Sie waren ein nicht wegzudenkender Teil der Hamburger Musiklandschaft: das Docks am Spielbudenplatz an der Reeperbahn und die Große Freiheit 36 in der gleichnamigen Straße, mitten auf dem Kiez. In der Großen Freiheit und dem zugehörigen Kaiserkeller hatten in den 60er Jahren schon die Beatles gespielt, später waren sie immer wieder ein beliebter Auftrittsort für Superstars, die nach Jahren in Arenen mal wieder Clubluft schnuppern wollten, aber dennoch verhältnismäßig viel Platz für die Fans brauchten. In den vergangenen Jahren konnte man dort neben vielen anderen Bands etwa Blondie, Herbert Grönemeyer oder Heino live erleben.
Das Docks, kaum 150 Meter entfernt, hatte regelmäßig die Crème de la Crème aus Indie, Pop und Techno zu Gast, und zum Reeperbahnfestival trat hier fast jedes Jahr der geheime Überraschungs-Act auf – sodass die Schlange der Festivalbesucher, die gern dabei sein wollten, um den halben Spielbudenplatz reichte. Dass das Docks so gern für dieses besondere Event ausgewählt wurde, ist wenig überraschend: Es ist relativ groß (wie auch die Große Freiheit 36 bietet es rund 1500 Menschen Platz) und liegt extrem zentral mitten an der Reeperbahn. Docks und Große Freiheit – zwei Live-Clubs, die eigentlich nichts falsch machen konnten. Und es trotzdem taten.
Der Konflikt begann bereits im Sommer 2020
Was ist passiert? Als im Frühling 2020 die Corona-Pandemie Deutschland erstmals lahmlegte, betraf das auch in Hamburg alle Clubs, Arenen und Konzerthallen. Betreiber, Personal, Künstler und Techniker standen plötzlich vor dem Nichts. Die Verzweiflung war groß – in der ausgewiesenen Musikstadt Hamburg aber auch die Solidarität mit den Betroffenen. Kultursenator Carsten Brosda (SPD) machte schnell deutlich, dass er für die Musik- und Kulturbranche alles tun würde, was in seiner Macht lag. Dazu kamen verschiedene Aktionen, mit denen Spenden für die Szene gesammelt wurden (z.B. die stern-"Backstagehelden" oder das Hamburger Kultur-Stickeralbum).

Doch nur wenige Wochen nach dem Lockdown reagierte die Betreiberin des Docks mit einer unerwarteten Aktion auf die Krise. Sie verkündete auf der Facebook-Seite des Docks, dass die Schaufenster des Clubs nun als "alternative Wandzeitung" für Lockdown-Kritiker zur Verfügung gestellt würden. "Wir haben festgestellt, dass im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie über die Gefährlichkeit als auch über die Angemessenheit der Maßnahmen in den Mainstream-Medien sehr einseitig berichtet wird. Kritische Stimmen, insbesondere aus der Wissenschaft, kommen nur selten oder gar nicht zu Wort", behauptete sie.
Die Hamburger reagierten größtenteils verständnislos
Das Verständnis für Frust, Verzweiflung und Unmut bei Menschen aus der Kulturbranche war groß bei den Hamburgern – doch hier hörte es auf. Denn die "Wandzeitung" verbreitete ab dem 18. Juni 2020 zahlreiche krude Thesen aus der Ecke der Corona-Leugner, Esoteriker – und mitunter aus der rechten Szene. Für 20 Euro konnte jeder, der wollte, hier ein Plakat mit "alternativen Fakten" aufhängen. "Das ist Nazi-Sprech", titelte die "Hamburger Morgenpost" schockiert. Im entsprechenden Artikel äußert sich die Clubchefin überrascht über die vielen negativen Reaktionen, die sie für ihre Maßnahme erhielt: "Wir sind über die negativen Kommentare sehr verwundert."
Wo die Solidarität der Hamburger Konzertgänger mit dem Docks abrupt endete, wuchs sie offenbar bei den Kollegen von der Großen Freiheit 36. Auch hier tauchte plötzlich eine Wandzeitung auf, und über dem Eingang prangte ein großes Banner mit der Aufschrift: "Wir fordern Sie hiermit auf, weiteren Schaden von der Bevölkerung abzuwenden und sämtliche noch bestehenden Grundrechtseinschränkungen sofort ersatzlos aufzuheben. Insbesondere fordern wir eine sofortige Aufhebung der medizinisch fragwürdigen Maskenpflicht."
Eine Reaktion auf die "Wandzeitung" folgte erst jetzt
Da während des Jahres 2020 ohnehin keine Indoor-Konzerte stattfinden konnten, schwelte der Konflikt zwischen den Clubbetreibern und den irritierten Hamburger Musikfans monatelang fast still vor sich hin. Zum großen Knall kam es erst jetzt – da mit Beginn der Impfungen langsam wieder die reale Hoffnung auf Live-Konzerte und Festivals aufkeimte. Beim erneuten – hoffentlich letztmaligen – Verschieben von bereits mehrmals wegen der Pandemie abgesagten Konzertterminen trafen erste Bands die Entscheidung: Im Docks wollten sie nicht mehr auftreten. Die Band Leoniden etwa verlegte ihr Konzert bewusst von dort in eine andere Location. Das Label Audiolith kündigte an, dass vorerst keiner seiner Künstler mehr im Docks oder in der Großen Freiheit spielen werde.
So standen auch die großen Veranstalter – in Hamburg sind das vor allem Karsten Jahnke und FKP Scorpio – unter Zugzwang, sich zu den Worten und Handlungen der beiden Clubs zu verhalten. Am 17. März äußerten sie sich mit einem offenen Brief, den sie zusammen mit nahezu alle anderen bedeutenden Veranstaltern der Hansestadt verfassten. Mitunterzeichner sind zudem die Organisatoren des Reeperbahnfestivals. "Mit großer und wachsender Enttäuschung haben wir in den vergangenen Monaten beobachten müssen, dass ihr zunehmend gefährlichem und demokratiefeindlichem Gedankengut ein Forum bietet. Spätestens mit indirekten Aufrufen zur Gewalt und dem Verweis auf rechtspopulistische und verschwörerische 'Medien', die diesen Namen nicht verdienen, hat unsere Geduld ihr Ende gefunden", heißt es da.
Boykott hätte ernste Konsequenzen für beide Clubs
Die Veranstalter stellen klar: "Veranstaltungen unter eurem Dach kommen unter diesen Bedingungen für uns nicht infrage." Für Bands, Fans und Veranstalter ist es allerdings ein echtes Problem, auf das Docks und die Große Freiheit 36 zu verzichten. Es sind die einzigen zentral gelegenen Clubs, die eine große Kapazität haben. Alternativen wie das Uebel & Gefährlich fassen maximal 1000 Menschen, die Alsterdorfer Sporthalle dann wiederum 7000. Die Lücke, die durch den Boykott entsteht, dürfte allen Beteiligten also ernsthaft weh tun. Umso bemerkenswerter ist dieser Schritt.
Im offenen Brief der Veranstalter wird beiden Clubs ausdrücklich die Möglichkeit gegeben, sich zu den Vorfällen zu äußern und im offenen Gespräch eine Lösung zu finden. Doch ob das passieren kann und wird, ist offen. Auf die Anfrage des stern haben beide Clubs bis dato nicht reagiert. Sollte es also, sobald wieder Konzerte stattfinden können, zu einem langfristigen Boykott kommen, würden Docks und Große Freiheit 36 um ihre Existenz kämpfen müssen. Ohne Live-Konzerte blieben ihnen nur gelegentliche Partys – deren Erlöse vermutlich keinen Club in bester Kiezlage finanzieren können.