Eigentlich läuft es derzeit für Paul McCartney sehr gut - rein künstlerisch betrachtet. Sein 2005er Album "Chaos and Creation in the Backyard" erntete hymnische Besprechungen von Seiten der Kritiker, die darauf enthaltene Single "Jenny Wren" ist jüngst für den Grammy nominiert worden. Mit dem Choralwerk "Ecce Cor Meum" hat McCartney vor kurzem seine vierte klassische Komposition vorgelegt. Und pünktlich zum Weihnachtsgeschäft steht "The Space Within US" in den Läden, eine aufwendige DVD über die US-Tournee des vergangenen Jahres. Privat steckt McCartney dagegen mitten in einer Schlammschlacht mit seiner Noch-Ehefrau Heather Mills, die von der britischen Presse begierig in die Öffentlichkeit getragen wird. Ein unschönes Thema, über das Paul McCartney nicht reden möchte, wie er im Vorfeld des Interviews ausrichten ließ.
Herr McCartney, Sie haben in Ihrem Leben so gut wie alles erreicht: Ihre Songs kennt man auf der ganzen Welt, Sie sind mit Ehrungen überhäuft worden, Sie haben Kinder und Enkelkinder. Was treibt Sie dazu an, immer weiter Musik zu machen?
Ich liebe Musik, und ich fühle mich sehr privilegiert, Musik machen zu dürfen. Ich sehe es nicht als Arbeit, mehr als ein Vergnügen.
Es ist mehr ein Hobby für Sie?
Ja. Man sagt "ich spiele Musik", nicht ich "arbeite Musik". Ich liebe, was ich mache.
Sie haben beinahe überall auf der Welt Konzerte gegeben. Auf der US-Tour haben Sie Ihre Musik sogar ins Weltall gesendet. Was kommt als nächstes? Werden Sie ein Konzert auf dem Mond geben?
Das ist das einzige, was noch fehlt. Wie wäre es mit einem Konzert auf einem Stern? Der stern könnte das dann sponsern.
Auf Ihren Konzerten spielen Sie Stücke aus allen Phasen Ihrer Karriere. Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie einen Beatles-Song singen oder einen aus Ihrer Solophase?
Nein, mit allen verbinde ich großartige Erinnerungen. Wenn ich den frühen Beatles-Song "I'll get you" singe, denke ich an die Frühzeiten der Beatles, wie wir als nervöse junge Männer im Studio saßen. Wenn ich "Too many People" von den Wings singe, denke ich an Linda, wie wir das Stück zusammen in New York aufgenommen haben. Jeder einzige Song ruft eine andere Erinnerung hervor.
Kommen Ihnen diese Erinnerungen auch während des Konzerts?
Ja, das schwingt immer mit. Auf der letzten US-Tour haben wir "Please Please Me" gespielt. Ich erinnerte mich genau an das Studio, wie John Lennon den Song mitbrachte, wie George Martin vorschlug, ihn zu ändern, und wie wir davon zunächst nicht begeistert waren. Denn John hatte ursprünglich einen langsamen Rhythmus vorgeschlagen, wie bei einem Roy-Orbison-Song. George Martin wollte, dass wir das schnell spielen - und so haben wir's dann schließlich gemacht.
Und Sie erinnern sich an all das, obwohl es schon mehr als 40 Jahre zurück liegt?
Ja. Es ist, wie wenn man in seine Heimatstadt zurückkommt. Wenn man an seiner Schule vorbeikommt, erinnert man sich an seine Schulfreunde und an Lehrer, die man nicht mochte.
Haben Sie noch einen engen Kontakt zu Ringo Starr?
Wir sehen uns mehrmals im Jahr. Er lebt in L.A., wann immer ich dort bin, sehe ich ihn. Er und seine Frau Barbara Bach sind wundervolle Menschen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Ich würde ihn gerne öfters sehen, aber so ist das Leben eben.
Auf Ihrer Live-DVD "The Space within US" sind Statements vieler berühmter Persönlichkeiten versammelt. Bill Clinton spricht dort von der "universellen Botschaft" Ihrer Musik. Was ist das für eine Botschaft?
Die meisten Menschen, die ich kenne, wollen ein gutes, friedvolles Leben mit guten Freunde und einer Familie. Das sind die Dinge, die fast alle gemeinsam haben und sich vom Leben wünschen. Und genau das ist meine Botschaft. Ich singe über Liebe, weil die meisten Menschen das wollen. Ich singe über Frieden, weil die Menschen sich das wünschen. Ich glaube, das ist der Grund, warum Musik so beliebt ist: Menschen können darin ihre Träume ausdrücken.
Hilft Ihre Musik den Menschen bei der Erfüllung ihrer Träume?
Ja, das glaube ich. Viele Menschen kommen zu mir und sagen: Hey Paul, deine Musik hat mir geholfen, als ich eine schwere Zeit hatte. Ich frage dann immer: Meinst du die Beatles-Musik? Gerade die jüngeren Zuhörer sagen dann: Nein, die neueren Sachen. Das ist schon ein tolles Gefühl zu wissen, dass meine Musik so vielen Menschen etwas bedeutet.
In einem Interview auf Ihrer DVD sagen Sie etwas Interessantes über die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung: "Plötzlich bist du nicht mehr nur der Mensch, für den du dich hältst - du bist auch die Person, für die die Öffentlichkeit dich hält". Was genau meinen Sie damit?
Die meisten Menschen wissen, wer sie sind. Aber wenn du berühmt wirst, kommt noch etwas anderes hinzu: Die Menschen sehen dich als einen ungewöhnlichen Menschen. In meinem Fall als einen der Beatles, der Songs mit John Lennon geschrieben hat. Ich kann das nicht ignorieren. Ich kann nicht sagen: Nein, das bin ich nicht. Aber es ist nicht das, wie ich über mich denke. Es fühlt sich anders an, als wenn ich mich durch die Augen anderer Leute sehe: Wow, ich habe Songs mit John Lennon geschrieben? Es gibt nur vier Beatles, und ich war einer von denen. Linda ist eine wundervolle Frau, und ich war ihr Ehemann. Das ist unglaublich, wenn so etwas in deinem Leben passiert.
Haben die Menschen denn ein falsches Bild von Paul McCartney?
Ich weiß nicht, ob es falsch ist. Aber sie sehen nicht genug von mir, um ein korrektes Bild zu bekommen. Sie kommen nicht mit mir nach Hause, sie sehen nicht, wie ich mein Essen zubereite. Sie verbringen nicht den Alltag mit mir. So lernt man doch Menschen erst richtig kennen. Aber die Menschen, mit denen ich viel Zeit verbringe, meine Arbeitskollegen, die Bandmitglieder und meine Familie, wissen sehr genau, wie ich bin. Aber für den Mann auf der Straße ist es schwierig. Er macht sich ein Bild davon, was er liest. Und sehr oft stehen in den Zeitungen Sachen, wo ich denke: Das kann ich nicht glauben, das bin doch nicht ich! Einmal habe ich in der Zeitung gelesen, dass ich mich einer Schönheitsoperation unterzogen hätte. Das ist totaler Unfug! Der Typ, der das schreibt, ist verrückt! So etwas passiert ständig, aber ich kann doch nicht dauernd anrufen und alles dementieren, was falsch ist. Dafür habe ich einfach keine Zeit.
Sie hatten immer das Image, der nette Beatle zu sein und galten als der ideale Schwiegersohn. Zweimal haben Sie geheiratet - waren Ihre Schwiegermütter glücklich, Sie als Schwiegersohn zu bekommen?
Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß ja nie, was die Leute wirklich denken. Ich habe nie dem Image entsprochen. John auch nicht. Die Wahrheit ist komplexer. Manche Leute denken, John sei tough und hart gewesen. Aber er hatte auch einen sehr weichen Kern. Er war etwas schüchtern, und das kam nicht immer rüber. Die Leute denken, ich sei der nette Kerl, das ist auch nicht immer wahr. Ich habe eine härtere Seite. Wenn du eine ausgewogene Person bist, dann kannst du nicht nur das eine sein. Ich kann natürlich mit dem Image als netter Junge gut leben, aber das wahre Bild ist komplexer.
Auf der DVD stellt Sie der Rockmusiker Lenny Kravitz in eine Reihe mit Mozart und Beethoven. Gefällt Ihnen dieser Vergleich, oder empfinden Sie ihn eher als eine Last?
Das ist ein riesiges Kompliment. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, wir machen sehr unterschiedliche Musik. Mozart und Beethoven konnten Noten lesen und schreiben, was ich nicht kann, das gibt ein Paar Extrapunkte für sie. Sie waren große Komponisten, und es ist eine große Ehre, auch nur in ihre Nähe gestellt zu werden.
Sie haben gerade Ihr viertes klassisches Werk vollendet, "Ecce Cor Meum". Wenn Sie Popsongs schreiben, brauchen Sie sich vor niemandem zu verstecken. Aber fürchten Sie hier nicht den Vergleich mit den großen klassischen Komponisten?
Nein, dazu mache ich Musik zu gerne. Wenn mich jemand mit einem Chorwerk beauftragt, dann mache ich das, einfach weil ich es so gerne mache und immer dazulernen will. Es ist okay, mit anderen verglichen zu werden.
Werden Sie Weihnachten mit Ihren Kindern und Enkelkindern verbringen?
Ja, das hoffe ich sehr. Wir werden auf jeden Fall einen Teil des Festes alle zusammen sein, Kinder und Enkel.
Werden Sie auch Beatrice sehen, Ihre gemeinsame Tochter mit Heather Mills?
(auf Deutsch:) Ja, natürlich!
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