M. Beisenherz - Sorry, ich bin privat hier Post mortem - Geschichten aus der Facebook-Gruft

Eine Kolumne von Micky Beisenherz
Unser Autor wurde für ein paar Stunden bei Facebook gesperrt. Für viele mag sich das angehört haben wie "Günther Poslednik erwischt letzte Dosenwurst bei Penny". Doch plötzlich las man die Meldung überall.

Ich bin kein Typ, der sich selbst so wichtig nimmt. Wie Jesus.

Okay, ich fang nochmal an. Aber als zwischenzeitlicher Mandela von Facebook wurde mir eine Aufmerksamkeit zuteil, dass ich schon versucht war, in der Fußgängerzone Autogramme zu verteilen.

Es haben mich in den letzten Tagen wirklich sehr viele Menschen auf die Schlagzeile angesprochen. Jetzt habe ich kein Mittel gegen Aids oder einen nicht korrupten Mitarbeiter bei der Fifa entdeckt. Ich wurde bei Facebook gesperrt. That's it.

Das schlug allerdings hohe Wellen.

Was war geschehen? Vor circa zwei Wochen habe ich in einer Kommentarspalte einen flüchtlingshassenden und migrationsunfreundlichen Typen namens Amir Zendic darauf hingewiesen, dass es "mit Deiner Einstellung einen Amir Zendic in Deutschland nicht geben würde". Dieser Kommentar wurde mir zum Verhängnis. Sperre wegen Verstoßes gegen die ach so politisch korrekten Gemeinschaftsstandards. 30 Tage. Als Wiederholungstäter (die ersten beiden Sperren waren ähnlich banalen Ursprungs. Unter anderem die unvermeidlichen Nippel).

Den ARD-"Brennpunkt" zu mir habe ich vermisst

Nur gucken, nicht anfassen. Wie Martina Gedeck in "Die Wand" konnte ich zwar noch sehen, was alle treiben - aber mich konnte keiner mehr sehen. Nicht mehr schreiben, keine Kommentare, nix. Doch, halt! Liken durfte ich noch! Zum Liken war ich noch gut genug. Das Liken als ein letztes, verzweifeltes Blinzeln.

Ein gefühltes Social-Media-Wachkoma. Twitterling und Taucherglocke. Als vom Netz genommener Dauer-Däumling blickte ich einer tristen Zukunft entgegen.Ich bin ja trotz allem sehr gerne bei Facebook. Was eine dezente Untertreibung sein dürfte. So als ob Ben Becker sagen würde, er geht gerne mal vor die Tür.

Micky Beisenherz

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (heute Show, Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen. (Foto: Thomas Duffé)

Da mich aber der Grund für die Sperre, diese Ungerechtigkeit, dieser digitale Unrechtsstaat Facebook - man setzt sich online gegen Nazis ein, und wird plötzlich selbst dafür gesperrt - sehr in Rage gebracht hatte, musste ich die Information über meinen digitalen Arrest noch durchstecken. Über den Account meiner 90-jährigen Omma. Den ich als guter Enkel natürlich ausschließlich betreue.

Daraufhin meldete sich erst "mein" stern, dann die"GQ", dann der Mediendienst "DWDL", die "Welt", "Bild" (das sind die, die sich als einzige so sehr für Flüchtlinge einsetzen), "Tagesspiegel", der fuckin' “Rolling Stone", ja, sogar die "Schleswig-Holsteinische Zeitung"! Bis zum Mittag hatte nahezu jedes Medium die fürchterliche Meldung übernommen "Micky Beisenherz bei Facebook gesperrt!" 

Okay, den ARD-"Brennpunkt" dazu habe ich vermisst.

Des Kaisers neue Kleider 3.0

Schmeichelhaft, klar, aber mit ein bisschen Abstand letztlich eine Meldung, deren Brisanz sich für Gesamtdeutschland doch in arg Grenzen hielt: "Micky Beisenherz bei Facebook gesperrt". Das muss sich für viele gelesen haben wie "Guido Pauly erreicht 300 Punkte bei Candy Crush" oder "Günther Poslednik erwischt letzte Dosenwurst bei Penny". 

Sicher sind die braunen Wochen bei Facebook dieser Tage eine Problematik, die durchaus den einen oder anderen Bericht wert ist. Da läuft gewaltig was schief.

Was ich allein an diesem Wochenende schon wieder beobachten musste, reicht aus, um selbst den Dalai Lama zu einem hasserfüllten Roundhouse-Kick zu provozieren.

Vielmehr noch aber ist #freemicky (ein eigener Hashtag! Das ist besser als ein Doktortitel!) ein schönes Beispiel dafür, wie Themen sich im Netz aufbauen. Oder auch, wie Social-Media-betankter Online- Journalismus immer öfter funktioniert. Einer meldet etwas. Der nächste übernimmt es. Muss ja wichtig sein. Man will schließlich nicht hinterher hinken, wenn die Konkurrenz den neuen heißen Scheiß meldet. Dann noch wer und das nächste Magazin, und plötzlich dünt sich eine mediale Welle auf, die am Ende eine Wichtigkeit suggeriert, die das Ursprungsthema eigentlich nie hatte. Des Kaisers neue Kleider 3.0.

"Hast Du schön gehört?! Micky Beisenherz ist bei Facebook gesperrt!"

"Micky wer?!"

"Scheiß drauf! Melde das! Sofort!"

Meine nicht-existente Presseabteilung hat gejubelt

Gut, in diesem Falle war mir das natürlich mehr als recht. Ich saß wie Monty Burns im Büro, rieb mir mit einem breiten "Ausgezeichnet!" die Hände und harrte der Dinge, die da kamen. Der kleine Mann, der den Weltkonzern in die Knie zwingt.

War dann auch nur eine Frage der Zeit, bis die Sperre aufgehoben wurde (leider funktioniert das im Normalfall nie so schnell. Die Beschwerdemail nach einer Sperre kannst du im Regelfall auch direkt ausdrucken und 'ne Stulle damit einwickeln).

Der Presseabteilung von Facebook war das Ganze auch recht unangenehm. Nette Leute übrigens. Ich fahr' da demnächst mal auf 'nen Kaffee hin. Meine nicht-existente Presseabteilung wiederum hat ziemlich gejubelt. Wäre diese Absurdität nicht wahr, ich hätte mir den Scheiß zur Eigen-PR ausdenken müssen.

Wozu es auch immer gut sein mag.

Was muss ich eigentlich tun, um bei Twitter gesperrt zu werden?

Lediglich Amir Zendic tat mir etwas leid. Den Namen hatte ich mir ausgedacht, um die Persönlichkeitsrechte des echten Denunzianten, Flüchtlingsfeindes und Vollzeittrottels zu schützen. Jetzt läuft irgendwo ein Amir Zendic herum und wird in der Fußgängerzone von wildfremden Menschen beschimpft. Das ist nicht richtig.

Dafür gibt es schließlich Facebook- Kommentarspalten.

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