New Rave Die gute Laune kehrt zurück

Von Annette Stiekele
Eigentlich war es nur ein Witz, als die Klaxons den "New Rave" ausriefen. Doch seither wird die Londoner Band überall als Speerspitze einer neuen Bewegung gefeiert. Immerhin: Der neue Musikstil bringt Chaos, Spaß und Party zurück. Heute beginnt die Klaxons-Tour in Deutschland, präsentiert von stern.de.

Schwarz-grau im Pop war gestern. Auf der britischen Insel dominiert derzeit allerlei Buntes. Im Musikvideo zu "Golden Skans" turnen drei Jünglinge, gewandet in bonbonfarbene Schleifenkostüme in Slow Motion durchs Weltall und kicken riesige Space-Pillen. Die Klaxons aus London bringen seit geraumer Zeit die Jugend in England um den Verstand. Und jetzt auch bei uns. Ganze drei Songs brauchte das Trio bei seinem Hamburger Konzert, bis die entfesselte Menge die Bühne stürmte und dort zusammen mit den verdutzten Musikern weiterhüpfte. Alle wollen derzeit zu den Klaxons tanzen. Nicht nur, weil sie eine aparte rebellische Aura umgibt, sondern weil sie ziemlich aufregende Dance-Punk-Musik abliefern. Dafür hat sie die britische Musikpostille "New Musical Express" ("NME") in die eilig herbeizitierte Schublade "New Rave" eingeordnet.

Von Rave bleibt nur die Loveparade übrig

Ravemusik gab es schon einmal. In den 80er Jahren kreuzten Bands wie die Stone Roses, die Charlatans oder die Happy Mondays aus Manchester ihren Indie-Rock mit elektronischen Effekt-Pedalen und kreierten die Rave-Bewegung "Madchester". Erst später verleibten sich die Acid-House-Anhänger die neuen Sounds ein und lebten sie im Techno aus. Ende der 90er Jahre war vom Rave nur mehr jene große Karnevalsparade in der Hauptstadt, genannt Loveparade übrig. 2006 hat der "NME" den New Rave zur großen neuen Musikschöpfung ausgerufen, in Bands wie Shitdisco, The Sunshine Underground oder New Young Pony Club die einschlägigen Vertreter entlarvt. Und als edelste Genreritter die Klaxons ausgemacht.

stern.de präsentiert:

Die Klaxons on tour
So, 11.11.2007 Berlin
Mo, 12.11.2007 Hamburg
Do, 15.11.2007 Köln
So, 18.11.2007 München

Edel oder gar hip sieht der studierte Historiker und ehemalige Englischaushilfslehrer James Righton (23) auf den ersten Blick nicht aus. Eher wie ein richtig netter Junge, den man gern als Nachbarn hätte. Allerdings wird sein Bubi-Outfit durchbrochen von einer auffälligen, trashigen Golduhr am Handgelenk und der Sturmfrisur. Der Musiker braucht nur eine knappe halbe Stunde, um das Gros der Legenden, die um diese Band kursieren, im Orkus der Geschichte zu versenken: "Tja, wie gehen wir mit dem Hype um? Gar nicht. Wir verbringen einfach viel Zeit zusammen in diesem Tourbus. Ab und zu lesen wir davon."

Schneller Punk und fröhliches Chaos

Seit gerade mal 16 Monaten machen die Klaxons zusammen Musik. Auf ihrem nun auch bei uns erschienen Debütalbum "Myths Of The Near Future" entführen die drei in idyllische Zwischenwelten, abgelegene Galaxien, wo echte Leidenschaft und Rhythmus endlos fließen. Sie wollen nicht, wie das Gros der jungen britischen Bands, eine typische Punk-Band im Gefolge der Libertines sein. Stattdessen mixen sie Gitarre, Bass, Schlagzeug und einen billigen Synthesizer. Das aber auf das Wildeste. Schließlich bedeutet "Klaxon" auf Französisch "Hupe". Und so klingt die Band auch. Nach schnellem Punk und fröhlichem Chaos. Aber eben tanzbar und äußerst facettenreich. Tatsächlich verehren die Klaxons die Madchester-Rave-Bewegung. Kraut- oder Avantgarderocker wie Can oder Tuxedomoon sind als Einflüsse aber viel wichtiger. An der Spitze der von ihnen genannten Referenzmusiker aber steht der glamouröse Übervater David Bowie.

In ihren Texten feiern die Klaxons die Rückkehr eines weiteren fast vergessenen Genres: Science Fiction. Ihren Albumtitel haben sie von einer Kurzgeschichte J.G. Ballards geklaut. Sie wildern bei Literaten wie dem scheuen Phantom Thomas Pynchon, dessen Roman "Gravity's Rainbow" sie im gleichnamigen Song zitieren. Für "Atlantis To Interzone" musste eine Kurzgeschichtensammlung von William S. Burroughs namens "Interzone" herhalten, für ihren Hit "Magick" die wirren Theorien von Gruselaltmeister Aleister Crowley. Nach plausiblen Sinnzusammenhängen braucht man ihre ziemlich wirren Liedzeilen nicht abzusuchen. "Unsere Texte erzählen unsere Fantasien", erklärt Righton. "Wir sind eine eskapistische Popband. Das ist unser Konzept, auch wenn einige uns als ausgeflippte Drogenfreaks hinstellen wollen."

Der Spaß ist durchdacht

Nein, bei den Klaxons ist der Spaß durchdacht. Bassist Jamie Reynolds (26) stand acht Jahres seines Lebens im Plattenladen, vorher hat er nicht die schwere Rowdie-Jugend und jugendliche Säuferkarriere durchlitten, die ihm das Pressinfo der Plattenfirma andichten will. Gitarrist Simon Taylor hat Kunst studiert, einige Zeit im Call Center gejobbt, wo er "Gravity's Rainbow" auch tatsächlich gelesen hat. Live lässt sich das Trio noch von Schlagzeuger Steffan Halperin unterstützen. Neben verrückten Literaten liebt die Band verrückte Outfits, doch die schrillen Cartoon-, Leopardendruck- und Neonmuster, die Designerin Carri "Cassette Playa" Mundane für viele "New Rave"-Bands entwickelt, haben sie nur ein einziges Mal getragen. "Sie wollte uns gerne einkleiden, aber wir lassen uns von niemandem vereinnahmen", stellt Righton klar und fügt hinzu: "Sie hat da was falsch verstanden. Jetzt redet sie nicht mehr mit uns."

Und was halten die jungen Helden des Sci-Fi-Prog-Punk nun vom New Rave? "Das haben wir eigentlich mal als Witz in den Mund genommen. Plötzlich war es ein Medienbegriff, von dem zunächst keiner wusste, was er bedeutet. Jetzt existiert er. Ziemlich surreal", resümiert Righton, "Er sagt eigentlich nur etwas über die fröhliche Party auf unseren Live-Konzerten aus." Das einzige, was die so genannten "New-Rave"-Bands verbindet, ist ihre Mischung aus Gitarren und Elektronik, eigentlich seit Jahren unter dem Begriff "Electroclash" bekannt.

Dieses Phänomen ist global. The Rapture stammen aus New York, Cansei de Ser Sexy aus Brasilien und The Knife aus Schweden. Mit einer Wiederbeatmung der alten Manchester Rave-Szene haben diese Bands alle nichts am Hut. "Wir spielen mit Images und Ideen", erläutert Righton. "Vor allem aber wollen wir eine gute Zeit haben. Viele Bands sehen so gar nicht glücklich aus. Aber hey - sie haben den tollsten Job der Welt!" Ganz egal wie man ihn nun nennt, der glitzernde Punk-Funk der Klaxons sorgt auf jeden Fall für gute Laune.

PRODUKTE & TIPPS