Kein Morgen ohne Keira Knightley: Der britische Schauspiel-Exportschlager ist der unangefochtene Star in der britischen Presse. Täglich ist die 22-Jährige in mehreren Zeitungen abgebildet. Obwohl meist das Ziel von hämischen Kommentaren wegen ihrer angeblichen Magersucht, wurde sie in der vergangenen Woche hoch gelobt. Das passiert immer dann, wenn sie im Ausland Erfolge feiern kann, wie gerade bei den Filmfestspielen in Venedig. Lang hielt die Lobeshymne allerdings nicht an.
In Venedig stahl sie allen die Schau, die schöne, zarte Keira. Und zu Hause war man mächtig stolz, dass sie mit ihrem Film "Atonement" (Abbitte) das Filmfest sogar eröffnen durfte. "Keira, die Königin von Venedig", titelte die "Sun". Derart hoch in den Olymp des Schauspiels gejubelt, kehrte die Diva in der Robe einer griechischen Göttin aus Venedig zurück: In einem beigen Wickelkleid, das mehr Haut zeigte als verhüllte, erschien sie am Dienstag zur englischen Premierenfeier von "Atonement". Und dann kam er wieder, der kalte Eimer voller Häme der Boulevardpresse und spülte Knightley all den Glanz und Triumph aus dem kantigen Gesicht. "Wann sie denn gedenke, mal wieder etwas zu essen?", hatte ein Journalist bei der Pressekonferenz gefragt. Und aus und vorbei war es mit der Harmonie.
Magersucht-Schlagzeilen bringen Auflage
Es war eine Frage der Zeit. Denn die so unkompliziert wirkende und doch als schwierig bekannte Britin und ihrer Heimat-Presse stehen seit Wochen auf Kriegsfuß. Es ist noch keine drei Wochen her, da zeigten unbarmherzige Klatschjournalisten Keira Knightley im viel zu knappen Bikini. Die Rippen zeichneten sich derart durch die dünne Haut ab, dass man sie abzählen konnte. Über dem Foto stand in großen, roten Lettern: "Alarmierend dürre Keira". Wahlweise lautete die Überschrift in anderen Blättern "Freunde bangen um erschreckend dünne Keira", "Sie ist nur noch Haut und Knochen" und "Keira - ihre Magersucht treibt sie in den Tod". Es geht um Dünnsein, noch dünner sein, halbtot sein.
Dass sie noch nie besonders viel auf der Hüfte hatte, scheinen die meisten Boulevardblätter jedoch zu vergessen. Als sie 2006 für "Stolz und Voruteil" eine Oscar-Nominierung erhielt, war ihr Aussehen offenbar kein Problem. Wunderschön sei sie, schrieb die Presse und sprach von ihrem makellosen Gesicht, dem glänzenden Haar und den märchenhaften Augen. "Keira erobert Hollywood im Sturm" hieß es beim ersten "Fluch der Karibik" und "jetzt ist sie Englands Wunderkind in Hollywood". Kein Wort verlor man über ihr mageres Äußeres, dabei war dies schon damals frappierend. Und auf einmal fehlte der Knightley die Lebensfreude, und damit der nötige Sexappeal. Ihr Kopf wirke überdimensional, die Brüste seien im Grunde nicht vorhanden, urteilte die "Sun".
Knightley wehrt sich
Keira und ihr Körper - alle tratschen, keiner spricht: Weder ihr Management, nicht ihre Stylisten. Niemand will sich zu ihrem Gewicht, ihrer Kleidergröße oder zu der Frage äußern, ob sie seit dem Beginn ihrer Karriere zu- oder abgenommen hat. Die Journalisten begnügen sich damit, "alarmierende" Fotos abzudrucken, oder darüber zu schreiben, wie schrecklich dünn Keira Knightley nun wirklich aussehe. Die Schauspielerin setzt sich inzwischen vehement gegen Verleumdungen und die Behauptung zur Wehr, sie leide an Magersucht. Erfolgreich hat sie gegen die "Daily Mail" geklagt. In einem Artikel wurde Knightley indirekt am Magersuchttod eines jungen Mädchens verantwortlich gemacht, weil sie ein falsches Vorbild geben würde. Jetzt muss die Boulevardzeitung Schadensersatz zahlen.
Das wird die britische Presse freilich nicht abhalten, weiter über Keiras spitze Knie zu berichten. Denn die englischen Medien stehen selbst am Pranger. Einer der schärfsten Kritiker ist "Mediascan". Mit dem Slogan "Sex that sells - not!" startete die Organisation 1993 als kleine Frauenbewegung im Wohnzimmer von Mitbegründerin Martha Khalishian. Die Frau als Sexobjekt aus den Medien zu verdrängen, lautete ihre Mission. Mittlerweile werden sie von der britischen Regierung gesponsert, Khalishian ist Vorsitzende und hat ein schickes Büro am Russel Square. "Im Grunde geht es nicht um Keiras knöcherne Beine", erklärt sie. "Es geht um das Vorbild, das diese Beine jungen Frauen bieten. Und das hängt ganz stark davon ab, wie die Medien knöcherne Beine bewerten - ob als schön und sexy, oder als krank und hässlich."
Die Zeitungen, die sich nicht mehr weiter an den Pranger stellen lassen möchten, werden also weiterhin auf Keira einprügeln. Und vergessen dabei, dass die Schauspielerin selbst gerade erst zarte 22 Jahre alt ist und damit ebenso jung, wie die Mädchen, die geschützt werden sollen.