Herr Herrlich, Christian Wörns ist so alt wie Sie. Er spielt noch bei Borussia Dortmund - Sie sind Fußballrentner. Hadern Sie mit dem Schicksal?
Ja, sicher. Vor allem während der WM in Deutschland dachte ich oft: Mensch, da würdest du jetzt gerne mitspielen. Seit ich 1978 als sechsjähriger Milchbubi die Fußball-WM im Fernsehen geschaut habe, hatte ich nur einen Wunsch: Weltmeister werden. Jetzt werde ich das nie schaffen.
Warum haben Sie bereits mit Anfang 30 die Fußballschuhe an den Nagel gehängt?
Ich hätte gerne noch ein paar Jahre gespielt. Aber nach dem Tumor und einem Jochbeinbruch spürte ich, dass ich es körperlich nicht mehr schaffe. So bat ich den BVB um die Auflösung meines Vertrages.
Ihre Krankenakte ist lang: Gelbsucht, Bänderriss, Jochbeinbruch, Hirntumor.
Stimmt, ich war oft krank. Aber über mangelndes Glück darf ich mich nicht beschweren. Ich bin glücklich, den Krebs besiegt zu haben. Ich muss nur einmal im Jahr zur Nachuntersuchung. Am Donnerstag ist es wieder so weit.
Haben Sie Angst vor diesem Termin?
Nein, nicht mehr. Am Anfang plagten mich in den Wochen davor heftige Angstattacken. Todesangst sogar. Wenn es im Bauch zwickte, saß ich sofort beim Arzt, weil ich dachte, ich hätte Darmkrebs. Heute mache ich mir diese Sorgen nicht mehr.
Wie war das, als Sie erfuhren, dass Sie Krebs haben?
Aus ersten Untersuchungen wusste ich, dass ich einen Tumor hatte. Aber nicht, dass er bösartig war. Dr. Preuhs kam dann zu mir nach Hause und sagte mir und meiner Frau, dass es ein Hirntumor sei. Ich dachte, dann sollen sie ihn eben rausschneiden. Aber er meinte, dass er inoperabel sei. Da begriff ich, dass es um mein Leben ging. Natürlich habe ich geweint. Meine Frau war im dritten Monat schwanger. Ich wollte doch das Kind noch sehen. Ich habe mich dann aber schnell gefangen und die Herausforderung angenommen: Wenn Gott das für mich vorgesehen hat, dann wollte ich das auch annehmen.
Zur Person
Heiko Herrlich, am 3. Dezember 1971 in Mannheim geboren, begann mit 6, Fußball zu spielen, mit 16 gelang ihm der Sprung in die DFB-Jugendauswahl, mit 17 war er einer der meistumworbenen deutschen Nachwuchsspieler. Während seiner gesamten Karriere - Leverkusen, Gladbach, zuletzt Dortmund - wurde der Bürokaufmann von Verletzungen geplagt. Im Jahr 2000 diagnostizierten Ärzte einen Gehirntumor, der bestrahlt wurde. Heute lebt Herrlich mit seiner Frau und den beiden Kindern in Dortmund.
Als Ihre Erkrankung bekannt wurde, schlug Ihnen eine Welle der Sympathie entgegen ...
Ja, wegen einer Krankheit, für die ich nichts konnte. Absurd. Gerade waren wir Spieler noch "Scheißmillionäre" - und plötzlich wurde ich Publikumsliebling.
Sie waren bei den Fans in Ungnade gefallen, weil Sie 1995 trotz eines Vertrages bei Gladbach zu Dortmund wechseln wollten ...
Die Gladbacher hatten mir ihr Wort gegeben, ich dürfe bei entsprechender Ablösesumme wechseln. Es wäre klüger gewesen, ich hätte mir das schriftlich geben lassen!
Inzwischen sind Sie Trainer der U19 von Dortmund. Haben Sie als Profi so wenig verdient, dass Sie noch arbeiten müssen?
Keine Sorge, aber ich brauche Ziele. Schon als Spieler wollte ich Trainer werden. Außerdem habe ich zwei kleine Kinder, denen möchte ich Vorbild sein. Das kann ich nicht, wenn ich zu Hause auf dem Sofa sitze. In meinem Kopf steckt ein Fußball. Ich ertappe mich ab und zu, dass ich mit den Kindern ein Legohaus baue und über die Taktik für das nächste Spiel grüble.
Keine Zeit abzuschalten?
Doch, als Trainer bin ich meist erst nachmittags gefordert. Nur in den Ferien trainieren wir zweimal am Tag. In der Regel stehen wir morgens gemeinsam auf, meine Frau ist Lehrerin. Dann frühstücken wir alle. Ich mache die Kinder für den Kindergarten fertig und bringe sie hin.
Ihr Sohn ist sicher Mitglied im BVB?
Nein, der ist gerade drei Jahre alt. Wir kicken ab und zu im Garten. Wenn ich ihm den Spaß vermitteln kann, den ich als Kind mit dem Ball hatte, reicht mir das. Ansonsten soll er machen, womit er glücklich wird. Das gilt natürlich auch für meine Tochter.