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Die letzten Schatztaucher von Bangkok Sie bergen Schätze aus der Dunkelheit des dreckigen Flusses – während ihre Welt versinkt

Märkte besuchen die Taucher immer seltener, das meiste verkaufen sie online.
Wenig Strömung, viel Müll, eine braune Brühe: Aus diesem Fluss holt Udom Khamking seit mehr als 45 Jahren mal kleinere, mal größere Schätze heraus.
Der Thailänder ist der älteste von 19 Tauchern, die mit ihren Familien in einer Siedlung am Ufer des Chao Phraya in Bangkok wohnen.
Der 70-Jährige ignoriert den Smog, den Müll, die Farbe des Wassers. Er achtet nur auf die Uhr: Zwischen zehn und elf herrscht am wenigsten Verkehr auf dem Fluss.
Die Taucher leben von dem, was sie finden: wertvolle Amulette, alte Amphoren, chinesisches Porzellan, Schmuck, Statuen, Fahrräder, Altmetall. Udom hat sogar schon einmal eine Rolex geborgen.
Die Männer ankern in unmittelbarer Nähe eines Tempels und eines Piers für Ausflugsdampfer. Ein idealer Ort zum Schatztauchen.
Udom schaltet den Luftkompressor an, während sein Sohn Khampol eine selbstgebaute Taucherglocke aufsetzt.
Zusammengeschweißt aus einem zersägten Aluminiumtank und rostfreiem Stahl erinnert der Helm an Equipment aus dem 18. Jahrhundert.
Der Sauerstoff strömt durch den Schlauch ins Innere und bildet eine Luftblase – so bleibt der Kopf trocken.
Khampol sinkt 20 Meter in die Tiefe. Ganz unten angekommen, sieht er nichts mehr.
Das sei vielleicht besser so, sagt Udom. Im Kopf müsse man stark sein da unten. Die Fantasie sei sein größter Feind.
Unten kriechen die Taucher auf allen Vieren im Kreis, durchwühlen mit Füßen und Händen den Schlamm. Sie sehen mit den Fingern.
Bei diesem Tauchgang haben sie Glück: Sie finden ein altes Messer mit einem geschätzten Wert von etwa 15 Euro. 
Der Mindestlohn in Thailand liegt bei 8,50 Euro – pro Tag.
Zufrieden fahren die Männer nach Hause. 
Doch ein Gedanke beunruhigt sie: Sehr bald könnten sie ihre komplette Existenz verlieren.
Die Militärregierung bedroht ihre Gemeinde: Die Pfahlbauten sollen für eine neue Uferpromenade abgerissen werden. 
Die Bewohner sollen in die Stadt Nonthaburi zwangsumgesiedelt –fernab ihrer Lebensader.
Für Udom würde es das Ende seiner 47-jährigen Schatztaucherkarriere bedeuten.
Im Entwurf des neuen Stadtplans von Bangkoks ist kein Platz mehr für Taucher und ihre Tradition.

Die letzten Schatztaucher von Bangkok sollen vertrieben werden. Ihre Hoffnung? Buddha. Und das Ergebnis der Wahlen vom Sonntag.
Von Tim Cappelmann

Wenn ihm alles zu viel wird,  die Stadt, der Lärm ihrer ­Straßen, der Smog und die Massen von Menschen, wenn er Ruhe braucht, sagt der alte Udom, dann öffnet er eine Klappe in der Terrasse, steigt durch die Luke hinab in sein Longtailboot, das unter dem Pfahlhaus im Wasser liegt, und fährt raus bis zur Mitte des Stroms. Dort ist Ruhe.

Vielleicht sieht er deswegen nicht aus wie jemand, dem oft alles zu viel wird. Udom Khamking ist einer der letzten Schatztaucher von Bangkok und mit seinen 70 Jahren der Älteste unter ihnen. Mit seinem Sohn lebt er in einer Siedlung am Ufer des Chao Phraya, dem "Fluss der Könige". Holzstege verbinden die kleine Gemeinschaft aus 19 Tauchern und ihren Familien. In einem der Wohnzimmer sitzt eine Großmutter auf dem Boden, der Röhrenfernseher dröhnt laut aus einer Ecke. Sie hält eine Angelschnur in den Fingern, die zwischen den Dielen ins ­Wasser läuft. In einem Eimer neben ihr stapeln sich die Welse. Bunte Vögel zwitschern in Käfigen. Ein paar Kinder jagen Katzen hinterher. Nachts, erzählt Udom, fingen sie oft Garnelen. Das Leben ist gut, denn der Fluss gibt.

Wenig Strömung, viel Müll, eine braune Brühe

Gegenüber der Pfahlbausiedlung ragt das ­Hotel Riverside Bangkok in den Himmel, und davor flanieren Touristen über die Uferpromenade, die Udoms Welt bald zum Verhängnis werden soll. Doch davon später mehr, es ist schon halb elf, er muss jetzt los, die Rushhour ist vorbei, zwischen zehn und elf Uhr herrscht am wenigsten Verkehr auf dem Fluss. Die Routen der Fähren kennen die Taucher genau. Sie ankern dazwischen, um die Schätze des Flusses zu bergen. Dichter Smog umhüllt die Stadt. Flugblätter warnen vor der Luftverschmutzung, man solle einen Mundschutz tragen. Auch das Niedrigwasser macht nicht gerade einen sauberen Eindruck. Wenig Strömung, viel Müll, eine braune Brühe. Wie sieht es so mit Hautkrankheiten aus? ­Kolibakterien? Durchfall? Typhus?

"Ein idealer Tag zum Tauchen", ruft Udom und schwingt sich von seiner Holzbank über die Brüstung eine Leiter runter zum Fluss. Dort warten schon Sohn Khampol, 47, und in einem zweiten Boot Großneffe Thawit Chongbandit, 34, mit Tauchbuddy Prayat Seangthong, 50. Sie steuern ihre Longtails südwärts, unter der Rama-VIII-Brücke hindurch, die "Brücke der Selbstmörder". Leichen finden Udom und die anderen regelmäßig. Sie lassen sie meistens liegen, mit der Polizei wollen sie keinen Kontakt. Die Körper Verstorbener bergen sie nur, wenn Angehörige sie beauftragt haben. "Wenn wir unten jemandem ohne Helm begegnen, wissen wir, das ist keiner von uns", sagt Udom und lacht. Ab und an bucht ein Reeder sie, um nach Fracht zu suchen, die über Bord gegangen ist, oder um eine Schiffsschraube zu warten. Oder sie sammeln die eigene Ausrüstung vom Grund, wenn eins ihrer Boote gekentert ist. Alles schon passiert.

"Da unten liegt ein riesiger Schrottplatz"

Udom lacht viel, und dabei ragen seine Schneidezähne zwischen riesigen Lücken fast waagerecht aus seinem Mund. Seit 1972 arbeitet er als Taucher im Chao Phraya, erzählt er, und er sieht ziemlich fit aus für sein Alter und ein tägliches Bad in einem der dreckigsten Flüsse Asiens.

Eine Viertelstunde später ankern die vier Männer vor der Phra-Pin-Klao-Brücke, unweit eines Piers für Ausflugsdampfer und eines Tempels. Beides gute Orte, um in der Nähe nach Schätzen zu suchen. Eine Rolex hat Udom so schon mal geborgen, wertvolle Amulette, alte Amphoren und Münzen, chinesisches Porzellan, Schmuck, Statuen, Fahrräder, Motoren, Altmetall. Der kostbarste Fund: ein Goldklumpen in Schiffsform, rund 400 Gramm schwer. "Da unten liegt ein riesiger Schrottplatz", sagt Udom, "jeder Besuch bringt eine Überraschung".

Joko und Klaas auf dem Cover der JWD, Ausgabe 10
© Sebastian Mowka

Ein Artikel aus ...

... JWD. Joko Winterscheidts Druckerzeugnis. Die zehnte Ausgabe gibt es ab 28. Februar am Kiosk – oder hier.

Die Taucher leben von dem, was sie finden, und sie leben zufrieden. Mentholzigaretten fliegen ins Wasser, dann geht alles sehr schnell. Udom reißt den Luftkompressor an, und jetzt stinkt die schwül-stickige Luft nach Benzin, die Maschine knattert laut. Sein Sohn kniet vorn im Boot nieder und betet still. Er bittet Buddha, ihn zu beschützen.

Jeder von ihnen hat mal erlebt, dass der Kompressor ausfällt, das Schlimmste, was passieren kann. Nur wenige Atemzüge bleiben dann, um sich an der Ankerleine an die Oberfläche zu hangeln. Die Taucherglocke ist ein Eigenbau, zusammengeschweißt aus einem zersägten Aluminiumtank und rostfreiem Stahl, mit Blei beschwert. Bereits im 18. Jahrhundert arbeiteten Taucher mit solchen Glocken. Khampols Helm wiegt etwa 24 Kilo und würde in jedes Steampunk-Museum passen. Allein um ihn aufzusetzen, braucht er einen Partner. Dafür fühlen sich die Flusstaucher darin sicher, er schützt sie vor Schiffsschrauben, Treibholz, Metallstangen.

Habt ihr auch Angst? "Go deep or go home!", ruft Thawit, der Jüngste

Udom stülpt seinem Sohn die Glocke über, und der taucht ab. Der Sauerstoff strömt durch den Schlauch ins Innere und bildet eine Blase, sein Kopf bleibt trocken. Er hört nichts, bis auf das Rauschen der Luft. Das Blei zieht nach unten, die Blase im Helm drückt nach oben. So sinkt Khampol langsam 20 Meter tief auf den Grund des Chao Phraya. In eine finstere Welt. Er kann nichts sehen. "Das ist vielleicht besser so", sagt Udom. Im Kopf müsse man stark sein da unten. Die Fantasie sei der größte Feind. Erfahrungen zu machen das wichtigste Training. Die erste Regel: nie den Helm abnehmen. Ruhig atmen. Kontrolliere dich. Habt ihr auch Angst? "Go deep or go home!", ruft Thawit, der Jüngste.

Fischerjollen, Kähne und Taxiboote tuckern vorbei, die Kapitäne grüßen. Udom kennt alle auf dem Fluss, und  alle kennen ihn. Sein Meister war einer  der Ersten, die in einer Taucherglocke  hinabstiegen. Udom beobachtete ihn, als er mit Anfang 20 Antiquitäten am Ufer verkaufte. "Ich wollte das auch machen, unbedingt", erzählt er. 47 Jahre ist das her und Udom seitdem im Goldfieber. Er fährt raus so oft es geht, wenn Wetter und Strömung es zulassen jeden Tag. Der Chao Phraya ist die wichtigste Wasserstraße Thailands, 372 Kilometer lang, Zentrum des früheren Königreichs Ayutthaya. Seit jeher handeln die Menschen auf schwimmenden Märkten. Viele Siedlungen entstanden so auf dem Fluss, ohne Besitzurkunden, aber dafür oft eine Heimat seit Jahrzehnten. Auch die von Udom.

Sein Sohn wurde hier geboren, genau wie Thawit, mit 34 Jahren die jüngste Generation Schatztaucher. Eigentlich, sagt Udom und lacht wieder, hatte er geplant, hier auch zu sterben. Doch daraus wird nichts. Denn was der Fluss gibt, will die Militärregierung nehmen. Die Pfahlbauten sollen abgerissen werden und einer neuen Uferpromenade weichen, die Taucher nach Nonthaburi zwangsumgesiedelt werden, fernab ihrer Lebensader. "Selbst wenn man mir eine Million Baht anbietet, würde ich bleiben", sagt Udom. Aber die Junta bietet ihm nichts.

Tausenden Thai droht der Verlust ihrer Existenz

Die Generäle wollen das wild gewachsene Bangkok zähmen, aufräumen, kontrollierbar machen und attraktiv für Investoren. Ein zweites Singapur. Neubauten bringen mehr ein als der Schutz historischer Häuser, ganze Viertel wie China Town werden aufgekauft, Wohnstätten abgerissen, und wer sich wehrt, wird drangsaliert. Für Traditionen wie die der Flusstaucher ist auf dem Reißbrett kein Platz. Auch viele Straßen­händler und Garküchenbesitzer werden vertrieben. Tausenden Thai droht der Verlust ihrer Existenz. Flüchtlinge in der eigenen Stadt.

Am Sonntag wurden in Thailand knapp fünf Jahre nach der Machtübernahme des Militärs erstmals wieder Wahlen abgehalten. Um das Ergebnis wird gestritten, erst am 9. Mai soll es verkündet werden. Vielleicht, hoffen die Männer in ihren Booten, wird ein neuer Premierminister die Pläne der Junta ­ändern, vielleicht endet es doch noch glücklich für sie? Mit Glück kennen sich die Schatz­taucher aus. Der Putschgeneral Prayut Chan-o-cha liegt allen Umfragen zum Trotz vorn, er will Regierungschef bleiben. Mit Enttäuschungen kennen sich die Schatztaucher auch aus.

Einmal holte er versehentlich eine Granate hoch

Luftblasen zeigen Udom, wo sein Sohn Khampol gerade ist. Die Buddys wechseln sich ab, wer auf dem Boot bleibt, ist verantwortlich für die Sicherheit des anderen. Zieht Udom dreimal kräftig am Schlauch, heißt das: Auftauchen, sofort. Einen Neoprenanzug tragen sie nicht, bloß lange Hosen zum Schutz. Unten kriechen die Taucher auf allen Vieren im Kreis, durchwühlen mit Füßen und Händen den Schlamm. Um die Hüfte haben sie einen Beutel geschnallt. Wenn er voll ist, ziehen sie sich an der Ankerleine hoch, an der sie festgebunden sind. Udom sieht mit den Fingern, viele Narben zeugen davon. Er fühlt, ob eine Münze alt oder neu ist. Einmal trat er  auf einen Riesen-Süßwasserstechrochen. Es dauerte Tage, bis er wieder tauchen konnte. Noch heute verzieht er das Gesicht, wenn er davon erzählt. Ein anderes Mal holte er versehentlich eine Granate hoch. "Brachte keinen Baht, aber ging durch die Lokalnachrichten im Fernsehen." Seitdem kennt jeder in Bangkok die "menschlichen Frösche".

Bis zu zwei Stunden bleiben die Taucher unten. Manchmal blutet die Nase vom Druck, wenn sie zu schnell sinken, erzählt Udom, aber Dekompressionskrankheiten fürchten sie nicht. Vielmehr Krämpfe in den Waden. Nach 30 Minuten taucht der silberne Helm von Khampol auf. Udom bringt ihn mit Schwung aufs Deck und schaltet den Kompressor aus. Khampol hält ein altes Messer in der Hand, das er gefunden hat und reicht es Udom. 500 Baht schätzt der, während er die Klinge vom Schlamm befreit. Umgerechnet immerhin etwa 15 Euro. Der Mindestlohn in Thailand liegt bei 8,50 Euro – pro Tag. Khampol wäscht mit einem Sieb den restlichen Schlamm seines Beutels. Ein paar Münzen. Eine alte Pfeife. Ein normaler Arbeitstag.

"Wenn ich nicht mehr hier leben kann, bin ich wie ein Fisch ohne Wasser"

Die Männer sind zufrieden, Khampol holt den Anker ein, Thawit klappt den Sonnenschirm zusammen. Und Udom seufzt. "Wenn ich nicht mehr hier leben kann, bin ich wie ein Fisch ohne Wasser", sagt er und lacht in die Ruhe, vielleicht etwas zu laut. Dann reißt er den Motor an. Buddha sagt: Wenn du ein Problem hast, versuche es zu lösen. Kannst du es nicht lösen, dann mache kein Problem daraus. Die Taucher fahren zurück. Niemand weiß besser als der alte Udom auf seinem Fluss, wie ein Fisch ohne Wasser endet.

Diese Geschichte stammt aus der zehnten Ausgabe von JWD – Joko Winterscheidts Druckerzeugnis. Zu kaufen auch hier.

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