EU-Gipfel erzielt bei Nutzung russischer Vermögen für Kiew nur Minimalkompromiss

Selenskyj (links) und Costa am Donnerstag in Brüssel
Selenskyj (links) und Costa am Donnerstag in Brüssel
© AFP
Nach stundenlangen Verhandlungen über die mögliche Verwendung von eingefrorenen russischen Vermögen für die Ukraine haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU nur auf einen Minimalkompromiss geeinigt. In einer Gipfelerklärung beauftragten sie am Donnerstagabend die EU-Kommission lediglich damit, Optionen für die finanzielle Unterstützung der Ukraine zu prüfen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach im Anschluss dennoch von einer "wichtigen" Entscheidung, Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) von einer "guten, zielführenden Diskussion".

In der Abschlusserklärung zur Ukraine hieß es weiter, die russischen Vermögenswerte sollen solange eingefroren bleiben, bis Russland "die durch seinen Krieg verursachten Schäden kompensiert".

EU-Diplomaten zufolge schließt diese Formulierung nicht aus, dass die Kommission auch die Nutzung russischer Vermögen in ihre Überlegungen einfließen lässt. Die Gipfelerklärung blieb damit allerdings weit hinter der ursprünglich anvisierten Einigung zurück. Geplant war ursprünglich, die Kommission konkret damit zu beauftragen, eine rechtssichere Umsetzung des Vorhabens zu erarbeiten. Die EU-Kommission hat nun bis zum nächsten EU-Gipfel am 18. Dezember Zeit, ihre Vorschläge vorzulegen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, es seien die Punkte ermittelt worden, die noch geklärt werden müssten, um Reparationsdarlehen an die Ukraine mit eingefrorenen russischen Vermögenswerten zu finanzieren. "Und dann werden wir in der Tat mit den verschiedenen Optionen zurückkommen."

Von der Leyen hatte im September vorgeschlagen, rund 140 Milliarden Euro russischer Zentralbankgelder, die in Belgien eingefroren sind, für Kredite an die Ukraine zu nutzen. Russland sollte demnach erst dann wieder auf das Geld zugreifen können, wenn es Reparationen an Kiew zahlt. Haften würden zunächst die EU-Mitgliedstaaten für das Geld.

Insbesondere Belgien machte jedoch massive rechtliche Bedenken geltend. Regierungschef Bart de Wever sagte nach Gipfelende: "Eine Rechtsgrundlage ist kein Luxus. Sie ist kein Detail." Zugleich signalisierte der Belgier Bereitschaft, eine Lösung zu finden. "Wir haben ein paar Wochen Zeit und die Probleme sind nicht zu unterschätzen", sagte er. "Ich denke, wir werden bis tief in die Nacht arbeiten müssen."

Belgien fürchtet unter anderem, dass sein Land finanzielle Risiken durch mögliche Gegenmaßnahmen Russlands alleine tragen müsste. Dem Vernehmen nach teilten auch andere EU-Staaten in Teilen die belgischen Bedenken.

Bundeskanzler Merz sprach von "wirklich ernsthafte Themen, die wir lösen müssen". Es handele sich um einen Vorgang, der "in seiner ganzen Tragweite" einmalig sei, betonte Merz, der sich zuvor dafür stark gemacht hatte, die russischen Gelder zu nutzen.

Selenskyj begrüßte im Onlinedienst X die "guten Ergebnisse" des EU-Gipfels. Er sieht demnach "die politische Unterstützung in Bezug auf eingefrorene russische Vermögenswerte und deren maximale Nutzung zur Abwehr russischer Aggressionen" als gesichert an. Selenskyj hatte am Donnerstagvormittag an den Gipfelberatungen teilgenommen.

Der gesamte Teil der Gipfelerklärung zum Thema Ukraine wurde nur von 26 der 27 Mitgliedstaaten getragen. Ungarn beteiligte sich wie schon bei vorigen Gipfeln nicht. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hatte Sanktionen gegen Russland in der Vergangenheit immer wieder blockiert.

In ihrer Abschlusserklärung zum Thema Verteidigung und Sicherheit bekannten sich die Staats- und Regierungschefs im Großen und Ganzen zu einem Vorschlag der Kommission aus der vergangenen Woche, der unter anderem den Aufbau einer effizienten Drohnenabwehr vorsieht. Sie forderten eine besondere Ausrichtung auf Drohnenabwehr und Luftverteidigung. Die EU reagiert damit auf das Eindringen russischer Drohnen und Kampfflugzeuge in europäischen Luftraum sowie mysteriöse Drohnensichtungen in mehreren EU-Ländern.

Während der Gipfel noch lief, drangen am Donnerstagabend nach Angaben Litauens zwei russische Militärflugzeuge in den Luftraum des baltischen EU- und Natolandes ein. Der Kampfjet vom Typ SU-30 und ein Tankflugzeug vom Typ IL-78 hätten aus der russischen Exklave Kaliningrad kommend 18 Sekunden lang litauischen Luftraum durchflogen. Das russische Verteidigungsministerium bestritt jegliche Verletzung des litauischen Luftraums.

Vor dem Gipfel hatte ein mögliches Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin für Unsicherheit über den Kurs Washingtons im Ukraine-Krieg gesorgt. Nach der vorläufigen Absage des Treffens und neuen US-Sanktionen gegen russische Energieexporte zeigte Selenskyj sich jedoch zufrieden mit den jüngsten Entwicklungen und begrüße die "sehr wichtigen" Sanktionen von EU und USA. Die EU hatte am Mittwochabend ihr 19. Sanktionspaket gegen Russland beschlossen.

AFP

Mehr zum Thema