Nicht nur der Zuschauer, insbesondere die Verantwortlichen des ZDF werden "Menschen 2011" mit einem lachenden und einem weinenden Auge gesehen haben. Die TV-Nation ächzt unter den Kerner-Gerüchten in Sachen "Wetten, dass..?"-Nachfolge, da bot ausgerechnet der für den Posten am leidenschaftlichste Umworbene selbst etwas Balsam für die kollektive mediale Seele. Eine zweischneidige Sache fürwahr: Hape Kerkeling als Moderator des Jahresrückblicks - das ist in etwa so, als hätte der Lover den Heiratsantrag abgelehnt, sich bei einem letzten Candlelightdinner aber nochmal so richtig ins Zeug gelegt. Nein zur Wettshow, ja zum Rückblick. Mithin auch eine Gottschalk-Nachfolge, wenn auch nicht die auf beiden Seiten der Mattscheibe herbeigesehnte. So schön hätte es also werden können. Und wird es doch niemals sein.
Dabei geriet der Auftakt der Show durchaus zäh. Was auch immer die Redaktion beim Scripten der ersten Showstunde geritten haben mag, Sonntagabendgala geht anders. Auf einen Münchner Eisverkäufer ohne Toilette, folgte Andrea Kiewel, die ewige Fernsehgarten-Volontärin, ihre Londoner Erlebnisse bei der Royal Wedding wiederkäuend. Selbst Hapes Inkarnation von Königin Beatrix wurde noch einmal exhumiert. Anschließend Wolfgang Bosbach im Studio, Seitenhiebe auf Bushido und Witze über Lothar Matthäus - hätte man stattdessen die Bahnstrecken des Hunsrück gezeigt, der Sonntagabend wäre kaum weniger spannend verlaufen. Bei so tiefem Knicks vor der Tatort-Konkurrenz sollte das ZDF vielleicht erwägen, den Start der Sendung beim nächsten Mal nach hinten zu verlegen. Sei's drum - dreieinhalb Stunden sind lang genug, um auch nach einem Fehlstart noch Fahrt aufzunehmen.
Vergessene Tugend: Das Interesse am Gast
Dabei versuchte "Menschen 2011" gar nicht erst, den Slalom zwischen schwerer Betroffenheit und leichter Kost in einen Rhythmus zu zwängen. Das ist eben die Crux: Hier eine Schnitzel-Schildbürgerei, dort ein Attentat, danach die reitende Kuh und 9/11 feiert nun auch schon Jubiläum. Die Toten des Jahres, die Hits des Jahres, der Guttenberg des Jahres. Alles nebeneinander, nacheinander, der Jahresrückblick als unnachsichtiger Gleichmacher. Da trifft es sich gut, einen wie Kerkeling auf, vor und neben der Couch zu haben. Bot der doch eine Tugend, die seinen berufsbetroffenen Zeitgenossen längst aus dem Stammbuch gepurzelt ist: Interesse am Gast. Dass sich der Becker-Clan in die Sendung und Tennisspielerin Andrea Petkovic augenscheinlich in das falsche Kleid verirrt hatten, sei's drum - Kerkeling blieb in der Spur.
Auch die von der Konkurrenz oftmals mit grobem Keil in Fünf-Minuten-Klumpen gehauenen Themenbrocken entfaltete das einstige Hannilein mit ungleich leichterem Händchen als die Konkurrenz. Der lose getaktete Smalltalk mit seinem Wunschgast Harald Schmidt etwa oder die Audienz mit "Blacky" Fuchsberger gerieten so zur "Unterhaltung" im wörtlichen Sinne. Die Stoiker und Streber seiner Zunft mögen ihre Scripts abarbeiten, Kerkeling setzte auf Präsenz. Wo Kerner seine Karteikarte und Thomas Gottschalk einen leeren Post-it-Zettel kleben haben, da schlägt bei Kerkeling - und das macht den Unterschied - ein Herz.
ZDF muss auf einen Großen verzichten
Einen angemessenen Ton traf Kerkeling sowohl beim Gespräch mit den Eltern des ermordeten Mirco als auch beim Aufeinandertreffen einer der Überlebenden des Massakers von Utøya mit ihrem Lebensretter. Ebenso der Auftritt des querschnittsgelähmten Samuel Koch, der vor gut einem Jahr bei "Wetten, dass..?" verunglückte: Sichtlich bewegt hörte er dem jungen Mann im Rollstuhl zu, als der vom Körper erzählte, von dem er sich verabschieden müsse; auch von seinen Plänen, das Schauspielstudium fortzusetzen. Durchaus ein kleiner Coup, wie Kerkeling es schaffte, mit Verweis auf ein Rollenangebot beim ZDF-"Traumschiff" die Schwere des Sujets mit humoriger Leichtigkeit zu verbinden.
Wie hatte sich Blacky Fuchsberger doch gleich an das erste Treffen mit Hape Kerkeling vor mehr als 20 Jahren erinnert? "Er war ein bildhübscher Jüngling und ich sagte: Der wird einmal ein Großer. Ich danke, dass er mich nicht Lügen gestraft hat." Beim ZDF dürfte man bei diesen Worten nicht zum letzten Mal mit den Zähnen geknirscht haben.