivals von einer Anreise in den Norden abhalten lassen - wer es einmal nach Roskilde geschafft hat, wurde auch in diesem Jahr nicht enttäuscht, sondern mit Sonne und einem abwechslungsreichen Programm belohnt.
Es gab sie auch dieses Jahr, die internationalen Superstars: Paul McCartney, Muse, Pharrell Williams und Kendrick Lamar rockten wie schon viele grosse Stars vor ihnen die legendäre Orange-Stage.
Doch wie immer ging es bei dem traditionsreichen dänischen Nonprofit-Festival um weit mehr als nur die grossen Namen. Die 30.000 freiwilligen Helfer sorgten für einen reibungslosen Ablauf und schafften wie in jedem Jahr die Grundlage für eine ganz besondere Festival-Atmosphäre. 175 Künstler aus mehr als 30 Ländern luden in ihre musikalische Welt ein: urbane Künstler wie Nicki Minaj oder die Antwoord, Musiklegenden wie die Einstürzenden Neubauten und Songwriter wie Ryan Adams, Hall of Fame Mitglied Gretchen Peters oder Veronica Maggio. Und in der letzten Nacht – in diesem Jahr als gewöhnungsbedürftige Neuerung auf den Samstagabend vorgezogen – gaben fast 100 internationale Künstler unter dem Namen Africa Express ein fünfstündiges Abschlusskonzert. Dieses Projekt hatte im vergangenen Jahr von Roskilde eine Spende in Höhe von ca. 130.000 Euro für Bildungs- und Kulturarbeit in der afrikanischen Musikszene erhalten. Unter den Künstlern waren Amadou & Mariam, Batida, Laura Mvula, Fatoumata Diawara und die aufstrebenden Songhoy Blues aus Timbuktu. Damon Albarn – laut Programm die Speerspitze der Truppe – hatte nach fünf Stunden immer noch nicht genug und musste von der Bühne getragen werden.
Auf der jungen Roskilde Rising Bühne konnte man an drei Tagen 21 skandinavische Nachwuchsbands und ihr außerordentliches Talent bewundern. The Minds of 99 zum Beispiel, die im Vorjahr noch auf dieser Bühne gespielt hatten eröffneten dieses Jahr das Festival auf der Orange-Stager. Das gleiche in etwas urbanerer Form bot der Apollo Countdown mit jungen skandinavischen DJs, Rappern und Bands mit einem etwas stärker ausgeprägtem Tanzbein. In dem Skate Park der Street City zelebrierte man wie in jedem Jahr den Hip Hop in all seinen Disziplinen: Skaten, Bladen, BMX-Rad fahren, Tanzen, Rappen, Musizieren und natürlich Graffiti sprayen. Zusätzlich fanden auf dem etwa 250 ha grossen Gelände diverse Polit- und Kunstaktionen, Info-Gespräche, Workshops und Performances statt. Ein Angel- und ein Badesee luden zum ausspannen, verweilen und planschen ein.
Besonders hervorzuheben ist das außergewöhnlich gute Essen in Roskilde. Besonders auf dem Festivalgelände herrschte wie immer ein Überangebot an exotischen und auch bodenständigen Speisen, zum Teil mit ökologischem und nachhaltigem Anspruch. Und natürlich gab und gibt es das gute dänische Bier, welches in Roskilde auch nicht teurer ist als auf einem vergleichbaren deutschen Festival. Zu letzterem und dessen Entsorgung
hatte Roskilde in diesem Jahr ein ganz besonderes Programm gestartet – Beercycling oder etwas frei übersetzt: Von der Pisse zum Pils. Mehr dazu findet man im stern-Bier Blog.
Wie jedes Jahr werden alle Gewinne des Festivals an humanitäre und kulturelle Projekte weltweit gespendet - voraussichtlich 15-18 Millionen Dänische Kronen (2-2,5 Millionen Euro) sind es 2015. Melodien für Millionen, quasi. Es werden Projekte unterstützt, die jungen Menschen eine Stimme geben, sie zu Jugendsolidarität ermutigen. Darunter findet sich sicherlich auch die nächste Generation engagierter Freiwillige für die nächsten 45 Jahre Roskilde Festival.