Am 8. März 2014 steigt um 0.42 Uhr eine Boeing 777 in den Himmel über dem Flughafen Kuala Lumpur auf. An Bord der Maschine von Malaysia Airlines befinden sich 227 Passagiere und zwölf Crew-Mitglieder, es soll nach Peking gehen. Alles deutet auf einen normalen Nachtflug hin, doch daraus wird das größte Rätsel der Luftfahrtgeschichte.
Denn in der chinesischen Hauptstadt kommt das Flugzeug niemals an, und auch nirgends sonst. Stattdessen geschieht das Unvorstellbare: Flug MH370 verschwindet einfach. Um 1.21 Uhr ist das Flugzeug nicht mehr auf den Radaren zu sehen. Eine großangelegte Suche beginnt, doch bis heute ist nicht abschließend geklärt, was in jener Nacht tatsächlich geschah. Die neue Netflix-Doku-Serie "MH370: Das verschwundene Flugzeug" lässt Angehörige der Menschen an Bord ebenso zu Wort kommen wie Experten, die sich seit Jahren intensiv mit dem Fall beschäftigen – und versucht, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Angehörige misstrauen der offiziellen Version
Offiziell ist der Fall MH370 seit 2018 abgeschlossen. Die malaysischen Behörden gehen auf Grundlage von Satellitendaten davon aus, dass jemand an Bord des Flugzeugs die Kommunikationssysteme ausschaltete und die Maschine in die entgegengesetzte Richtung zurücksteuerte. Als der Treibstoff zur Neige ging, soll die Boeing in den Indischen Ozean gestürzt sein. Später wurden einzelne Teile entdeckt, die zu dem Flugzeug gehören sollen. Das Wrack wurde jedoch nie gefunden, alle Menschen an Bord wurden für tot erklärt. So weit die offizielle Version.
Doch viele Angehörige der Verschwundenen misstrauen dieser Version, sie werfen der malaysischen Regierung vor, Informationen zurückzuhalten. Und auch einige Experten sind nicht überzeugt und suchen nach anderen Experten. Denn, wie es der Luftfahrtjournalist Jeff Wise in der Doku gut zusammenfasst: "Flugzeuge landen und Flugzeuge starten. Was Flugzeuge nicht tun, ist, sich einfach in Luft aufzulösen." Doch genau das scheint hier der Fall zu sein.

Netflix-Doku: Drei Theorien zu MH370 – eine abenteuerlicher als die andere
Wise und andere Journalisten, Luftfahrtexperten, Angehörige und Abenteurer haben sich lange mit dem Verschwinden von MH370 beschäftigt, in Internetforen wurde der Fall intensiv diskutiert. Die Netflix-Doku-Serie zeigt in drei Folgen drei unterschiedliche mögliche Erklärungen. Die erste scheint die naheliegendste zu sein: Der Pilot soll erweiterten Suizid begangen haben, indem er das Flugzeug mitsamt 238 weiteren Menschen in den Ozean steuerte. Einen ähnlichen Fall gab es 2015, als der deutsche Co-Pilot einer Germanwings-Maschine das Flugzeug in den Alpen abstürzen ließ.
Die zweite Theorie klingt deutlich abenteuerlicher: Jeff Wise hält es zumindest für möglich, dass russische Agenten das Flugzeug entführt und nach Kasachstan gesteuert haben. Der Journalist zeigt Parallelen zum Absturz von Flug MH17 auf – das Flugzeug wurde nur vier Monate später von einer russischen Rakete getroffen, 298 Menschen starben. Angeblich wollte Russland mit der Entführung von MH370 von seiner Invasion auf der Krim ablenken. Auch dass Flugzeugteile einer Boeing 777 im Indischen Ozean gefunden wurden, überzeugt Wise nicht. Er hat den Verdacht, die Funde könnten inszeniert sein.
Mindestens ebenso gewagt kommt die dritte Theorie daher: Eine Journalistin vermutet, die USA könnten das Flugzeug abgeschossen haben, weil damit Kriegstechnologie nach China geschmuggelt werden sollte. Möglicherweise habe die Passagiermaschine Aufforderungen der US-Kampfjets zum Landen ignoriert.
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Auch nach neun Jahren keine überzeugende Erklärung
Keine dieser Versionen vermag in der Netflix-Doku wirklich zu überzeugen, es fehlt an Beweisen. Im Gegenteil: Ihren Verfechtern ist sehr wohl bewusst, wie abenteuerlich ihre Erklärungsversuche klingen – entsprechend vorsichtig sind sie oft formuliert. Das Problem ist allerdings: Eine überzeugendere Theorie zum Verschwinden von MH370 gibt es auch nicht, wenn man der offiziellen Version nicht glauben möchte. So bietet die Dokumentation viele Spekulationen und wenige verlässliche Erkenntnisse.
Das klingt nach einem Agententhriller, wäre es nicht ein Fall, der viele Menschen direkt betrifft. Netflix holt auch Angehörige von Passagieren und Crew-Mitgliedern vor die Kamera. Sie machen deutlich, wie groß ihr Schmerz auch nach neun Jahren noch ist. Das Schicksal von Flug MH370 wird weiterhin ein großes Mysterium bleiben, vielleicht sogar für immer. Für die Familien ist das die größte Bürde: einfach nicht abschließen zu können.