Bilder, Bilder, Bilder - diese drei Worte sagt Veronika Heilbrunner, wenn sie zu erklären versucht, wie sie wurde, was sie ist. Dann macht sie eine kurze Pause. Und erklärt: "Ich habe an Bildern aufgesaugt, was mir vor die Augen kam: Familienfotos, die Fashion-Magazine meiner Mutter, die Modenschauen auf Style.com. Ich war süchtig nach Bildern."
Sie sitzt auf der Rückbank einer Limousine, und während hinter den getönten Scheiben Fußgänger durch die Pariser Rue Jean Goujon hasten, scrollt sie sich auf ihrem iPhone durch die Fotos des Morgens. Ihr erstes hat sie gegen sieben Uhr ins Netz gestellt: sie beim Yoga, kerzengerade im Sirsasana-Kopfstand. Schon jetzt, kurz vor neun, haben es sich 429 Leute angesehen, in Tokio oder Seoul oder auch Stieldorf.
An der Ecke zur Avenue Winston Churchill hüpft Heilbrunner aus dem Auto und sorgt für weitere Bilder. Streetstyle-Fotografen stürzen auf sie zu, wollen sie in Pose sehen – Veronika! Veronika! –, begleiten sie bis vor die Freitreppe des Grand Palais, in dem Chanel die Kollektion für den Herbst 2017 präsentiert. 20 Schnappschüsse pro Fotograf, also rund 1000 Bilder, vielleicht ein Zehntel davon wird im Laufe des Tages ins Netz gestellt: Aufnahmen von einer großen, schlanken Frau im Chanel-Kostüm, an den Füßen grobe Stiefel der schwedischen Marke Acne.

Ein Bild von Heilbrunner auf Instagram ist so gut wie ein Shoppingtipp von der Freundin
Veronika Heilbrunner ist Digital Influencerin, Social Model, wandelnde Litfaßsäule – wie immer man es nennen mag. Frauen und Männer wie sie haben riesige Fangemeinden, die ihren Kleidungs- und Lebensstil bewundern, die jedes Bild anklicken, das im Internet von ihnen auftaucht. Darum tun Firmen eine Menge dafür, dass die Influencer mit einer Jacke, einer Tasche oder einem Nagellack aus ihrer Kollektion abgelichtet werden. Sie leihen oder schenken ihnen die neuesten Outfits, laden sie zu Veranstaltungen ein, zahlen ihnen häufig auch Reisen, Unterkünfte und Honorare.
"Influencer Marketing" ist ein Geschäftsmodell des digitalen Zeitalters, das über soziale Netzwerke läuft. Das mit Abstand wichtigste ist die Foto- und Videoplattform Instagram mit ihren rund 700 Millionen Nutzern, denn hier sind die Modefans besonders aktiv. Im Schnitt besuchen sie die Seite 15-mal pro Tag, um sich über Jeans oder High Heels auszutauschen, um sich beraten zu lassen. Ein Bild von Heilbrunner auf Instagram ist so gut wie ein Shoppingtipp von der Freundin.
Die persönliche Instagram-Statistik der Mittdreißigerin verzeichnet bei 127.000 Abonnenten 1,39 Millionen Klicks und 23.500 Profilaufrufe in der Woche. Ihr derzeit treuestes Publikum lebt in London und New York, ist weiblich und im konsumfreudigen Alter zwischen 25 und 44 - Zahlen, die belegen, dass die gebürtige Bayerin zu den Instagram-Stars von internationalem Format gehört.

Leider aber auch zu jenen, die in existenzieller Angst vor schlechter Vernetzung und leeren Akkus leben. Totalentladungen gehören zu ihrem Arbeitsalltag, ab und an stürzt ihr Handy ins Klo, erzählt sie, "und zweimal pro Woche bleibt mein Herz stehen, weil ich es nicht sofort finde". Heilbrunner spricht mit dem weich rollenden bayerischen R, und die am nächsten liegende Frage nimmt sie mit einer entwaffnenden Antwort einfach vorweg: "Ja, ich bin total handysüchtig. Aber das ist heute doch jeder, oder?"
Es kommt vor, dass sie, ihr Smartphone dicht vor Augen, gegen eine Glastür prallt. Oder in Paris gegen die Anti-Park-Poller, die in Schritthöhe auf Opfer warten. Einmal blieb sie mit einem bodenlangen Valentino-Kleid an einem der Pfähle hängen und riss die wertvolle Leihgabe komplett auf. "Da habe ich weinen müssen."
Heilbrunner wirft das Chanel-Kostüm ab und steigt in eine Levi's und ein Miu-Miu-Jäckchen
Seit einem Monat ist sie nun unterwegs: London, New York, Mailand, jetzt Paris, zum Prêt-à-porter-Finale. Inzwischen läuft ihr Handy über, 85 000 Bilder, der Speicher ist voll. Mit schnellen Wischbewegungen löscht sie ein paar Gigabyte Mailand, "schade drum". Weiter geht's. Heilbrunner, Tochter einer Krankenschwester und eines Technikers bei BMW, Kindheit in Ebersberg bei München, sitzt wieder im Fond. Chauffeur Florian, ein Veteran der Pariser Semaine de la Mode, hält in einer Gasse des 16. Arrondissements. Zeit für die Umziehpause vor der nächsten Schau. Heilbrunner wirft das Chanel-Kostüm ab und steigt in eine Levi's und ein Miu-Miu-Jäckchen aus der Kollektion von Miuccia Prada. Schiebt kurz darauf, als die Streetstyle-Meute am Place de l'Alma schon auf sie zuschießt, auch noch die Miu-Miu-Sonnenbrille auf die Nase, so viel Label-Treue muss sein. Mit schnellen Häutungen und Handgriffen verdient Heilbrunner schließlich ihr Geld.
Sie hat eine kleine Ski-Kollektion für Chloé "mehr oder weniger selbst entworfen". Sie hat für einen Autoveredler einen Smart gestylt, sie moderiert Veranstaltungen und postet regelmäßig – und vermutlich nicht immer umsonst – Produkte aus der Warenwelt von Ray Ban, Acne, Gucci, Prada. Auf einem ihrer Internetkanäle verbinden Links den Betrachter direkt mit einem Onlineshop – bei abgeschlossenem Kauf erhält sie eine Provision.

Und dann produziert Heilbrunner noch zusammen mit fünf Kolleginnen ein Onlinemagazin namens "Hey Woman!", das in dieser Saison mit einem französischen Couture-Konzern kooperiert. Zu diesem Deal gehört die Erstellung von Texten, Filmen und Fotos für Instagram und Facebook, aber auch "Pre-Roll-Ads", jene Werbe-Clips, die vor dem Beginn von Internetfilmen laufen. Auf all diesen Digitalkanälen kleckert sich für Heilbrunner ordentlich was zusammen. Und auch die Teilnahme an Boutique-Eröffnungen kann sich für sie durchaus lohnen.
Bei einer dreistündigen Veranstaltung samt Moderation kann sie durchaus 24.000 Euro einfordern
Wenn man sie fragt, was sie denn eigentlich verdiene, so antwortet sie ausweichend: "Es kommt ganz drauf an. Die Branche ist noch dabei, ein Modell zu finden." Also hört man sich bei Branchenkennern um. Die erklären erst einmal, dass eine Schätzung eigentlich nicht möglich sei – zu unterschiedlich seien die Absprachen. Dann aber schätzen sie doch: Man dürfe davon ausgehen, dass ein Heilbrunner-Kaliber bei einer dreistündigen Veranstaltung samt kurzer Moderation für einen der Umsatzriesen durchaus 24.000 Euro einfordern könne – um sich dann vielleicht auf 18.000 Euro runterhandeln zu lassen.
Ja, das hört sich irrsinnig an. Doch Veronika Heilbrunner kann Trends auslösen. Kann den Verkauf von Luxusprodukten explodieren lassen, weil sie Designerstücke alltagstauglich kombiniert und so dem Kunden näherbringt. Was "die Vroni" anzieht, scheint ihr ganz eigener Geschmack zu sein, scheint nach Lust und Laune gemischt, nicht von Produktmanagern befohlen. "Ich muss glaubwürdig sein", sagt sie. Und genau wissen, wann Schluss ist mit dem Anpreisen von Produkten und Marken – "damit mein Geschmack, für den ich bezahlt werde, nicht plötzlich kein Geschmack mehr ist".

Die Stilikone Heilbrunner ist ein Glücksfall für die Branche, die seit der China-Krise und dem Russland-Embargo zu sparen versucht, wo immer möglich. "Für ihr Geld kriegen die Firmen sehr viel von uns Influencern", sagt Heilbrunner. Der Druck, den die Konzerne machen, ist groß: "Die laden mich ja nicht umsonst ein. Oder leihen mir Kleider, weil ich so lieb bin. Sie wollen, dass meine Follower denken, sie brauchten jetzt genau diesen Turnschuh."
Es ist ein Geben und Nehmen, und deshalb kann die nette Veronika auch mal die Geschäftsfrau raushängen. Beim Showroom-Termin von Dior in der Avenue Montaigne weist sie sehr bestimmt darauf hin, dass andere Luxusmarken bei den Schauen durchaus Platz für digitale deutsche Medien böten. Ob sich das bis zu Dior noch nicht herumgesprochen habe, fragt sie mit der Verve jener, die glauben, dass ihnen die Zukunft gehört.
"Nur ein paar der klassischen Modemagazine werden überleben"
Eine Abgesandte eines italienischen Modekonzerns will nicht genannt, aber doch zitiert werden. Sie erzählt: "Der Zorn ist groß bei den Etablierten. Wenn für eine Chefredakteurin plötzlich kein Front-Row-Platz frei ist, kommt nackte Wut auf". Die Abgesandte wirkt wie das genervte Opfer eines hart ausgetragenen Zickenkriegs, in dem es auch um Budgets und Arbeitsplätze geht. "Die Tür zum Digitalen wurde aufgestoßen, weil die Luxusbranche an die jungen, reichen Erben ran will. Denn die rücken jetzt gerade ihre Kohle raus. Diese Entwicklung ist unaufhaltsam", sagt sie.
Das sieht, wenig verwunderlich, Veronika Heilbrunner genauso. "Nur ein paar der klassischen Modemagazine werden überleben", prophezeit sie. In der neuen Konsumwelt könnten Websites die Ware besser promoten, "die Magazine erscheinen mit ihren Einkaufstipps viel zu spät".

Heilbrunner hat selbst einst als Moderedakteurin begonnen, bevor sie für die Münchner Onlineboutique Mytheresa.com und ab 2014 für die deutsche "Harper's Bazaar" arbeitete – und schließlich so viel übers Styling wusste, dass sie selbst ins Visier der Fotografen geriet.
Turnschuhe und Lederjacke zum Spitzenkleid, sagt sie, damit fing es an, "das wurde so eine Art Markenzeichen von mir". Teuer mit günstig kombinieren, der Körpergröße von 1,86 Meter wegen aus der Menge herausragen, das half auch. Und dann landete noch dieser tätowierte Typ an ihrer Hand. Justin O'Shea war Einkaufschef bei Mytheresa.com, als er und sie zum Paar wurden: der coole Australier und die blonde Deutsche, das tollste heterosexuelle Streetstyle-Paar auf ungezählten Bildern.
Sogar die Männermode hat ihre Instaboys
Inzwischen ist um die Stars der Influencer-Branche eine ganze Industrie entstanden. Sie lassen sich durch Agenturen vertreten, sie preisen sich mit ihren Media-Kits bei den Modefirmen an. Während der Kollektionsschau Ende Februar bestückten Dolce & Gabbana ihre Modelriege mit einer Auswahl von Bloggerinnen, unter ihnen auch die Ex-"GNTM"-Gewinnerin Stefanie Giesinger (2,7 Millionen Follower) und das Instagirl Caro Daur aus Seevetal bei Hamburg. Die ist zwar nur 1,70 Meter groß und frei von Laufsteg-Erfahrung, hat aber auch schon eine Million Follower und laut Experten die Umsatzmillion geknackt.
Sogar die Männermode hat ihre Instaboys. Da ist zum Beispiel Daniel Fuchs, ein 28-jähriger Maschinenbauer aus Solingen, der unter dem Pseudonym "Magic Fox" 1,2 Millionen Abonnenten mit seinen Sixpacks und seinem modischen Geschmack unterhält. Für einen Instagram-Post verlangt er 3900 Euro, für eine Erwähnung auf dem Blog "The Modern Man" sind 3500 Euro fällig.
Im Vorfeld des diesjährigen kalifornischen Coachella-Festivals bot eine Agentur ihren Kunden fünf deutsche Influencer inklusive Gute-Laune-Grinsen auf allen Digitalkanälen für 30.000 Euro im Paket an – so die Preisliste im Frühjahr 2017. Maximale Haltbarkeit: 14 Tage, denn Reichweite und Follower sind eine schwankende Währung.
Mit objektiver Berichterstattung hat das käufliche Gewerbe der Influencer kaum zu tun, damit hat auch keiner der Akteure jemals geprahlt. Fragwürdig aber ist die mangelnde Bereitschaft der Instagram-Stars, ihre mitunter schamlose Schleichwerbung als solche zu kennzeichnen, etwa durch die Hashtags #ad oder #sponsored.
"Einige von uns werden in Teufels Küche landen"
Ende April wurden in den USA über 90 Influencer von der Verbraucherschutzbehörde ermahnt, ihr Werbetreiben gefälligst "deutlich und sichtbar" zu deklarieren. Eine Klägergruppe hatte sich beschwert, Instagram sei zu einem "Wilden Westen der verschleierten Reklame" verkommen. In Zukunft könnten Bußgelder dabei helfen, die Szene von mehr Transparenz zu überzeugen. Nicht nur Verbraucherschützer, auch deutsche Finanzbeamte haben ein Interesse daran. Derzeit nehmen die ersten diese neue, glänzende Arbeitswelt genauer unter die Lupe – und entdecken dabei eine Welt voller Luxusgeschenke und damit nicht versteuerte geldwerte Vorteile.
"Einige von uns werden in Teufels Küche landen", sagt Heilbrunner. Sie versichert, sich an die Netiquette zu halten und gesponserte Artikel zu kennzeichnen, aber den Followern, so glaubt sie, sei diese Problematik ziemlich egal. "Die merken, wenn man nicht authentisch ist. Mit plumpem Product Placement ist man schnell unten durch." Denn den Usern geht es vor allem darum, am Leben ihrer Helden teilzuhaben. Sie wollen mit der "Vroni" vor der Felsküste Positanos herumschippern, das neue Jahr in Dubai begrüßen oder, wie gestern Abend, mit Tatiana Santo Domingo Casiraghi und Eugenie Niarchos bei Burgern und Pommes im Restaurant von Ralph Lauren feiern.
Mit einbrechender Dämmerung tauscht Heilbrunner ein letztes Mal für heute ihr Outfit, das Finale der Saison steht an: Louis Vuitton lädt in den Louvre. Der Stau der Limousinen reicht bis tief in die Rue Saint-Honoré, das letzte Wegstück bewältigt Heilbrunner zu Fuß durchs Blitzlichtgewitter, sie irrt auf der Suche nach dem Eingang vor der Glaspyramide im Innenhof umher, blockiert von kreischenden Teenagern, die auf Jaden Smith oder Léa Seydoux warten.
In all dem Durcheinander muss Heilbrunner noch dringend einen Post an "Hey Woman!" verschicken. Und schnell die Bilder sichten, die sie im Laufe des Tages in Showrooms und neben Laufstegen gemacht hat. Was soll wann auf welchem ihrer Kanäle landen? Sie scrollt und scrollt, ihre Finger huschen über den Bildschirm, es ist gar nicht so einfach, sagt sie. "Am Ende des Tages gibt es echt viel zu viele Bilder, oder?"