Schmuddelig, von der Politik un- und von der Jugend heißgeliebt: Der "PVH" in Hildesheim heißt eigentlich Hindenburgplatz und ist der ultimative Treffpunkt der Stadt. Doch darf er das bleiben?
Gibt es einen solchen Ort in jeder Stadt? Vermutlich. In Hildesheim, einer kleinen Großstadt nahe Hannover, ist es der Hindenburgplatz. Vieles an dieser Lokalität ist wirklich sehr rätselhaft. Aber sie ist seit jeher Treffpunkt der Jugendlichen aus Stadt und Landkreis, und Objekt entsprechender Hassliebe. Hassliebe deshalb, weil der Hindenburgplatz wirklich nicht schön ist, aus heutiger ästhetischer Betrachtung. Uneben gepflastert mit schmuddelig-rötlichem Klinker, dekoriert mit zwei großen, ringförmigen Betonbänken, inmitten der einen ein betönerner Springbrunnen in Rosenform, denn die Rose ist Hildesheims Wappenblume. Dass der Betonbrunnen jedoch eine Rose darstellen soll, weiß vermutlich niemand von denen, die regelmäßig darauf starren, während sie nach der Schule hier auf ihre Freunde warten. In den 70ern war dies wahrscheinlich das Höchste der Avantgarde-Kunst. Heute ist es eben da.
Neben dem mangelnden optischen Appeal hat der Hindenburgplatz ein weiteres Manko: Seinen Namen. Jede:r hat spätestens im Geschichtsunterricht der siebten Klasse gelernt, dass Herr Hindenburg niemand ist, dessen politischem Wirken man uneingeschränkt applaudieren kann oder sollte. Das ist allerdings nur auf den ersten Blick ein Problem, denn ausschließlich Ortsfremde sagen tatsächlich "Hindenburgplatz" zum Hindenburgplatz. Intern hat der 1934 verschiedene Generalfeldmarschall und spätere Reichspräsident die Ehre, diesen Ort sein Eigen nennen zu dürfen, schon vor Jahrzehnten verloren. Wer sich hier treffen will, trifft sich am "PVH". Ob das Akronym nun für Paul Von Hindenburg oder Platz Vom Hindenburg steht, niemand weiß es wirklich. Es ist auch nicht wichtig. Immer wieder kam in der Stadtpolitik der nachvollziehbare, aber übermotivierte Wunsch auf, den Namen des zentralen Platzes zu ändern. Sollte das je passieren, wäre die einzig legitime Option natürlich, den PVH offiziell zum PVH zu machen.
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Ein Ort, für den die Politik sich schämt
Aber eigentlich kann man nur hoffen, dass man vonseiten der Stadt einfach in jeder Hinsicht die Finger vom PVH lässt. Aktuell soll auf einer Grasfläche gegenüber ein Bürogebäude gebaut werden. Schon das ist eine schlechte Idee. Und hoffentlich kein Zeichen dafür, dass man sich mit fehlgeleiteten Modernisierungsvorstellungen jetzt diesem straßenstaubigen Heiligtum der Jugend nähert. Denn Modernisierung hat in Hildesheim selten gut funktioniert. Den hässlichen Hauptbahnhof hat man zu einem noch hässlicheren Hauptbahnhof umgemodelt, erst vor wenigen Jahren, er sieht nun aus wie ein Schuhkarton aus Beton, platziert auf einer überdimensionalen Platte aus Beton. Die beschauliche Fußgängerzone, einst beliebte (weil einzige) Shoppingmeile, wurde durch einen wirklich albern gigantomatischen Shoppingcenter-Neubau gespalten. Inzwischen sterben sowohl Fußgängerzone als auch Shoppingcenter gleichermaßen vorhersehbar vor sich hin.
Vielleicht hat man in der Hildesheimer Stadtplanung einfach keinen Geschmack, definitiv hat man viel zu viel Selbstbewusstsein und ebenso definitiv hat man zuvor nie eine andere Stadt besucht. Denn dann wüsste man, dass Modernisierung anderswo dringender nötig wäre, etwa in Sachen Nahverkehr oder Kulturszene. Und man wüsste vielleicht auch, dass man seltener Skat mit den Schwippschwagern der paar namhaften ansässigen Bauunternehmer spielen sollte, weil das dem objektiven Urteilsvermögen womöglich abträglich sein könnte.
Der PVH ist die Essenz Hildesheims
Die Stadt hält viel von sich selbst. In Teilen zu recht, in Teilen völlig grundlos. Und vermutlich fällt es ihr schwer, dass einer ihrer beliebtesten Orte ausgerechnet der PVH ist, schmuddelig und altmodisch. Das kratzt natürlich am Ego. Der PVH, er taucht trotz seiner Prominenz – im Gegensatz zum historischen Marktplatz – nie auf den Instagram- oder Facebookaccounts der Stadt auf. Warum treffen diese verflixten Jugendlichen sich nicht am neuen Bahnhof, oder im neuen Shoppingcenter, im Museum oder in einer der halbwegs berühmten Kirchen, oder zuhause, wo sie durch ihre Existenz nicht mögliche Anwohner stören? So wie in, an und vor jeder der wenigen vorhandenen Kneipen oder Diskos, oder im städtischen Freibad, die allesamt von nörgelnden Nachbarn umringt zu sein scheinen. Am PVH gibt es keine Nachbarn, nur Hauptverkehrsstraßen, und ein Bistro mit jährlich wechselndem Namen.
Am PVH enden Schultage, was gut ist. Am PVH trifft man seine Freunde, was gut ist. Am PVH beginnen Abende, meist lustige Abende, was gut ist. Alle Schulen sind mehr oder weniger in Laufweite, alle Kneipen und Diskos sind es ebenso, zwei Hauptknotenpunkte des lokalen Busverkehrs befinden sich um die Ecke. Er ist der perfekte Treffpunkt. Skateboard fahren ist hier möglich, wenn einem der Sinn danach steht. Einfach dasitzen, auf der Betonbank am Betonbrunnen, und mit den besten Freund:innen über die unerträgliche Leichtigkeit des jugendlichen Seins philosophieren ist hier möglich. Im Discounter ums Eck den billigen Amselkeller-Rotwein kaufen und "Vorglühen" à la finanzschwacher junger Mensch ist hier möglich.
Diesen Platz haben die jungen Hildesheimer sich zu eigen gemacht, er gehört ihnen, mitsamt seinem hässlichen Pflaster und seinem hässlichen Namen, und die Stadt hat nicht das Recht, ihn ihnen wegzunehmen und ihn sich neu auszudenken, im Sinne eines "moderneren" Hildesheims. Der PVH ist vielleicht der einzige Ort, an dem die Stadt ehrlich zu sich selbst ist. Der PVH ist die ungeschönte Essenz Hildesheims, und wer ihn nicht liebt, liebt Hildesheim nicht. Lasst ihn in Ruhe. Bitte.