Neue Dokumentation bei Netflix Trotz Rassismus- und Diskriminierungsskandalen: Warum junge Leute Abercrombie & Fitch wieder cool finden

  • von Gerrit-Freya Klebe
Zwei Frauen in Jeans von Abercrombie & Fitch
Ein Bild aus der neuen, diversen Abercrombie & Fitch- Kampagne
© Abercrombie & Fitch
Das Modeunternehmen Abercrombie & Fitch machte in der Vergangenheit vor allem durch Rassismus- und Diskriminierungsskandale auf sich aufmerksam. Doch nach einem Rebrand gilt es bei jungen Leuten wieder als cool. Zuletzt ging eine Jeans des Labels bei TikTok viral – und war kurzerhand ausverkauft.

Eine junge Frau trägt eine Jeans von Abercrombie & Fitch und sagt in die Kamera: "Ich bin viel zu unbekannt, als dass mich jemand für meine Meinung bezahlen würde. Also hört auf mich: Das ist die beste Jeans. Seht ihr meinen Hintern dadrin? Und sie ist so stretchig! Ich wollte nur sagen: Kauft diese Jeans." 

Das ist kein Video aus dem Archiv, sondern aus dem Jahr 2022 von TikTok-Userin "mediumfries". Unter dem Post steht der Hashtag #tiktokmademebuyit. 67.000 Menschen haben das Video geliked, fast 500 kommentiert und fast 600.000 haben es angesehen. Abercrombie & Fitch ist wieder angesagt bei jungen Menschen, vor allem bei der Generation TikTok. Dabei war das US-Modeunternehmen in den letzten Jahren vor allem durch seine diversen Skandale ein Thema in den Medien. Es ging um Rassismus, Bodyshaming, Diskriminierung und ein fragwürdiges Menschenbild. In der neuen Netflix-Dokumentation "Abercrombie & Fitch: Aufstieg und Fall" kamen zuletzt ehemalige Mitarbeitende und Models zu Wort, die nichts Gutes zu berichten wussten: Das Unternehmen hatte Milliarden mit der Ausgrenzung anderer verdient.

Was ist also passiert? Wie konnte A&F wieder cool werden?

Am Anfang stand ein Rebranding der Marke Abercrombie & Fitch

2006 verkündete der damalige CEO Mike Jeffries, er wolle "junge, gutaussehende, coole Menschen" in seinen Stores haben. Später präzisierte Jeffries, er wolle keine Mode für "dicke Menschen machen und diese auch nicht in seinen Läden sehen" und strich die Größen XL und XXL aus dem Sortiment. Ein massiver Shitstorm folgte. Endlich wurde auch nach außen hin publik, was intern schon vor sich hin schwelte, denn: Es gab genaue Richtlinien, wie neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszusehen hatten. Die standen sogar in einem Guideline-Buch, wie die Netflix-Doku nun enthüllte. Und: Das Aussehen der Angestellten wurde wöchentlich bewertet. Wer nicht mehr den Guidelines entsprach, wurde kurzerhand gefeuert. Doch nicht nur Bodyshaming war eines der Markenzeichen des Labels.

Auch Rassismus spürten viele Mitarbeitende: So durften Angestellte mit Migrationshintergrund nicht als Verkäufer arbeiten, sondern sollten sich im Lager aufhalten, um nicht der Kundschaft zu begegnen. Mit diesem Geschäftsmodell betrug der Umsatz 2013 noch 4,5 Milliarden Euro, wie das "Handelsblatt" berichtete. Zum Vergleich: Auf seiner Website spricht das Unternehmen heute von 3,7 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 3,5 Milliarden Euro) für das Jahr 2021.

Abercrombie & Fitch wurde 2016 vom Magazin "Fortune" zum "meistgehassten Händler in den Vereinigten Staaten" gekürt. Klagen folgten. Zwei muslimische Frauen bekamen in einem Vergleich 71.000 Dollar zugesprochen: Sie wurden wegen ihres Kopftuchs diskriminiert. Auch eine Frau mit Armprothese trat vor Gericht, weil sie nur im Lager und nicht in den Verkaufsräumen arbeiten durfte. Und dann, am Tiefpunkt, verließ CEO Mike Jeffries das Unternehmen nach mehr als zwei Jahrzehnten im Dezember 2014. Das Magazin "Bloomberg" porträtierte ihn später und schrieb von einem blondierten Mann, der täglich ins Fitnessstudio ging, und selbst zahlreiche Schönheitsoperationen hinter sich hatte. Ein Mann, der einem ewig jungen Ideal hinterhereiferte und dabei die Realität übersah.

Nach seinem vielfach als mysteriös beschriebenen Abgang gab es ein massives Rebranding der Marke Abercrombie & Fitch, das einen Prozess in Gang brachte. Eine Frau, Fran Horowitz, wurde 2017 CEO des Konzerns. Das Store-Konzept wurde überholt: Statt dunkler Läden mit lauten Bässen, einem penetranten Parfüm-Geruch und Mitarbeitern mit freiem Oberkörper, setzt Abercrombie & Fitch inzwischen auf einen cleanen, modernen Look. Der neue Raumduft wird explizit als "neutral" beschrieben. Man wolle sich weiterhin auf das Kerngeschäft konzentrieren: Jeans und Pullis und schlichte Basics für eine junge Zielgruppe. Wer die Website aufschlägt, liest als erstes: "This is Abercrombie Today: Heute – und jeden Tag – führen wir mit Zielstrebigkeit, setzen uns für Inklusion ein und schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit." Ihre skandalgeprägte Vergangenheit nennen sie hier nun "Reise".

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Auch wird für das "Abercrombie Equity Project" geworben, mit dem sich der Konzern "für soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus" einsetzen will. Und natürlich darf heutzutage bei einem Label, das eine junge Zielgruppe erreichen will, das obligatorische Nachhaltigkeitsversprechen nicht fehlen. Bei A&F liest sich das so: "Wir werden weiterhin alles in unserer Macht stehende tun, um unsere Versprechen einzuhalten, unseren Wasserverbrauch in der Produktion zu reduzieren, vorwiegend auf erneuerbare Energie zu setzen und umweltfreundliche Materialien zu verarbeiten." Trotzdem finden sich in der Kollektion diverse Teile aus Polyester und Acryl. Über das Produktionsland wird online gar nicht transparent informiert.

Der ehemals populäre Schriftzug taucht auf den Shirts der aktuellen Kollektion gar nicht mehr auf. Stattdessen gibt es nun einfarbige Basic-Shirts in der Herrenkollektion. Wenn ein Schriftzug darauf zu lesen ist, dann sind es bekannte Namen wie die Bands Queen oder Led Zeppelin. Zeichnungen von Picasso und Monet gibt es auch als Prints. Es wirkt ein bisschen so, als stünden nun andere, positiv assoziierte Namen statt des eigenen auf der Brust. Auch TikTok-User "andy_lobos" präsentiert seinen überrraschten Followern einen einfarbigen Abercrombie-Hoodie ohne Print und bekommt dafür knapp 124.000 Likes.

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Auch lesen sich die Bezeichnungen der Artikel "Flirty Drama Minikleid" oder "Frecher Korsett-Einteiler" nicht unbedingt zeitgemäß. Immerhin die "Curve Love Jeans" werden auch von Frauen mit Kurven präsentiert. Das kann man Abercrombie & Fitch tatsächlich nicht mehr vorwerfen: Die Models sind divers gecastet worden: schwarz, weiß, curvy, skinny, Plus Size. Einzig Brillenträger scheinen in den Augen der A&F-Verantwortlichen nicht zu existieren.

Es ist eine neue Marketing-Strategie

Abercrombie & Fitch tut also das, was es auch schon vor 20 Jahren am besten konnte: Es hat eine erfolgreiche Marketing-Kampagne auf die Beine gestellt. Und dass diese divers und vielfältig ist, ist heutzutage einfach ein Muss. Abercrombie & Fitch haben TikTok als die ideale Plattform für ihre Marketingstrategien auserkoren: "In den letzten Jahren haben wir uns sehr darauf konzentriert, unseren Kunden zuzuhören, und TikTok ist die perfekte Plattform, um diese Kommunikation zu fördern", sagte Carey Collins Krug, Senior Vice President und Marketingleiterin von Abercrombie Brands, gegenüber der "Teen Vogue". "Wir beobachten die Rezensionen und die Hauls unserer Produkte. Wir machen uns Notizen, wie die Leute die Qualität und die Passform beschreiben. TikTok und seiner gesamten Community wohnt eine Authentizität inne, die es uns ermöglicht hat, Abercrombie zu vermenschlichen." Es gab Kooperationen mit Plus-Size-Bloggerinnen und diversen Influencern. Auch auf Instagram hat die Marke fast 5 Millionen Follower.

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Die TikTok-Userinnen und User scheinen das neue Gesicht von Abercrombie & Fitch glaubwürdig zu finden oder zumindest nicht nachtragend zu sein. Sie tragen wieder gerne die Jeans des Unternehmens, zuletzt am liebsten die "The 90s Straight Ultra High"-Jeans.

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