Ist Ihnen das "Hays Office" noch ein Begriff? Dort wurde von 1934 an für Moral und Zensur in Hollywoodfilmen gesorgt, also etwa Tiefe und Breite eines Dekolletés bestimmt. Aber auch, dass Filmstars nur dann gemeinsam ins Bett steigen durften, wenn sie in ihren Rollen verheiratet waren - und beide einen Pyjama trugen. Die rigorose Sittenkontrolle machte Clark Gable, Cary Grant, Paul Newman, Rock Hudson zu Pyjama-Helden und verhalf dem Schlafanzug zum Durchbruch.
Bei den Männermodeschauen für Frühling /Sommer 2009 in Mailand sind keine Zensurmaßnahmen schuld daran, dass etliche Designer sich auf die Hose mit dem Tunnelzug und ihre schlabberige Verwandte, die Jogginghose, gestürzt und in der Folge auch den Bademantel wiederentdeckt haben.
Stefano Gabbana trägt gerne Jogginghosen
Die lässigsten Pyjama-Versionen sind bei Dolce & Gabbana zu sehen, sogar in Kombination mit der eleganten Anzugjacke, und Stefano Gabbana will das durchaus als ein hedonistisches Statement verstanden wissen, als Ausdruck der Tatsache, dass die Ära des "Power-Man" beendet sei. "Wahrer Luxus zeigt sich heute in der Fähigkeit, seine Freizeit zu genießen, und es sich gut gehen zu lassen." Er selbst sei Ende letzten Jahres zum ersten Mal überhaupt in eine Jogginghose gestiegen und seither praktisch kaum aus ihr herausgekommen: "Jogginghosen sind noch bequemer als Jeans, sie sind das bequemste aller Kleidungsstücke."
Eine schöne Ergänzung zum Schläferlook ist der Schrumpellook, dem Tomas Maier bei Bottega Veneta und Christopher Bailey bei Burberry huldigten, indem sie ihre Anzugjacken und Cardigans arg zerknittert auf den Laufsteg sandten. Baileys Kollektion trug den Titel "Crumpled Classics" und präsentierte sogar Trenchcoats in der Knautschversion.
Armani fordert: "Schluss mit der Schlampigkeit!"
Auf die Spitze getrieben wurde das Thema wie üblich von Miuccia Prada, die den Pyjama-Look bereits vor einigen Saisons entdeckt hatte. Für den kommenden Frühling setzt sie wie immer auf junge Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs, ihr Lieblingsmodell diesmal: der Hospitalflüchtling. Nicht einverstanden erklärt sich Giorgio Armani mit dem Einzug dieser allzu großen Lässigkeit im Modischen. "Mittlerweile ist alles erlaubt", klagt er, "es ist zuviel Freizügigkeit im Spiel." Und ihm missfalle auch, was er auf den Straßen Mailands zu sehen bekomme: "Im Stadtzentrum sieht es aus wie im arabischen Suk. Schluss mit der Schlampigkeit!"
Er selbst übrigens unternahm (so wie auch Salvatore Ferragamo) mit seiner Kollektion eine Reise nach Kalkutta. Früher beschrieben die Ethno-Kollektionen der Designer unser Fernweh und unsere Sehnsüchte, heute verraten sie in der Regel nur noch, wo die Modemacher der Luxusklasse gerade ihre spendabelsten Kunden vermuten: Zurzeit ist das in Indien.