Es gibt schon lange keine Sklaven mehr - zumindest offiziell. Die Aussage einer kuwaitischen Influencerin Anfang dieser Woche lässt etwas anderes vermuten. Sondos Alqattan regte sich auf YouTube darüber auf, dass ihre philippinischen Hausmädchen nun einen freien Tag in der Woche bekommen sollen. Zudem dürfen sie ihre Papiere bei sich tragen, mit denen sie theoretisch das Land verlassen können. Der traurige Einzelfall einer abgehobenen Instagram-Berühmtheit, möchte man gerne hoffen.
Menschenrechtsorganisationen warnen allerdings regelmäßig, dass es auch heute noch Formen der Sklaverei gebe. "Wenn eine Person wirtschaftlich ausgebeutet wird und der Ausbeuter über Macht- oder Geldmittel verfügt, diese Person festzuhalten, spricht man von moderner Sklaverei", so lautet die Defintion. Dieses Szenario wirkt weit weg. Wer hat denn heute noch ein Hausmädchen und welche Rechte haben die Arbeiterinnen wirklich?
NEON beantwortet die wichtigsten Fragen rund ums Thema "moderne Sklaverei".
1. Wo gibt es heute noch Hausmädchen?
Eine Doku der ARD filmt ein Einkaufszentrum in Singapur: In den Schaufenstern vieler Läden stehen weder Schuhe noch Kleidung, dort sitzen junge Frauen. Die Läden gehören zu Agenturen, die sich auf die Vermittlung sogenannter "Maids", Hausmädchen, spezialisiert haben. Die Präsentation der Mädchen ist sinnbildlich, denn sie werden wie Ware behandelt. Braucht man eine Haushaltshilfe, sucht man sich in der Agentur schnell ein passendes Mädchen aus. Ist man nicht mehr zufrieden, tauscht man es kurzerhand aus.
Singapur, Kuwait, Saudi-Arabien, Taiwan, Hongkong – diese Staaten haben mit armen Ländern Südostasiens Abkommen getroffen, damit junge Mädchen von dort einreisen und als Hausmädchen arbeiten können. In Kuwait, Heimat der Influencerin, leben schätzungsweise 250.000 Hausmädchen. Jeder dritte Haushalt in Singapur soll eines beschäftigen, darauf kommt die Studie eines unabhängigen Forschungsinstituts. Jeder fünfte Haushalt in Singapur soll eines beschäftigen. Dass in reichen Familien eine Maid fürs Putzen, Kochen, Einkaufen und die Kinderbetreuung zuständig ist, gehört zum guten Lebensstil.
2. Wer arbeitet als Hausmädchen?
Anderer Ort, andere Perspektive: In einer Schule auf den Philippinen werden Mädchen auf die Arbeit als Hausmädchen vorbereitet. Überall in den armen Ländern Südostasiens verlassen sie ihr Land, weil sich in der Heimat kaum Geld verdienen lässt. Familien und Kinder der Frauen bleiben zurück. Auf den Philippinen nennt man das Phänomen "Cellphone Parents", Eltern, die ihre Kinder nur noch durchs Handy kennen, weil sie im Ausland arbeiten. Häufig schicken die Hausmädchen den Großteil des verdienten Geldes in die Heimat zurück. Die Kinder wachsen zwar in einem gewissen Wohlstand auf – dafür aber ohne Mutter.
3. Wie lange arbeitet ein Hausmädchen?
Arbeitnehmerschutz ist eine gute Sache, steht den Hausmädchen häufig aber nicht zu – genauso wenig wie andere Rechte. "Das Hausmädchen geht schlafen, wenn die Kinder schlafen gehen", so formuliert es die Arbeitgeberin in einer Doku des Österreichischen Rundfunks, "und steht auf, sobald die Kinder wach werden." Die durchschnittliche Arbeitszeit soll in Hongkong bei 17 Stunden am Tag liegen. Sally, ein Hausmädchen, das sich mittlerweile an eine Hilfsorganisation in Singapur gewendet hat, erzählt, dass sie einen Vertrag ohne freien Tag in der Woche annehmen musste. Ihre Agentur habe gedroht, dass sie sonst keinen Arbeitgeber finden würde. Dass die "Maid" der Familie eigentlich immer zur Verfügung steht, halten viele für normal. Aus diesem Zustand folgte jetzt wohl auch der Ärger der kuwaitischer Influencerin.
4. Wie sind die Arbeitsbedingungen?
Die wahren Arbeitsbedingungen erfährt man häufig nur von ehemaligen Hausmädchen, die zu Hilfsorganisationen flüchten konnten. Dann erfährt man Schlimmes. Auf der Website der singapurer Hilforganisation "Home" erzählen sie, wie sie alle Arbeiten übernehmen müssten, ganz egal, ob die in einer menschenwürdigen Arbeitszeit zu schaffen seien oder nicht. Mädchen müssen alle Arbeiten übernehmen, ganz egal, ob die in einer menschenwürdigen Arbeitszeit zu schaffen sind oder nicht. Sally zum Beispiel war es nicht erlaubt, am Tag Pausen zu machen. Nach draußen gehen durfte sie nur zum Einkaufen. Alltag ist auch, dass die "Maids" kein eigenes Zimmer haben. Einige schlafen in der Küche oder auf dem Balkon. Noch extremer: Vielen "Maids" fehlt es sogar an ausreichender Verpflegung. Kürzlich wurde ein Ehepaar in Singapur zu zehn Monaten Haft verurteilt, nachdem ihr Dienstmädchen verhungert war. Die gefolterte Leiche eines philippinischen Dienstmädchens wurde in einem Kühlschrank in Kuwait gefunden. Gewalt gegen die Mädchen ist kein Einzelfall. In einem Frauenhaus in Hongkong berichten Loretta, Gina und viele weitere geflohene Mädchen, wie sie jeden Tag geschlagen wurden.
5. Wie viel verdient ein Hausmädchen?
Ein Mädchen, das einen Monat ohne Pause Tag und Nacht arbeitet, bekommt zwischen 200 und 450 Euro. Das ist genauso viel wie ein Arzt oder Rechtsanwalt in seiner Heimat. Das Geld kriegt das Hausmädchen allerdings frühestens nach einem halben Jahr, vorher kassiert die Agentur das Gehalt. Wenn das Hausmädchen sein Geld denn überhaupt sieht: Es gibt auch Fälle, in denen "Maids" zu spät oder niemals bezahlt wurden.
6. Warum wehren sich die Hausmädchen nicht gegen diese Ausbeutung?
Aber müssen die Hausmädchen sich das gefallen lassen? Das Problem: Laut Gesetz entscheidet die Agentur, ob ein Mädchen im Land bleiben darf oder zurückgeschickt wird. Oft kontrolliert sie die Arbeiterinnen, indem sie Reisepass und Handy einbehält. Ohne Englischkenntnisse und mit dem Druck, jederzeit nach Hause geschickt zu werden, akzeptieren viele die schlechten Arbeitsbedingungen. Die gewalttätige Familie wechseln? Geht nicht, wenn die Agentur nicht zustimmt. Die jungen Frauen, angewiesen auf die Arbeit und die Bezahlung als Hausmädchen, sind der Agentur völlig ausgeliefert.
Moderne Sklaverei: Hausmädchen sind nicht allein
Knallharte Arbeit ohne Pause und totale Abhängigkeit von Agentur und Arbeitgeber – das trifft die ursprüngliche Definition der modernen Sklaverei ziemlich gut. Über die genauen Verhältnisse der Mädchen gibt es keine konkreten Studien. Stattdessen müssen wir uns auf die Aussagen Betroffener verlassen, die einen kleinen Einblick in diese Parallelwelt geben. Sie sind in mehreren Dokumentationen der öffentlich-rechtlichen Sender festgehalten.
Der Vollständigkeit halber muss ergänzt werden, dass die Hausmädchen leider nicht das einzige Beispiel moderner Sklaven sind. Illegale Gastarbeiter auf Baustellen teilen mancherorts ein ähnliches Schicksal. In Deutschland gibt es Zwangsprostituierte, die in ausbeuterischen Abhängigkeitsverhältnissen leben.
Wenn Kuwait den Hausmädchen nun einen freien Tag und den Besitz ihres Passes zusichert, dann ist das bei dieser Ausgangslage nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Trotzdem ist es ein Schritt in die richtige Richtung – auch wenn die Influencerin das anders sehen mag.