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"ZDF Magazin Royale" "Die Polizei macht nichts im Internet, juchei!": Böhmermanns entlarvendes Experiment belastet die Polizei

Jan Böhmermann in "ZDF Magazin Royale"
In der letzten Folge des "ZDF Magazin Royale" vor der Sommerpause fühlte Jan Böhmermann mit seinem Team bei der Polizei beim Thema Internetkriminalität auf den Zahn
© ZDF
Wie gut funktioniert die Strafverfolgung von Hasskommentaren im Internet? Das wollte das Team vom "ZDF Magazin Royale" mit einem Experiment herausfinden. Das Ergebnis: ernüchternd. Dafür gibt es nun immerhin einen neuen Polizeisong von Jan Böhmermann.
Von Simone Deckner

Der Pol1z1stensohn hat wieder zugeschlagen – und wie. In seiner letzten "ZDF Magazin Royale"-Sendung vor der Sommerpause hat Jan Böhmermann Deutschlands Polizei ziemlich alt aussehen lassen. Worum es ging? Um ein Thema, dass jede:r, der schon einmal länger als eine halbe Minute im Internet verbracht hat, kennt: Hasskommentare, genauer: strafbare Hasskommentare. 

Wie gut funktioniert eigentlich die Strafverfolgung von Hasskommentaren im Netz? Das wollten Böhmermann und sein Team wissen. Denn: "Aus Straftaten im Internet werden ziemlich schnelle Straftaten im richtigen Leben", so der Moderator. Als Beispiele nannte er den Mord an Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke, den Anschlag auf die Synagoge in Halle, die rassistischen Morde von Hanau und den Todesschützen von der Tankstelle in Idar-Oberstein – "nur einer von vielen Verbrechern, deren Laufbahn im Internet begonnen hat", so Böhmermann.

Deshalb startete das "ZDF Magazin Royale"-Team bereits im August 2021 "ein kleines Experiment". In allen 16 Bundesländern schwärmten Korrespondent:innen aus und wollten Anzeige erstatten wegen strafbarer Hasskommentare aus dem Netz. Die Hassbotschaften waren allesamt echt: vom verbotenen Hakenkreuz-Bild und Heinrich-Himmler-Zitat bei Telegram über Volksverhetzung auf Twitter bis hin zu Todesdrohungen gegen Christian Drosten. Der Hashtag zu Sendung: #polizeikontrolle.

"Mei, ist halt das Internet!"

Doch schon allein eine Anzeige zu erstatten, erwies sich auf einigen Polizeidienststellen als schwierig: "Sie haben was im Internet gefunden? Vielleicht sollten sie es mal beim Verbraucherschutz versuchen", riet etwa ein Polizist aus Sachsen-Anhalt. So was sei "keine Polizeiarbeit". Die Antwort in Bayern fiel ähnlich desillusionierend aus: "Mei, is’ halt das Internet!" Da die Korrespondent:innen zwar Undercover, aber nicht verdrahtet oder mit versteckter Kamera unterwegs waren, musste als Beweismaterial Gedächtnisprotokolle genügen.

In Phase Zwei des Experiments begann das Warten. Nach neun Monaten gaben sich die Mitarbeiter:innen der Comedy-Show schließlich bei der Polizei zu erkennen und fragten nach, was denn aus ihren Anzeigen geworden sei? Jan Böhmermann grinste verschmitzt: "Da gab es erst mal ein großes Hallo bei einigen Pressestellen der Polizei."

Polizei ermittelt gar nicht – oder schleppend. Was es in nur wenigen Fällen gab: die erhoffte Strafverfolgung. In Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Saarland wurde etwa das Verfahren über das Hakenkreuz-Foto eingestellt, "da der Täter nicht ermittelt werden konnte." Erfolgreicher waren da schon die Kolleg:innen in Baden-Württemberg. Sie hatten nicht nur einen Tatverdächtigen ermittelt, sondern ihn auch bereits zu einer Geldstrafe verurteilt. Genüsslich zitierte Jan Böhmermann aus einer Stellungnahme der Polizei Berlin, in der diese mitteilt, dass die Ermittlungen noch im Gang seien. "Ihr könnt die Strafverfolgung einstellen, der Täter ist bereits seit über einem halben Jahr verurteilt", so Böhmi süffisant, "aber mal im Ernst: Sollten unseriöse Unterhaltungsendungen wie unsere wirklich die Koordination von Polizei und Staatsanwaltschaften bei Strafverfahren im Internet übernehmen?"

Mit dem Experiment belegte das "ZDF Magazin Royale" drastisch, was die Juristin Elisa Hoven von der Uni Leipzig in der Sendung zuvor gesagt hatte: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, aber das Internet ist oftmals ein rechtsdurchsetzungsfreier Raum. Es werden Straftaten begangen, aber wir verfolgen und bestrafen die Täter nicht." Strafverfolgung ist in Deutschland Ländersache. Hoven: "Das kann zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen in den Ermittlungen führen." Wie Böhmermanns Experiment deutlich zeigte: Ob und wie intensiv ermittelt wird, hängt davon ab, in welchem Bundesland man Anzeige erstattet.

Im Fall eines rassistischen Facebook-Posts wurde das besonders bizarr illustriert: In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg wurde die Anzeige und alle anderen ebenfalls gar nicht erst angenommen. In Bremen verhinderte angeblich ein "ausgefallenes Computersystem", dass die Anzeige aufgenommen werden konnte. Die Konsequenz nach neun Monaten: Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach den Enthüllungen des "ZDF Magazin Royale" jetzt doch – aber gegen die Polizei Bremen! Der Vorwurf: mögliche Strafvereitelung im Amt, es wurde interne Ermittlungen aufgenommen, der Polizist hat ein Disziplinarverfahren am Hals.

"Alles dicht machen" – die besten Twitter-Reaktionen #AlleNichtGanzDicht

Andere Dienststellen taten sich schwer damit, den Klarnamen des Hate-Posters herauszufinden. "Das haben unsere Spezialistinnen in einer sehr aufwändigen Investigativrecherche in 30 Sekunden bei Facebook herausgefunden", spottetet Böhmermann. Immerhin: In sieben Bundesländern funktionierte das auch. "Hier kann die Polizei auf ihren Dienstrechnern offenbar auf Facebook zugreifen und lesen", ätzte Böhmermann.

"ZDF Magazin Royale": Jan Böhmermann mit neuen Polizeisong

Doch in der Gesamtbetrachtung schnitt die Polizeiarbeit im Netz äußerst enttäuschend ab. "Ich habe den begründeten Verdacht, die deutsche Polizei kann nichts im Internet", kommentierte Böhmermann den Ausgang des Experiments. Kaum sachdienlichen Hinweise zu finden im Neuland. "Das macht einen fertig: als Bürger und als Vorsitzender der deutschen Polizistensohngewerkschaft", sagte der Moderator und fing an zu singen. Bei "Die Polizei ist nicht im Internet" rappte er nicht wie bei "Ich hab Polizei" (2016), sein Song war eher von der Sorte volkstümlicher Gassenhauer zum kritischen Mitschunkeln.

Der Text hatte es in sich: "Es gibt da einen Ort, wo kein Streifenwagen hält / komm’ in Deutschlands größtes Dunkelfeld" oder "Im Darknet all’ der Judenhass / Darknet, häh? Wo iss’n das?", fassten das ganze Dilemma noch einmal punktgenau zusammen. Alle Rechercheergebnisse zum Experiment finden sich natürlich im Netz: auf der Website tatütata.fail. Wer diese anklickt, sieht dort auch die Fehlermeldung 404: All Cops are busy. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. 

Mit den Worten "Alle bis auf unsere Rechtsabteilung machen jetzt Sommerferien", verabschiedete sich Jan Böhmermann in die Pause. Anfang September geht es weiter mit dem "ZDF Magazin Royale".

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