Großbritannien vor der Hochzeit Keine Zeit für Märchen

Die Hochzeit von Kate und William entzückt vor allem die Konservativen. Wer nicht zur Oberschicht zählt, für den gibt es wenig zu feiern. Das Spektakel wirft ein Schlaglicht auf ein gespaltenes Land.

Ein Riss geht durch das vereinte Königreich von Großbritannien. Der Grund sind ausgerechnet die bevorstehenden Hochzeitsfeierlichkeiten für Kate Middleton und Prinz William. Der Süden will feiern, der Norden des Landes übt sich in Apathie. Dieser Unterschied lässt sich an den politischen Vorlieben der jeweiligen Gemeinden festmachen: Wo konservativ gewählt wird, wurden die Verwaltungen mit Anträgen für Straßenfeste überzogen. Wo Labour im Gemeinderat das Sagen hat, hält sich die Begeisterung in sehr engen Grenzen.

Das ist heute anders: In Liverpool mit knapp einer halben Million Einwohnern wird es gerade einmal vier Straßenpartys geben, in Islington, mitten im Herzen Londons, gar nur eine einzige. Es ist eines der Anzeichen, dass diese Hochzeit als Ablenkungsmanöver der Konservativen gesehen wird, ein zynisches Spiel mit den Gefühlen der Nation, der diese Regierung gerade das einschneidendste Sparprogramm seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts verordnet haben.

Unmut über Einsparmaßnahmen überwiegt

Der konservative Premierminister David Cameron verkündete am Tag von William und Kates Verlobung stolz, seine Minister hätten beim Empfang der Botschaft freudig auf den Tisch gehauen. Dieses Bild der klopfenden Ministerriege hat nicht wenige Engländer erbost, die zusehen müssen, wie nach Entscheidungen aus eben dieser Runde zehntausende Gemeindeangestellte entlassen, Büchereien geschlossen und Studiengebühren auf bis zu 9000 Pfund erhöht werden.

Nach 14 Jahren Labour-Regierung galt es als feststehendes Mantra, dass in Großbritannien das Klassensystem abgeschafft sei. Für Außenstehende war dies stets eine Wunschvorstellung - in wohl kaum einem europäischen Land gilt allein der Dialekt so sehr als Signal für Ausbildung, Herkunft und Zukunftschancen wie in Großbritannien. Doch seitdem Premier Cameron sein Kabinett mit Privatschülern und Millionären ausgestattet hat, wird auch unter Engländern wieder die Frage gestellt, wie gleich die Lebenschancen britischer Untertanen eigentlich sind.

Die Antwort darauf ist wenig zufriedenstellend. Noch immer kommen 70 Prozent aller höheren Richter, mehr als die Hälfte aller Topmanager, Ärzte und bekannten Mediengrößen aus dem Fundus der Privatschüler, die allerdings nur sieben Prozent der Bevölkerung ausmachen und sich außerdem im Süden des Landes versammeln. Wer dagegen im Norden als Schüler aus armen Verhältnissen zur Schule geht, hat kaum eine Aussicht aufzusteigen. Die Menschen im Norden sterben früher, verdienen wesentlich weniger und sind nun aufgrund von Rezession und Staatskürzungen auch noch sehr viel öfter von Arbeitslosigkeit betroffen.

Arbeiter halten Traum vom Aufstieg für Illusion

Auch 14 Jahre Aufbauprogramme der Labour-Politik konnten den Vorteil des Südens nur ganz leicht verschieben. Immerhin hat ein innovatives Schulprogramm armen Kindern in der Hauptstadt bessere Chancen eingeräumt. Dieses Programm sollte eigentlich ins ganze Land ausgeweitet werden, die neue Regierung hat gerade dafür die Gelder gestrichen. Sie fördern dagegen den Bau von neuen Privatschulen.

Und so feiert der Süden die Heirat der Bürgerlichen Kate Middleton mit einem Prinzen. Deren Familie hat sich immerhin innerhalb von vier Generationen aus den Kohleminen in Durham in den Buckingham Palast vorgearbeitet. Menschen in Städten wie Manchester, Liverpool und Hull bewerten dies jedoch als genau das, wofür es verkauft wird: ein Märchen. Angesichts der Realität ihres Alltags verweigern sie sich dieser Illusion eines vereinten Königreiches - und bleiben am Hochzeitstag lieber zu Hause.

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