Ein beschauliches Dorf in Schleswig-Holstein, das einmal im Jahr zur Pilgerstätte des Heavy Metal wird - das macht seit drei Jahrzehnten die Faszination des Wacken Open Air aus. Auf dem Festival spielten schon Musikgrößen wie Ozzy Osbourne, Rammstein, Iron Maiden, Motörhead und Deep Purple. Doch in diesem Jahr bleibt es am ersten Augustwochenende still: Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, wurde das Festival abgesagt.
Nun, drei Wochen später, spricht Thomas Jensen - einer der beiden Gründer des Festivals - im Interview mit dem stern über die Maßnahmen, die er in den vergangenen zwei Monaten ergreifen musste - und warum er trotz der ungewissen Situation optimistisch in die Zukunft schaut.
Herr Jensen, Sie organisieren das Wacken Open Air seit 30 Jahren. Vor zwei Wochen mussten Sie das Festival erstmals absagen. War es der schwerste Moment Ihrer Karriere?
Natürlich haben wir das kommen sehen, im Vorfeld hatten bereits zahlreiche Festivals von sich aus abgesagt. Als es dann soweit war, war das trotzdem ein sehr emotionaler Augenblick. Sonst kämpfen wir immer bis zum Schluss, egal wie viele Rückschläge wir einstecken. Diesmal waren wir machtlos.
Viele Besucher fahren jedes Jahr nach Wacken. Wie waren die Reaktionen der Fans?
Wir haben eine gigantische Welle der Solidarität erhalten. Nicht nur von den Fans, sondern auch von Künstlern haben wir viele aufbauende Worte erhalten, obwohl die ja selbst betroffen sind. Der Zusammenhalt in der Metal-Szene ist riesig.
Die Planungen für das Wacken Open Air liefen auf Hochtouren, in drei Monaten sollte es losgehen. Was kostet so ein überraschendes Aus?
Wir stecken mitten in den Abwicklungsprozessen. Das volle Ausmaß sehen wir vermutlich erst im nächsten Jahr, sobald die Bilanzen erstellt worden sind. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir noch viele Dinge stornieren können.
Sie bieten allen Fans an, ihr Ticket für dieses Jahr zurückzugeben und das Geld zurückzubekommen. Damit gehen Sie einen anderen Weg als viele Tickethändler, die sich weigern, Konzertkarten zu erstatten und stattdessen auf Gutscheine setzen.
Wir haben auch diskutiert, ob wir auf die Gutschein-Lösung warten, die demnächst beschlossen werden soll. Doch wir haben eine andere Verbindung zu unseren Fans und gehen ohnehin davon aus, dass der Großteil das Ticket für das nächste Jahr umtauscht. Viele unterstützen uns auch, in dem sie T-Shirts und Merchandise kaufen - das rührt uns sehr.
Der fehlende Ticketverkauf bedeutet, dass Ihnen am Ende das Geld von einem Jahr fehlt. Haben Sie das Gefühl, dass die beschlossenen Hilfen der Politik ausreichend sind?
Die reichen nie aus. Aber ich muss auch mal eine Lanze brechen: Ich finde, die Politiker reißen sich im Moment echt den Arsch auf. Ob jede Entscheidung am Ende richtig ist, das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich habe den Eindruck, dass sich gekümmert wird. Ich fühle mich nicht komplett alleingelassen.
Wie wollen Sie die Krise überstehen?
Die einzige Chance, die wir haben, ist massive Kosteneinsparung. Wir mussten harte Einschnitte vornehmen, alle unsere Mitarbeiter sind mittlerweile in Kurzarbeit. Natürlich gefällt das nicht allen, aber es entlastet das Unternehmen, denn das Personal ist bei uns einer der größten Kostenfaktoren.
Verzichten Sie auch auf einen Teil Ihres Gehalts?
Leider Gottes ja. Aber ich bin dankbar, dass wir die Möglichkeit des Kurzarbeitergeldes hierzulande überhaupt haben. Ich habe neulich mit Kollegen in Spanien gesprochen, da sieht es viel schlechter aus. Wir hoffen natürlich, dass auch unsere Dienstleister, die wir dieses Jahr nicht in Anspruch nehmen können, diese schwere Zeit überleben. Da mache ich mir große Sorgen.
Am Ende wird das Kurzarbeitergeld nicht reichen, um die Kulturszene zu retten.
Es werden noch viele Anstrengungen nötig sein. Vielen Künstlern brechen auf unbestimmte Zeit die gesamten Einnahmen weg, und es gibt keine Perspektive. Das ist hart. Man muss es ganz deutlich sagen: Für viele Unternehmen und Künstler geht es nicht darum, einigermaßen unbeschadet über die Runden zu kommen. Es geht ums Überleben.
Derzeit werden immer weitere Bereiche gelockert, Gastronomie und Tourismus fährt vereinzelt wieder hoch. Konzerte sind vermutlich das letzte Glied in der Kette. Wann schätzen Sie werden die Menschen wieder unbeschwert auf Konzerte gehen?
Wenn ich das nur wüsste. Wir organisieren selbst Konzerte und haben einige Termine auf Ende September umgelegt. Ob die zu halten sind, werden wir sehen. Großveranstaltungen ab 30.000 Besuchern sehe ich nicht vor nächstem Sommer. Los gehen wird es mit kleinen Club- und Kneipenkonzerten unter 500 Besuchern. Das wäre zumindest den Newcomer-Bands zu wünschen, denn die sind in der Regel mit kleinerem Budget unterwegs.
Wann wird sich die Konzertbranche Ihrer Meinung nach von der Corona-Krise erholt haben?
Viele gehen davon aus, dass die Branche zwei bis drei Jahre an dieser Krise zu knabbern hat. Das wird niemand einfach so wegstecken. Aber wir machen das nicht, um reich zu werden, sondern weil das unser Lebensinhalt ist. Da müssen wir alle irgendwie durch.
Die Olympischen Spiele in Tokio wurden auf den Spätsommer kommenden Jahres verschoben - und selbst dieser Termin wird bereits angezweifelt. Haben Sie Angst, dass auch im kommenden Jahr kein Wacken Open Air stattfinden könnte?
Entweder werden wir mit dem Virus leben müssen oder wir bekommen es durch Maßnahmen wie Impfungen in den Griff. Darauf haben wir keinen Einfluss. Am Ende dürfte alles von einem Impfstoff abhängen. Aber ich bin optimistisch, dass den Wissenschaftlern etwas einfällt.
Haben Sie in den vergangenen Wochen darüber nachgedacht, einfach hinzuwerfen?
Nein, nie. Ich würde das unseren Fans und auch dem Team gegenüber unfair finden. Vermutlich werden Holger Hübner und ich noch mit einem Bein auf das Festival humpeln.
Glauben Sie, am ersten Augustwochenende werden trotz des abgesagten Festivals Menschen nach Wacken fahren und auf den Acker campen?
Nein, das hoffen wir nicht. Wir wollen alles tun, dass das Dorf Wacken unbeschadet durch diese Pandemie kommt. Wir wünschen uns, dass sich alle an die Regeln halten. Das Festival ist abgesagt, auf dem Acker gibt es nichts zu sehen. Aber wir werden an dem Wochenende auf anderem Wege von uns hören lassen, das kann ich schonmal versprechen.