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"Vogue"-Chefin Abdulaziz Ohne Kopftuch - das ist die Anna Wintour des Orients

Deena Abdulaziz
Zwei bis drei Kleiderwechsel pro Schauentag sind Pflicht. Hier trägt Deena Abdulaziz einen Trenchcoat von Armani
© Jacobo Raule/Getty Images
Deena Aljuhani Abdulaziz ist Chefin der ersten "Vogue" im Orient. Von nun an wird sie die Sehnsüchte der arabischen High Society prägen - die Wünsche der begehrtesten Kundinnen der Welt.
Von Silke Wichert

Es war ein kurzes Störmanöver, inszeniert von, nun ja, dem Altmeister der Modewelt. Mit einer rauchenden Raketenattrappe ließ Karl Lagerfeld vergangene Woche in Paris die Herbst-Winter-Kollektion des Hauses Chanel beschließen. Kurze "Ahs" und "Ohs" des Publikums, darunter Pharrell Williams, Lily-Rose Depp, Cara Delevingne - bis dahin aber galten die Blicke ihr: Deena Aljuhani Abdulaziz, Chefredakteurin der frisch gelaunchten "Vogue Arabia". Eine elegant gekleidete Frau und: eine echte Prinzessin! Verheiratet mit einem Spross der saudischen Königsfamilie.

"Anna Wintour des Mittleren Ostens" wurde sie gleich getauft, als bekannt wurde, dass sie den jüngsten "Vogue"-Ableger verantworten würde. Und auch wenn sie sicher noch nicht ganz so mächtig ist wie die Grande Dame der US"Vogue" , so sitzt sie nun auf jeden Fall an einer hochinteressanten Quelle: Deena Aljuhani Abdulaziz hat Zugang zu der modeinteressierten wie wohlhabenden Schicht in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Saudi-Arabien, Katar oder Jordanien.

Im Sommer trifft man diese Frauen in München an, wenn sie mit ihren Familien über die Maximilianstraße flanieren; oder in Mailand über die Via Monte Napoleone. Es sind Frauen, die zu Hause in Dubai oder Abu Dhabi in den Chanel-, Prada- und Valentino-Boutiquen einkaufen. Kundinnen, denen westliche Luxuslabels unbedingt noch näherkommen möchten. Frauen wie Abdulaziz selbst.

Zu Hause in zwei Welten

Die 42-Jährige wurde in Kalifornien geboren und wuchs in zwei Welten auf - in Saudi-Arabien und Amerika. Ihr Vater, ein bekannter Wirtschaftswissenschaftler, unterrichtete an Universitäten beider Länder. Schon als Mädchen sei sie von Mode fasziniert gewesen. Aber in der arabischen Welt Stylistin werden? Das war in etwa so wahrscheinlich, als wollte ein Investor ein Hofbräuhaus in Doha eröffnen. Also ging Deena einen anderen Weg - und heiratete früh den saudischen Prinzen Sultan Bin Fahad Bin Nasser Bin Abdulaziz, den sie 1996 in London kennengelernt hatte, passenderweise im berühmten Kaufhaus Harrods.

Das Paar bekam drei Kinder, bevor die Prinzessin 2006 dann doch noch in ihrer Märchenwelt landete: Mit Unterstützung ihrer weltoffenen Familie gründete sie "D'NA", eine "Members-only" Edelboutique in Riad. Bisher hatte diese Art Läden lieber westliche Einkäufer engagiert, die dann stur Walla-Walla-Kleider geordert hatten. Nun entschied eine Frau der High Society von Riad selbst. "Endlich war da jemand, der die Bedürfnisse der arabischen Frauen verstand", sagt Abdulaziz durchaus selbstbewusst - jemand, der nicht zu aufreizende, aber trotzdem aufregende Mode zeigte.

Deena Abdulaziz wusste aus ihrem eigenen Leben, dass muslimische Frauen genauso schöne Dinge lieben wie westliche Frauen - nur eben unter der Abaya, dem langen Gewand. Und mit Hijab, dem Kopftuch. Wenn sie sich modisch zeigen, dann hinter verschlossenen Türen. Ein Zitat aus dem Umfeld von Abdulaziz lautet: "Im Grunde ist bei diesen Frauen jede Nacht Met Ball" - das Mode-Happening in New York ist eines der größten und extravagantesten der Welt. Die Lust und der Druck, andere Frauen mit den neuesten LaufstegLooks und aufwendigem Make-up auszustechen, ist in der Oberklasse arabischer Länder enorm.

Schon bald reiste die Prinzessin zu den großen Schauen, stets unverschleiert. Mit ihrem selbstbewussten Kurzhaarschnitt und der zwar züchtigen, aber extravaganten Garderobe avancierte sie zum Liebling der Streetstyle-Fotografen. Deena Abdulaziz ist also eine so naheliegende wie perfekte Wahl für die arabische "Vogue". In beiden Welten zu Hause, mit besten Kontakten zu den Luxusfirmen, einem exquisiten Geschmack - und einer wichtigen Botschaft: Die lange vernachlässigte und unterschätzte Region soll endlich ernst genommen werden.

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Arabische Kundinnen fühlten sich vernachlässigt

In der Vergangenheit hatte sich Deena Abdulaziz häufig beschwert, dass arabische Kundinnen zwar die Kassen der Luxushäuser füllen dürften - die Couture-Abteilungen könnten ohne die Klientel kaum überleben -, aber ansonsten würden sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Audienzen beim Stardesigner? Bekamen eher amerikanische oder europäische Kundinnen.

Die Erwartungen an Abdulaziz' Premiere als Chefredakteurin waren entsprechend hoch - und wurden gleich ein bisschen enttäuscht. Das erste von ihr verantwortete Cover ziert kein arabisches Model, sondern: Gigi Hadid. Das begehrteste Gesicht der Welt, das palästinensische Wurzeln hat, aber durch und durch kalifornisch sozialisiert ist und ohnehin gerade von allen möglichen Titelblättern lächelt. Obendrein trägt Hadid zwar einen bestickten Schleier, der ihr Haar und teilweise das Gesicht verhüllt, aber ihre Schultern sind nackt. Der Text erschien auf Arabisch und Englisch.

Für einige Kritiker war diese Komposition: viel zu westlich.

Deena Abdulaziz weiß um die Vorbehalte gegen sie - gerade in Saudi-Arabien. In den männerdominierten Kreisen mokiert man sich über die extrovertierte Art; dass sie öffentlich auftritt, gilt vielen als unschicklich und als Kulturbruch. Auch deshalb hält sie sich mit Äußerungen zu aktuellen Ereignissen zurück, schließlich fällt der lange geplante Start der arabischen Modebibel in eine heikle Phase: Frauen, die wegen ihrer Verschleierung von französischen Stränden verbannt werden, Trumps Einreisestopp für sieben muslimische Länder - und in dieser Zeit soll man ernsthaft über Handtaschen und Friseure für muslimische Hipster, genannt "Mipster", reden?

Botschafterin des Aufbruchs

Andere Wertvorstellungen, Unterdrückung der Frauen, Hinnahme extremistischer Ideologie - so sehr der Mittlere Osten einerseits in der Kritik steht, so sehr umgarnt ihn die Luxusindustrie. Nach jüngsten Untersuchungen gaben muslimische Kunden im Jahr 2015 rund 243 Milliarden Dollar für Kleidung aus, das entspricht etwa elf Prozent des Gesamtmarktes. 2019 wird das Marktpotenzial der Region auf ganze 484 Milliarden geschätzt. Dolce & Gabbana hatten schon Anfang vergangenen Jahres eine Hijab- und Abaya-Kollektion lanciert, kürzlich kündigte Nike ein atmungsaktives Kopftuch für muslimische Sportlerinnen an. Zum ersten Mal lief bei den Modenschauen für Max Mara und Alberta Ferretti ein somalisches Model mit Kopftuch. In der vergangenen Woche startete außerdem "The Modist", eine Art Net-A-Porter mit Sitz in Dubai.

Es ist kein Zufall, dass viele dieser Neuerungen zeitgleich zum Start der neuen "Vogue" passieren. Prinzessin Deena ist die perfekte Botschafterin des Aufbruchs. "'Vogue Arabia' hat die Kompetenz und den nötigen Einblick, um die Kreativität dieser besonderen, aufstrebenden und oft falsch interpretierten Region abzubilden", sagte sie während der Schauen in Paris.

In ihrem Alltag pendelt Deena Abdulaziz zwischen ihrer Familie in Riad und dem "Vogue"-Büro in Dubai - dann natürlich mit Hijab, was sie nicht als Bürde empfinde: "Ganz ehrlich: Das Kopftuch ist ein schickes Kleidungsstück. Ich fühle mich damit wie Grace Kelly."

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