Lenny Kravitz Reden wir über Liebe, Mister Kravitz

Seinen Fans gilt er als ultimatives Sexsymbol, er selbst nennt sich "einfach nur" Musiker: Auch nach 20 Jahren im Popbusiness hat Lenny Kravitz dieses Missverständnis nicht aufklären können. Stattdessen sucht er weiter die wahre Liebe. Aber was ist das eigentlich? Kravitz im Gespräch mit stern.de.

Es gab Zeiten, da gab es nichts Aufregenderes als eine Einzelaudienz mit Lenny Kravitz. Da hätte frau wahrscheinlich hyperventilierend vor dem Sofa gestanden, auf dem Lenny sich gerade räkelt, und beim Interview wohl auch die eine oder andere Frage vergessen, während draußen die Frauen geschrien hätten wie die Mädchen bei Tokio Hotel. Männer hätten sich nur deswegen Konzertkarten gekauft, weil sie gehört haben, dass auf Kravitz-Konzerten die schönsten Frauen zu finden sind.

Doch es ist still im Backstage-Bereich. Lennys Assistentin mit der Chanelbrille scherzt mit Lennys Schneiderin, die gerade dessen Bühnenoutfit zum Waschen abholt, das sich eben noch um den gutgebauten, reichlich tätowierten Körper des Popstars geschmiegt hat. Vor der Fleischbarriere namens Security warten zwei aufgeregte, grell geschminkte 16-Jährige und die üblichen paar VIPs. Eine hoffentlich schon volljährige Russin, Typ anorexisches Model, läuft ungehindert durch die Absperrung in Lennys Allerheiligstes und schleppt dabei einen dieser rattengroßen Puschelhunde mit sich herum, die vor Überzüchtung permanent zittern. "Sind Sie bereit?", fragt die Assistentin und deutet mit dem Lockenkopf auf die weiße Tür, hinter der Lenny wartet.

Sexgott, Sexmonster, Sexiest Man alive. Kein Artikel über Lenny Kravitz kommt ohne das Wort "Sex" aus, so wie kein Song von Lenny Kravitz ohne das Wort "Liebe". Er ist der Rocker der Herzen - auch 20 Jahre nach seinem Debüt "Let love rule" und 17 Jahre nach Lisa Bonet, seiner ersten Liebe und Mutter seiner mittlerweile 20-jährigen Tochter, die ihn verlassen hat, angeblich, weil er eine Affäre mit Madonna hatte.

Affären hatte der Liebling der Glitzerwelt und Klatschblätter viele. Einem bestimmten Beuteschema ist Kravitz dabei nicht gefolgt. Die Auswahl rangiert von der Zuckerfee Kylie Minogue über die Wildkatze Naomi Campbell bis zur Schneekönigin Nicole Kidman. Nur: Geblieben ist keine. Trotzdem singt Kravitz unbeirrt weiter, dass er auf die große Liebe warte, auf sein Herz höre, dass die Liebe alle Hindernisse überwinde und neuerdings sogar davon, dass er heiraten will. Fehlt nur noch die passende Frau. Nein, denkt man, als sich just in diesem Augenblick die Tür zu Lenny öffnet, und die Russin mit dem Hundeaccessoire herauskommt. Dass er bereit sei für etwas Festes, erzählt Kravitz ja schon länger. Vor allem nachdem ihn die englische Klatschpresse einst zur "Liebesratte" kürte, weil er seine mehr oder weniger prominenten Liebschaften angeblich immer wieder besonders grausam zu Ende gebracht haben soll.

An diesem Abend sind der Sexgott und die Liebesratte müde. In schwarzer Jogginghose und ausgefranstem T-Shirt liegt Kravitz auf einem schwarzen Ledersofa und blickt ein bisschen leer aus seinen tiefbraunen Augen. Gerade hat er wieder eine seiner Liebes-Shows hinter sich gebracht. Fast zweieinhalb Stunden hat er gespielt, dem Publikum sein Herz und seinen Körper geschenkt, den er wie kein anderer lasziv über die Bühne zu schwenken weiß. Und es fällt einem mal wieder auf, wie viele Hits dieser Mann schon geschrieben hat: von "Let love rule" über "I belong to you" bis zum Kracher "Are you gonna go my way". Am Ende ist er sogar ins Publikum gesprungen, hat mit seinen Fans getanzt, sie umarmt und ihre Hände geschüttelt. "I love you, peace" hat er gerufen und gelächelt, bevor er ins Dunkel verschwunden ist - high von der Liebe und dem eigenen überbordenden Talent. Er ist auf einer Mammuttour durch 35 Länder. Japan, Kanada und Frankreich stehen noch aus. Bis Ende Mai 2009 wird er unterwegs sein, um Liebe zu verteilen. Ja, er sei müde, sagt er ein bisschen heiser und lächelt, was wirklich nett und natürlich aussieht.

Mister Kravitz, seit 20 Jahren singen Sie von Liebe, aber was ist das eigentlich?

Damit hat er offenbar nicht gerechnet; er richtet sich auf: "Liebe ist der menschliche Urzustand. Ich glaube, dass Gott uns erschaffen hat, und dass er es aus Liebe getan hat, aus dem Wunsch, etwas Schönes zu schaffen. Damit wir einander lieben, damit wir Gott lieben, damit wir das Leben auf diesem Planeten genießen, um Liebe zu geben und zu empfangen. Deshalb sind wir hier. Doch unser freier Wille, die menschliche Natur, bringt den Menschen vom Weg ab." Er lächelt, zufrieden mit seiner Antwort, und lehnt sich wieder ins Leder. Gott also, aber dazu später.

Ändert die Liebe sich mit den Jahren?

"Liebe ist Liebe. Ich weiß, dass Liebe für Sie etwas völlig anderes ist als für mich. Aber tief in uns drinnen wissen wir beide, was es ist. Sie wissen, ob Sie mit Liebe behandelt werden oder nicht."

Sollte man wissen, ja.

"Sie wissen, ob Sie lieben oder nicht. Das spüren Sie."
Buddha könnte nicht überzeugender in sich ruhen als dieser unrasierte Liebesgott. Da öffnet sich die Tür einen Spalt, der zitternde Plüschhund kommt herein und wieselt um Couchtisch- und Menschenbeine.

"Darum geht es doch", sagt Kravitz, der den Hund keines Blickes würdigt. "Wir sind brainwashed. Von den Medien und den Menschen um uns herum. Wir meinen, wir müssten uns so und so verhalten, anstatt ehrlich zu uns selbst zu sein. Wir sitzen da und sagen: Was kann ich denn tun? Du kannst tun, was du eben tun kannst. Das sein, wozu du erschaffen wurdest. Wenn du morgens aufwachst, aufstehst und mit Menschen in Kontakt trittst, weil du mit ihnen lebst oder ihnen begegnest: Sie werden von dir und deinem Verhalten beeinflusst. Wenn du nett bist und gute Laune hast, spüren sie das genauso wie deine schlechte Laune. Da findet ein Energieaustausch statt, und darin spürt man die Liebe." Pause. Intensiver Blick. Weiter: "Stellen Sie sich vor, Sie wären heute Abend schlecht gelaunt. Ich bin müde und ärgere mich über Sie. Dann steige ich in den Tourbus, da rennen Kinder rum und machen Lärm. Ich bin genervt und schreie sie an. Dann sind die Kinder schlecht gelaunt, die Eltern auch. So trägt sich die negative Energie immer weiter. Das, was Sie tun, beeinflusst mich. Wenn man ein Leben lebt, in dem man liebevoll ist, jeden Tag, egal ob man eine Person trifft oder 1000, dann bringt das etwas. Ich weiß, das klingt sehr abgehoben, aber es stimmt."

Die Schneiderin hatte gesagt, dass Kravitz "echt" sei, "am Boden geblieben", aber das sagen Mitarbeiter ja meistens. In diesem Augenblick wirkt er aber tatsächlich wie ein entspannter Typ, der über das Leben nachgedacht hat. Und er klingt so wie eine Mutter - "Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu" - oder auch Immanuel Kant: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte". Lenny als Aufklärer?

Werden wir mal persönlich:

Mister Kravitz, in Ihrer Karriere haben Sie die schönsten aber auch hässlichsten Liebesgeschichten erlebt. Da fällt es schwer zu glauben, dass Sie immer noch an die Liebe glauben. Bedienen Sie nicht einfach nur eine Industrie, die mit der Sehnsucht nach dem großen Gefühl Milliarden verdient?

"Sicher glaube ich daran! Und dabei geht es nicht nur um romantische Liebe. Es geht darum, dass Liebe einfach alles überwinden kann."

Hat Sie die Liebe denn nie genervt? Haben Sie nie gedacht, das war's?

"Natürlich habe ich das, ich bin ein Mensch. Für ein, zwei Tage habe ich schon mal die Hoffnung verloren."

Ein, zwei Tage...

"Ja, und dann habe ich zu mir selbst zurück gefunden und weitergemacht. Du musst so schnell wie möglich aus dem Tief herauskommen und zum Glauben an die Liebe zurückfinden. Was bin ich denn ohne Liebe?"
Was für eine Frage!

Haben Sie nicht Angst, dass sich das Wort Liebe abnutzt, so häufig, wie Sie es gebrauchen? Es wird doch seit Jahrhunderten missbraucht.

"Es kommt doch darauf an, was dahinter steckt. Aber Sie haben Recht, wenn die Menschen das Wort inflationär benutzen, verkommt es zum Witz."

Und warum glauben Sie, dass es bei Ihnen anders ist?

"Weil ich es ernst nehme." Da ist kein Durchkommen. Sogar der Hund hat aufgehört zu zittern und ist zu unseren Füßen eingeschlafen.

Also kommen wir zu Jesus, den der 44-jährige Sohn eines Juden und einer Christin jüngst gefunden haben will: "Ja, ich glaube, dass Jesus der Sohn Gottes war", sagt Kravitz und guckt sehr ernst.

Wie ist das denn passiert?

"Entweder war Christus der, für den er sich ausgab, oder er war ein Irrer. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten. Ich glaube, dass er die Wahrheit gesagt hat. Er hat nach den Geboten gelebt, er hat sie erfüllt, und dann ist er gestorben. Und er sagt: Okay, ich bin für euch gestorben. Ich bin für Lenny gestorben, für all die Leute da draußen. Du kannst es nicht kaufen, du kannst es dir nicht erarbeiten, alles was du dafür tun kannst, ist, daran zu glauben, dass er es für dich getan hat."

Ist das nicht ein bisschen zu einfach?

Er lächelt wieder sein Buddha-Lächeln: "Nein, ist es nicht, und das ist ja das Interessante daran. Christus hat gesagt, du bekennst dich zu mir, und das war's, deine Sünden sind vergeben. Du lebst durch die Gnade, nicht wegen der Gebote. Dieses Geschenk zu akzeptieren, ist für die Menschen das Schwierigste. Sie wollen es überdenken, verstehen, erarbeiten. Mann, darüber könnten wir zwei Wochen reden!"

Hat der Glaube Ihre Musik verändert?

Er schüttelt den Kopf: "Liebe hat so viele verschiedene Seiten. Aber ich habe von Anfang an über Gott gesungen."

Sie haben mal gesagt: 'Gott bewahre, dass man über Liebe singt, es ist eine überholte Vorstellung.'"

"Hm, ich habe in den vergangenen 20 Jahren eine Menge gesagt. Ist es nicht seltsam: Wenn Leute über Mädchen, Geld und Hinterngewackel singen, sagt niemand was. Aber wenn ich über Liebe singe, ist das ein Thema."

Vielleicht haben die Menschen ein Problem mit der reinen Idee, so wie sie ein Problem mit reiner Schönheit haben, womit wir wieder beim Zynismus sind.

"Das ist wahr. Stellen Sie sich vor, Sie lieben jemanden, und er nimmt ihre Liebe nicht an. Sie haben all Ihre Liebe gegeben, Sie sind da, aber er kapiert es nicht. Das ist das Gleiche wie mit Gott und wie mit der Musik. Gott ist da, die Musik ist da, die Liebe ist da, aber die Leute verstehen es nicht. Nur das Schlechte, das akzeptieren sie einfach."

Es klopft, und die Assistentin steckt den Kopf herein. Lenny, der Prediger, muss weiter. Er setzt die obligatorische Riesensonnenbrille auf, wirft sich eine Lederjacke über und sieht plötzlich wieder aus wie Lenny, das Sexsymbol. Da nimmt er die Sonnenbrille noch mal ab, lächelt und bedankt sich für das Gespräch. Plötzlich hofft man, dass die dürre Russin doch nur die beste Freundin seiner Tochter ist, und er bald jemanden findet, der sein melodiegeladenes Herz halten kann. Der Rattenhund steht im Gang neben ihm und sieht aus, als würde er grinsen.

PRODUKTE & TIPPS