Es ist Sonntagnachmittag und während ich diese Zeilen schreibe, rücken wir alle immer näher an das Ende des Prozesses Johnny Depp gegen Amber Heard. Eine verfilmte Soap-Opera einer kranken und toxischen Ehe. Doch wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann macht mich die Aussicht auf das, was der Boulevard-Journalismus danach zu bieten hat, sogar ein bisschen traurig. Eine fast schon ekelhafte Denkweise, wenn man berücksichtigt – und das sollte man – dass es in diesem Gerichtsaal darum ging, dass zwei Menschen sich einst geliebt haben.
Keine Frage: Meghan Markle oder Johnny Depp?!
Nahezu jeden Werktag wurde bei YouTube live in den Gerichtsaal geschaltet. Insgesamt sieben Wochen lang, mit einer Woche Pause. Jeden Abend zum Einschlafen schaute ich mir an, was am Tag in dem weit entfernten Saal der Richterin Penney Azcarate passiert war. Eigentlich Stoff, aus dem gute Dokumentationen und Serien gemacht werden. Selbst "Gastauftritte" wie der des Models Kate Moss fanden statt. Schon die pausierte Woche trieb mich dazu, stundenlang durch Netflix, Prime und Co. zu scrollen und mich bei Anwaltserien wie "Suits" zu fragen, ob sie im Vergleich zu dem Depp-Heard-Prozess die Klickbewegung zum Anschauen überhaupt wert seien. Meghan Markle gegen A-Prominenz. Och nö, lieber schaute ich mir alte Depp-gegen-Heard-Episoden sogar noch einmal an. Dann stellte ich in den letzten Tagen mit Entsetzen fest: Depp und Heard haben mich süchtig nach ihrem Drama gemacht.
Depp soll derjenige gewesen sein, der dafür plädiert hat, dass der gesamte Prozess gefilmt und live übertragen werde. Nach dem Recht von Virginia liegt es im Ermessen des Prozessrichters Kameras im Gerichtssaal zuzulassen. "Herr Depp glaubt an Transparenz", sagte Chew, ein Anwalt des Schauspielers. Bei der Abwägung über die Live-Übertragung stellte Azcarate fest, dass sie viele Medienanfragen erhielt und sie dafür verantwortlich war, das Verfahren für Beobachter offenzuhalten. Wenn Kameras nicht erlaubt wären, befürchtete sie, dass Reporter zum Gerichtsgebäude kommen und dort möglicherweise eine gefährliche Situation erschaffen würden. Also bewilligte sie den Live-Stream.
Johnny Depp und Amber Heard sind auch nur Menschen
Millionen von Zuschauern sahen zu, wie Heard und Depp über ihre missratene Beziehung sprachen. Jeder, der einmal eine hässliche Trennung durchgemacht hat, weiß im Zweifel, wie sich das anfühlt, den Ex noch mal zu sehen und kann sich vorstellen, wie es ist, nach Jahren über alles Geschehene erneut zu sprechen. Doch niemand kann sich vorstellen, wie es sich anfühlen muss, dies vor einem Millionenpublikum zu tun.
Zu Einwänden aus dem Team Heard gegen die Kameras, sagte die Richterin: "Ich sehe keinen guten Grund, es nicht zuzulassen".
Ich schon. Ich sehe diesen Grund vor allem täglich bei Instagram. Bei Social Media geht es nicht um eine faire und wahre Berichterstattung. Es geht darum, Menschen in den Dreck zu ziehen und darum, das Gutmenschentum weiter voranzutreiben. Und ja, auch wenn es eine Erwähnung wert ist, dass Johnny Depp seiner Ex-Frau zum Beispiel vorwirft, ihr großes Geschäft im Ehebett erledigt zu haben, so braucht es keine unzähligen Videos und Memes dazu bei Social Media.
Es muss grausam sein, gerade in Amber Heards Haut zu stecken, wenn ihr Witzbilder und Fotomontagen dieser Situation angezeigt werden. Heard, die wesentlich mitgenommener erscheint als Depp, sagte dazu, dass sie sich durch die Übertragung "gedemütigt" fühlt. Und sie hat Recht.
Wir alle sind nun bei den Aussagen live dabei. Man kann sich so sicherlich noch besser eine Meinung bilden. Doch steht es uns überhaupt zu, dass wir uns eine Meinung zu der Schuldfrage einer im wahrsten Sinne des Wortes "verkackten" Ehe bilden? Wer von uns möchte, dass sich andere Menschen zu unseren verflossenen Beziehungen äußern? Die Einzigen, die sich in diesem Fall positionieren sollten, sind das Gericht und die Geschworenen selbst. Nicht Hans und Franz oder auch ich, die das Ganze wie eine tägliche Folge "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" verfolgt.
Eins ist schön zu wissen: Jeder hat Beziehungsprobleme
Auch ich als Journalistin habe Mühe, objektiv zu bleiben. Schnell möchte man durch Sympathie, ausgelöst durch Depps recht ruhige und oft sogar lustige Art, sich auf seine Seite schlagen. Das ist jedoch in einem Fall, wo auch wir Zuschauer weder die Geschworenen noch die professionellen Richter sind, unangebracht.
Trotzdem sagt ein Teil von mir: Ich möchte nicht, dass dieser Prozess endet. Weil er mich auf eine kranke Art unterhält. Doch das liegt daran, dass die Übertragung der toxischen Beziehung zwei großer Schauspieler mir meinen Bezug zur Realität nahm und die Grausamkeit, die hinter manch beschriebener Tat steckte, wie eine Daily-Soap-Opera darstellte. Irgendwie surreal, dass auch Promis wie Depp und Heard völlig wahnsinnige Beziehungsprobleme haben können.
Quelle: Variety