U2 Irische Musiktherapie

Sie haben alles hinter sich: schwierige Kindheiten, Drogen, Frauengeschichten. Alles, was eine gute Rockband so ausmacht - und irgendwann zerlegt. Aber die vier aus Dublin sind immer noch zusammen. Warum bloß?

Es ist Album Nummer 16, kommt vier Jahre nach "All That You Can't Leave Behind" in den Handel und trägt einen seltsamen Titel: "How To Dismantle An Atomic Bomb" - frei übersetzt "Wie man eine Atombombe zerlegt". Klingt nach einer höchst schwierigen Aufgabe. War es auch. Private Probleme, eine gestohlene Master-CD und riesige Erwartungen lasteten auf der irischen Band U2, die gegen all diese Widrigkeiten ein höchst wirkungsvolles Mittel einsetzte: ihre Geschlossenheit. Seit einem Vierteljahrhundert spielt U2 in unveränderter Besetzung, seit Beginn ihrer Karriere ist U2 mehr als eine Rockband. Sie ist Ersatzfamilie, Rückzugsraum, sicherer Hort für vier Männer, die sich außerhalb ihrer Musik immer seltsam fremd und verloren fühlten. Es ist erstaunlich, wie eingespielt U2 im 25. Jahr ihres Bestehens funktioniert - nicht nur im Studio oder auf der Bühne, sondern vor allem auch privat. Die Rollen sind klar verteilt.

Adam Clayton - die stille Kraft

Es ist leicht, in Adam Clayton den Außenseiter bei U2 zu sehen. Einen schüchternen Mann, der bei Konzerten auf einer Stelle wippend den Bass spielt. Dabei war der 44-Jährige von Anfang an die treibende Kraft in der Band, das Großmaul, das die Marschroute vorgibt. "Wir werden größer als die Beatles werden" - sprach Clayton Ende der 70er Jahre, als U2 noch eine kleine Band war, die außerhalb von Dublin kaum jemand kannte. Clayton war immer ein Heimatloser, aufgewachsen in Kenia, wo sein Vater für die Fluggesellschaft East African Airways arbeitete. Später zog die Familie nach Dublin. Clayton fühlte sich in der Schule wie ein Verlierer: Er sprach zwar Suaheli, aber kein Wort Gälisch. Den Anschluss ans Leben fand er wieder, als er die Schulband U2 mitbegründete.

U2 gibt Clayton eine Heimat - bis heute: "Nicht viele Leute schaffen es, eine 25-jährige Ehe oder Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten", sagt er, "wir sind nicht unheimlich intim miteinander, aber es gibt großes Verständnis füreinander." Vielleicht liegt das auch daran, dass die Männer von U2 in den vergangenen drei, vier Jahren alle 40 geworden sind. Die Zeiten, als Clayton als Verlobter von Supermodel Naomi Campbell durch die Klatschspalten geisterte, sind genauso vorbei wie seine Drogenabstürze. Dafür pendelt er heute zwischen Dublin und London, wo seine neue Freundin lebt. "Ich gehe nicht mehr oft aus, aber wenn, dann fühle ich mich wohler als früher. Jetzt kann ich auch gut zu Hause bleiben, die Nachrichten schauen, Musik hören." Clayton ist gemütlich geworden.

The Edge - der musikalische Kopf

Es ist ein paar Monate her, da wäre David Evans, 43, den alle Welt nur unter dem Künstlernamen The Edge kennt, fast verzweifelt an der Ungerechtigkeit dieser Welt. Auf einem Fototermin in Frankreich war dem Gitarristen von U2 im Juli 2004 eine noch nicht fertig gemischte CD des neuen Albums geklaut worden. Es schien nur eine Frage der Zeit, wann die CD im Internet auftauchen würde, frei verfügbar für Millionen. Besonders hart für einen Perfektionisten wie The Edge, der am liebsten bis zur letzten Minute an den Songs tüftelt und der den typischen Gitarrensound von U2 geprägt hat. The Edge will die neue CD bis zur Veröffentlichung nicht mehr anrühren - aus Selbstschutz. "Wenn ich sie hören würde, dann würde ich alles noch einmal neu aufnehmen wollen. Zehn Prozent der Studioarbeit sind Inspiration, 90 Prozent sind ein pragmatischer Prozess. Das ist der Wissenschaftler in mir", sagt er. Die verschwundene CD ist bis heute nicht im Internet aufgetaucht.

Larry Mullen - der Sonnyboy

Man sagt über ihn, sein Weltbild kenne nur Schwarz und Weiß, kaum Grautöne. Larry Mullen, 44, gilt als rau, patzig, direkt - und sieht mindestens 15 Jahre jünger aus, als er ist. Er war 17, als 1978 seine Mutter starb. Ungefähr zur selben Zeit verließ auch seine Schwester das Elternhaus, um zu heiraten. Die Familie zerbrach. Mullen versuchte sich bei U2 als Schlagzeuger - ein Schritt, "als sei ich von zu Hause abgehauen, um mich einem Wanderzirkus anzuschließen".

Die Mutter, die gehofft hatte, ihr Sohn würde Priester werden, war tot, und die Schwester fort. Die Band aber war immer da. In der großen Familie U2, sagt Mullen, sei er das verzogene Kind. Sänger Bono sieht die Rolle seines Schlagzeugers ganz anders: "Er ist der Vater, der instinktsicher schnell Entscheidungen treffen kann." Mullen war es, der nach drei langen Jahren auf Tournee seinen Kumpel The Edge fragte, ob dieser ihn nicht auf einer sechs Monate langen Motorradtour durch Amerika begleiten wolle. "Vielleicht", sagt Mullen, "ist das eine Erklärung für meine Getriebenheit: die Angst vor erneutem Verlust und die Hoffnung, ihm durch Hast davonlaufen zu können."

Bono - der Chefsprecher

Bono Vox. Was für ein Name. Bono. Der Gute. Der Mann, der mit Mandela, Clinton, Bush und Blair telefoniert, zwischen zwei Alben in Kampagnen gegen Aids und für die Entschuldung der Dritten Welt kämpft. Abwechselnd Mahner, Weltretter, Selbstdarsteller, Entertainer. Einer Journalistin, die ihn auf einem Spaziergang begleitet, leiht er seine Schuhe, damit sie es unbeschadet über spitze Steine schafft. Er selbst läuft barfuß - selbstlos, tapfer, ritterlich. Es heißt, das neue Album spiegele vor allem Bonos Gedanken und Erfahrungen der vergangenen Jahre wieder, seit 2001 sein Vater Bob Hewson an Krebs und Parkinson starb.

Folgt man diesem Gedanken, könnte der Titel des neuen Albums "Wie man eine Atombombe zerlegt" ebenso gut "Wie man die Beziehung zu seinem Vater entschärft" heißen. Früh hatte Bono seine Mutter verloren, sein Vater war ihm immer fremd geblieben. "Wir hatten zeitweise so eine Art kalten Krieg geführt", sagt Bono, "und als es mit meinem Vater zu Ende ging, saß ich im Krankenhaus an seinem Bett und hielt ihm die Hand. Noch zwei Jahre nach seinem Tod ging ich durch irgendeine Straße und musste plötzlich weinen. Ich hatte nicht gewusst, was dieser Kummer mit einem macht."

U2 - die Band im Netz

Während sich Bonos Bruder um den kranken Vater kümmerte, flüchtete Bono in die bildende Kunst und komponierte Songs. Zum Beispiel "Sometimes You Can't Make It On Your Own" - ein Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit. Und so ist "How To Dismantle An Atomic Bomb" ein Album über Furcht und Hoffnung geworden. Über Furcht vor der Isolation, dem Alleinsein, der Einsamkeit und über die Hoffnung, all das zu überwinden. Und: ein klares Bekenntnis von vier nicht mehr ganz jungen Männern zu ihrem Lebenswerk Familien-Band. Das Projekt U2 hat jedem Mitglied nicht nur ein Vermögen, sondern vor allem Stärke, Hoffnung, Heimat gegeben. Oder,wie es Bassist Adam Clayton ausdrückt: "Wir sind unser eigener Überlebensmechanismus."

Chrissy Iley
Mitarbeit: Hannes Ross und Tobias Schmitz

Hörproben:

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