Marcella Hansch ist heiser, als NEON sie telefonisch erreicht. Die 32-Jährige hat in den letzten Wochen und Monaten viele Interviews gegeben. Vor kurzem hat sie sogar ihren Vollzeitjob als Architektin an den Nagel gehängt – um sich komplett der Rettung des Ozeans zu widmen. Ein Tauchgang im Urlaub konfrontierte die damalige Studentin mit dem Müllproblem der Weltmeere – und brachte sie auf die Idee für ihr Abschlussprojekt an der Universität in Aachen: Sie konzipierte eine Plattform, die Plastikmüll aus dem Wasser filtern soll.
Das Thema ist wichtiger denn je: Jedes Jahr landen zwischen fünf und 13 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren – eine Plastikflasche kann bis zu 500 Jahre im Meer überdauern. Zeit etwas zu verändern, findet Marcella. Heute arbeitet sie in einer ehrenamtlichen Initiative mit fast 50 Mitarbeitern an der Weiterentwicklung ihrer Idee. Zusammen mit "Weltverbesserer“, einer Initiative der Techniker Krankenkasse und den FC St. Pauli Kiezhelden, startete sie unter dem Hashtag #netzgegenplastik eine Kampagne, die Ende letzten Jahres in den Sozialen Netzwerken viel Aufmerksamkeit erfuhr. NEON hat mit Marcella über den Einfluss von Plastik, Geld und Influencern gesprochen.
Marcella, du setzt dich jetzt seit über fünf Jahren für den Klimaschutz ein. Wie kamst du dazu?
Am Ende meines Architekturstudiums war ich mit einer Freundin vor den Kapverden im Atlantischen Ozean im Urlaub. Dort haben wir auch einen Ausflug zum Tauchen gemacht. Im Meer und auf dem Schiff, mit dem wir unterwegs waren, habe ich damals unglaublich viel Plastik gesehen und war total geschockt. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das immer ausgeblendet. Durch Zufall habe ich auf dem Rückflug einen Artikel über das weltweite Müllproblem in den Meeren gelesen. Vor fünf Jahren war das Thema in den Medien bei weitem noch nicht so präsent wie heute. Ich habe dann entschieden, mich in meiner Abschlussarbeit mit dem Thema zu befassen. Anfangs hatte ich geplant, einfach etwas zu entwickeln, das Plastik aus dem Meer entfernen kann, wie ein Schiff mit einem Netz darunter. Aber die Thematik hat mich so in den Bann gezogen, dass ich mich mit dem Meer und Plastik im Allgemeinen auseinandergesetzt habe und dann kam eins zu anderen.
Wie funktioniert dein Konzept genau?
Die meisten Kunststoffe sind leichter als Wasser und schwimmen an die Oberfläche. Wenn es gelänge, das Meer punktuell zu beruhigen, sodass die Partikel die dort drin schwimmen, nicht durch Winde und Strömungen verwirbelt würden, könnte man den Müll einfach abschöpfen. Also habe ich Studien dazu gemacht, wie eine Form aussieht, die Strömungen beruhigen kann. Natürlich ist das nicht nur ein großes Becken, sondern eher ein Kanalsystem unter Wasser. Weil es sehr tief gehen müsste, sammelt es auch die kleinsten Partikel ein. Und da das System offen ist und es keine Netze oder Siebe gibt, können auch Meereslebewesen hindurchschwimmen. Ich hatte das Ganze als eine Art Plattform geplant – nun versuchen wir, die Idee praxistauglich weiterzuentwickeln.
Lassen sich denn mit deiner Plattform die Weltmeere retten?
Wir wollen das ganze auch auf Flüsse und Flussmündungen ausweiten, um den Müll herauszufiltern, bevor er überhaupt in die Meere gelangt. Denn 80 Prozent des gesamten Mülls kommt über die Flüsse. Daher brauchen wir jetzt erst einmal eine Standortanalyse und müssen schauen, an welchen Stellen welche Art von Plastik in die Meere gelangt. Am wichtigsten ist, dass wir etwas entwickeln, das funktioniert – das wird mit meiner ursprünglichen Idee nicht mehr unbedingt viel zu tun haben.
Was soll mit dem abgeschöpften Plastik passieren?
Ein Teil unseres Team konzentriert sich aktuell auf diese Fragestellung. Ich habe mir in meiner Abschlussarbeit damals überlegt, was man mit dem Plastik machen könnte, ohne es zu verbrennen. Denn Plastik besteht aus Erdöl, das auch eine endliche Ressource ist, mit der wir Menschen gut haushalten sollten. Meine Idee war es, das Plastik zu vergasen – das ist heißer als verbrennen und man kann die Moleküle in Wasserstoff und CO2 aufspalten, die man wiederum zur Energiegewinnung nutzen kann. Unser Team untersucht jetzt aber, was davon realistisch ist. Wir suchen eine nachhaltige und saubere Lösung, bei der das Plastik als Ressource genutzt werden kann.
Euer Hashtag #netzgegenplastik, den ihr mit der Initiative "Weltverbesserer" gestartet habt, war Ende des vergangenen Jahres super erfolgreich. Was hatte es damit auf sich?
Wir wollten mit dem Thema möglichst viele Leute erreichen, denn wir haben nicht nur das Ziel, Müll aus dem Meer zu entfernen, sondern auch ein Bewusstsein zu schaffen, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Und dazu eignet sich Social Media besonders gut – also haben wir eine Hashtagkampagne gestartet. Für jeden geteilten Hashtag sollte innerhalb von sechs Wochen ein Euro gespendet werden – so wollten wir 50 000 Euro zusammenbekommen. Wir haben beim Start der Kampagne überhaupt nicht damit gerechnet, dass wir diese Zahl erreichen.
Was passiert denn mit dem Geld?
Im vergangenen Sommer haben wir für unser Projekt "Pacific Garbage Screening" schon ein eigenes Crowdfunding gemacht und mit die zusätzlichen Unterstützung der Kampagne gibt uns nun die Chance, Stellen zu schaffen. Denn nur mit ehrenamtlichen Mitarbeitern können wir einfach nicht so viel Zeit und Kapazitäten investieren. In den kommenden drei Jahren wollen wir eine Machbarkeitsstudie entwickeln, um zu schauen, wie viel Müll aktuell in den Meeren ist und wie viel wir herausfiltern können. Danach sollen Simulationen und Modeltests entstehen, um die Idee wirklich zu testen. Zudem wollen wir uns im Bereich Umweltbildung stark machen und zum Beispiel in Schulen gehen, um die Menschen zu informieren.
"Grün sein" ist aktuell ziemlich trendy. Unternehmen und Privatpersonen nutzen möglicherweise nachhaltige Themen oder auch Hashtags wie #netzgegenplastik, um Aufmerksamkeit zu bekommen, obwohl sie gar nicht richtig dahinterstehen. Wie gehst du mit dieser Problematik um?
Je mehr Menschen sich beteiligen, desto besser. Natürlich gibt es einige, die das Thema nicht wirklich ernst nehmen, aber sie machen auf die Problematik aufmerksam. Besonders die sogenannten Influencer erreichen die breite Masse der Menschen – ich rede auf meinen Vorträgen vor allem zu Fachpublikum. Aber jeder einzelne muss sein Verhalten ändern und viele Menschen haben die Problematik noch überhaupt noch nicht wahrgenommen.
Was macht ihr denn, wenn euer Projekt nicht funktioniert?
Wir werden das Konzept solange weiterentwickeln, bis es funktioniert. Ich hatte im letzten Jahr eine interessante Begegnung mit der Meeresexpertin Dr. Sylvia Earle. Die 82-Jährige hat ihr Leben den Meeren verschrieben. Sie meinte, es sei letztlich egal, ob unser Projekt funktioniert, aber wir hätten die Chance, damit so viele Menschen zu erreichen und den Meeren eine Stimme zu geben. Auf meinen Vorträgen und Reisen bekomme ich viel Feedback von Menschen, die mir sagen, dass sie durch diesen Anstoß nachgedacht und ihr Verhalten verändert haben. Das ist allein schon viel Wert, denn wir als Verbraucher haben eine große Macht.