Weil ein Wechsel wahrscheinlich ist und viele ihn erhoffen, ist die aktuelle Publizistik voll von Bilanzen der letzten acht Regierungsjahre in den USA. Das Meinungsbild in Deutschland ist eindeutig: An der Spitze der letzten verbliebenen Supermacht, des starken und grundsätzlichen westlichen Verbündeten, hat mindestens ein ziemlicher Depp gestanden, wenn nicht gar ein gefährlicher Fundamentalist. Die USA habe er in ein "Kriegsabenteuer" gestürzt, heißt es jetzt fast überall. Die Verbündeten habe er vor den Kopf gestoßen, weltpolitische Alleingänge geliebt und sich an freiheitlichen Werten vergangen. Durch Gier und Größenwahn habe er die ökonomische Krise mitverschuldet, von den ökologischen Herausforderungen verstehe der evangelikal Verblendete nichts. "Absurd" sei es gewesen, wie der Cowboy mit dem locker sitzenden Colt ausgerechnet im Irak Massenvernichtungswaffen vermutet habe und die Welt billig täuschte. So weit, so gut. Das Abschlusszeugnis, das alle deutschen Meinungsbildner und Kommentatoren George W. Bush ausstellen, ist schlicht verheerend. Fast kann man froh sein, dass die Welt noch steht.
Nichts gegen ein kraftvolles Urteil
Gegen kraftvolle Urteile ist nichts einzuwenden - wenn sie sachlich belegt und logisch begründet sind. Was stört, ist dieser journalistische Herdentrieb. Er ist so billig. Nicht, dass wir nun gute Worte für George W. Bush einlegen wollen, für laue Ausgewogenheit oder gar auf mildernde Umstände plädieren. Nichts gegen den, der seinem Urteil treu bleibt oder eine Veränderung seiner Haltung plausibel zu erklären weiß. Sehr wohl aber ist etwas gegen diejenigen einzuwenden, die jetzt eifrig und beflissen verheerende Bilanzen ziehen, dabei aber eins nicht tun: sich erinnern. Denn zur Erinnerung gehört auch, Rechenschaft über das eigene Tun abzulegen.
Was nicht vorkommt: Selbstreflexion
"Bushs Stärke ist nicht seine Politik, sondern seine Persönlichkeit", hieß es am 17. Oktober 2004 in der "Welt am Sonntag", "die Wähler mögen ihn, weil er optimistisch ist und als netter Kerl 'rüberkommt". "Bush verkörpert wie kein Zweiter den Wertewandel", analysierte distanziert und kritisch die "Süddeutsche Zeitung" ein Wochenende später, während die "FAZ" am 5. November zum Wahlsieg George W. Bushs kurz und knapp schrieb: "Es ist die Moral, Dummkopf!".
Zur Person
Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.
Lohnt es sich nicht, an solche Analysen zu erinnern? Oder auch an den "offenen Brief", den Ende März 2003 die CDU-Vorsitzende Angela Merkel aus Anlass des völkerrechtlich nicht legitimierten Krieges an die Mitglieder schrieb: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass vieles, was gestern noch selbstverständlich war, heute zur Disposition steht", hieß es da - und: "den Einsatz militärischer Gewalt als letztes Mittel kategorisch auszuschließen, halte ich für unverantwortlich." Lediglich "echtes Mitgefühl" und "Friedenssehnsucht" mochte die heutige Kanzlerin den damaligen Gegnern des Irak-Krieges konzedieren. Führte dieser Brief zu einem Sturm der Entrüstung? Nein, viele Kommentatoren hielten stattdessen das "Nein" des Duos Schröder/Fischer für blanke Wahlkampftaktik. Nach dem Merkel-Brief schrieb in der "Zeit" ein als "Vordenker der irakischen Opposition" apostrophierter Autor: "Die Bomben sind Musik für mich." Alles das ist selbstverständlich legitim. Aber wie verträgt es sich mit der jetzigen Klugheit ex post?
Zum Irak hagelte es harsche Fernsehkritik
Der damals noch außenpolitisch engagierte CDU-Politiker Friedbert Pflüger preschte im Jahr 2003 vor. "Unverkennbar" seien "Schadenfreude bei amerikanischen Verlusten" und "Rückschlägen der Allierten", hielt er den TV-Berichterstattung vor. Der heutige Chef des ZDF-Fernsehrats Ruprecht Polenz (CDU) sah im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg eine "mit der deutschen öffentlichen Meinung" einhergehende "Schlagseite". Die FAZ nahm sich des ARD-Reporters Christoph Maria Fröhders an, der von vor Ort nur nach Augenschein, "ohne es belegen zu können", berichtete, dass die Bomben der Amerikaner "wohl eher zivile Einrichtungen getroffen haben." Eine "gewisse Naivität", ja "Häme" wirft ihm der FAZ-Medienkritiker vor.
Derweil beschäftigte sich sogar die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten mit ausgestrahlten Bildern gefangener US-Soldaten und der ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut erwog öffentlich, aus Gründen der Pietät auf die reguläre Ausstrahlung von "Wetten, dass ...?" zu verzichten. In welchem Rückblick auf die Bush-Zeit kommt das vor? Oder das endlose Sinnieren über die Naivität der Kriegsgegner? Oder das eigene Nacherzählen der Märchen von den Massenvernichtungswaffen, von denen doch "Focus" sogar Fotos vorzuzeigen hatte. Alle, die es jetzt so selbstsicher ganz genau wissen, was für ein gefährlicher Versager dieser George W. Bush immer schon war, sollte man schlicht fragen, wann sie selber denn was dazu geschrieben haben. Hätten sie es nicht früher wissen können?
Erinnerung ohne Zeigefinger
Jede Erinnerung, die nur mit dem Zeigefinger herumfuchtelt, wirkt halbherzig. Wahre Erinnerung ist immer auch Selbstkritik. Deftig und heftig sind nun die Verurteilungen des George W. Bush in der deutschen Öffentlichkeit. Manche davon muten ähnlich klug an wie das Statement von Heidi Klum und ihrem Sängergatten "Seal", falls McCain die Wahl gewinne, würden sie auswandern. Die Geschichte des wankelmütigen Verhältnisses der deutschen Öffentlichkeit zu Bush ist noch nicht geschrieben. Deshalb hat die deutsche Sehnsucht nach Obama auch den Beigeschmack von Verdrängung.