Ein Vertreter des von der Hamas geführten Innenministeriums in dem Palästinensergebiet vermeldete einen "vollständigen Rückzug" der israelischen Armee aus dem Netzarim-Korridor. Ein AFP-Journalist bestätigte die Abwesenheit israelischer Soldaten an der rund sieben Kilometer langen Straßenverbindung, die den Gazastreifen von der Grenze zu Israel bis zum Mittelmeer durchschneidet.
Ein Angehöriger der israelischen Sicherheitsdienste sagte AFP, die Armee sei dabei, "das Waffenruheabkommen entsprechend den Vorgaben der politischen Ebene umzusetzen". Die israelische Armee hatte den im Oktober 2023 besetzten Netzarim-Korridor teilweise bereits Ende Januar geöffnet und so zehntausenden Palästinensern die Rückkehr in den Norden des Gazastreifens ermöglicht. Nun zog sich die Armee völlig zurück.
Unterdessen ordnete der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Entsendung einer Delegation nach Katar an, wo die indirekten Verhandlungen über die zweite Phase des Waffenruhe-Abkommens stattfinden. Seit dem Beginn der Waffenruhe am 19. Januar sind 18 israelische Geiseln von der Hamas und verbündeten Gruppen freigelassen worden. Israel setzte im Gegenzug rund 600 palästinensische Häftlinge auf freien Fuß.
Das Waffenruheabkommen sieht in seiner ersten, sechswöchigen Phase die Freilassung von insgesamt 33 Geiseln vor. In der zweiten Phase des Abkommens sollen die Hamas und mit ihr verbündete Gruppen alle verbliebenen Geiseln an Israel übergeben. Zudem soll ein endgültiges Ende des vor 16 Monaten begonnenen Gaza-Kriegs soll erreicht werden. In der dritten Phase soll es um den Wiederaufbau des Gazastreifens gehen.
Bei der fünften Geiselfreilassung seit Inkrafttreten der Waffenruhe am Samstag führten vermummte Kämpfer der Hamas den Deutsch-Israeli Ohad Ben Ami und zwei weitere Geiseln in Deir el-Balah im Zentrum des Gazastreifens vor hunderten Schaulustigen auf ein Podium, wo sie eine Erklärung auf Hebräisch in ein Mikrofon sprechen mussten. Anschließend riefen die Hamas-Kämpfer "Allahu akbar" (Gott ist groß).
In Israel löste die Inszenierung empörte Reaktionen aus. Staatspräsident Isaac Herzog schrieb im Onlinedienst von einem "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Die ganze Welt habe zusehen müssen, wie die Männer "hungernd mit ausgemergelten Gesichtern und leidend von gemeinen Mördern für ein zynisches und grausames Spektakel ausgebeutet werden". Der Gesundheitszustand aller drei Männer ist Krankenhausangaben zufolge schlecht.
Netanjahu nannte die Bilder "schockierend" und kündigte an, dass dies "nicht unbeantwortet" bleiben werde. Eine Organisation von Opferfamilien sprach von Bildern, "die an die Fotos der Überlebenden der Shoah" erinnerten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) forderte "alle Parteien, einschließlich der Vermittler" auf, "sich zu verpflichten, dass künftige Übergaben würdevoll und unter Wahrung der Privatsphäre erfolgen".
Im Gegenzug für die Freilassung der drei Geiseln ließ Israel insgesamt 183 palästinensische Häftlinge frei. Die "Terroristen" seien aus "mehreren Gefängnissen im ganzen Land" ins Westjordanland, nach Ostjerusalem und in den Gazastreifen gebracht worden, hieß es. Nach Angaben des Palestinian Prisoners' Club, der sich für die Belange palästinensischer Gefangener einsetzt, wurden sieben der Freigelassenen wegen ihres Gesundheitszustands in ein Krankenhaus eingeliefert.
In einer parallelen Entwicklung kündigte Ägypten am Sonntag einen "Dringlichkeits"-Gipfel arabischer Staaten zu den "jüngsten ernsten Entwicklungen" bezüglich der Palästinensergebiete an. Der Gipfel finde am 27. Februar in Kairo statt, teilte das Außenministerium mit. Thema sollen offenbar Pläne von US-Präsident Donald Trump sein, die Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Ägypten und Jordanien umzusiedeln. Die USA wollen laut Trump den Küstenstreifen dann übernehmen und wiederaufbauen.
Die arabischen Staaten hatten ebenso wie westliche Verbündete Trumps Vorstoß zurückgewiesen und bestehen auf einer Zweistaatenlösung. Netanjahu sagte am Samstag dem US-Sender Fox, Israel werde Trumps Plan, "die Palästinenser vorübergehend umzusiedeln", umsetzen.
Unterdessen kehrten fünf Thailänder anderthalb Wochen nach ihrer Freilassung aus der Geiselhaft im Gazastreifen in ihre Heimat zurück, wo sie am Flughafen Bangkok von Angehörigen freudig in Empfang genommen wurden.