Merz wollte das "Manifest" nicht direkt kommentieren. "Wir sind uns in der Bundesregierung in der Bewertung des Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt und in den Konsequenzen, die es daraus zu ziehen gilt, vollkommen einig", sagte er dazu in Berlin. Auch sein Sprecher Steffen Meyer betonte, es gehe darum, "unsere Verteidigungsfähigkeit und unsere Abschreckungsfähigkeit deutlich zu stärken". Dabei nehme er die Bundesregierung "als sehr, sehr geschlossen wahr".
Prominente Stimmen in der SPD waren zuvor auf Distanz zur Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung gegangen, darunter Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, der frühere Fraktionschef Rolf Mützenich und der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner. In dem Grundsatzpapier kritisieren sie eine "militärische Alarmrhetorik" und fordern Gespräche mit Russland sowie einen Stopp der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Der Vorstoß zielt direkt auf eines der Kernvorhaben der neuen Regierung ab - die massive Erhöhung der Wehrausgaben zur Erhöhung der militärischen Verteidigungsfähigkeit. Die Unterzeichner des als "Manifests" kritisierten das: In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten hätten sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft "vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen".
"Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen Nato und Russland", heißt es in dem Manifest weiter. Nötig sei jetzt eine "schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland".
Kritik üben die Verfasser zudem an der geplanten massiven Aufstockung der Verteidigungsausgaben. Für das Nato-Ziel, die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten auf fünf Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung zu erhöhen, gebe es "keine sicherheitspolitische Begründung".
In der SPD-Bundestagsfraktion löste der Vorstoß Verärgerung aus. Der außenpolitische Sprecher Adis Ahmetovic sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von einem "inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier". Es würde "im Falle einer Einbringung auf dem Bundesparteitag auch keine Mehrheit finden". SPD-Fraktionschef Matthias Miersch distanzierte sich davon: Es handle sich um einen "Debattenbeitrag", sagte Miersch den RND-Zeitungen. "Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile."
Stegner, Walter-Borjans und Mützenich verteidigten das Papier ausdrücklich. Stegner sprach im Deutschlandfunk von einem "Beitrag zur Debatte". Dem Sender Welt TV sagte er, er sei "weder Pazifist noch naiv", aber er wundere sich darüber, dass nur derjenige kritisiert werde, der diplomatische Lösungen einfordere, aber nicht derjenige, "der nur über Waffen redet". Walter-Borjans kritisierte vor diesem Hintergrund seinen Nachfolger Lars Klingbeil und forderte ihn auf, auch unbequeme Diskussionen zu führen.
Mützenich sagte dem "Stern", die Überlegungen könnten "nicht alle Fragen beantworten, und dennoch suchen wir nach Auswegen in gefährlichen Zeiten". Nötig sei im Kern eine "Kombination aus Verteidigungsfähigkeit und Anreizen zur Konflikteindämmung und für Koexistenz". Lobend äußerte sich Juso-Chef Philipp Türmer zu dem "Manifest".
Die Grünen kritisierten, dass ein solcher Kurs der Beschwichtigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin eben nicht zum Frieden führen würde. Der Aufruf sei "leider Wunschdenken, denn ein solcher Kurs führt leider gerade nicht dazu, dass ein skrupelloser Imperialist die Gewalt beendet", sagte Vize-Fraktionschefin Agnieszka Brugger zu AFP.
Beifall fand das "Manifest" bei der AfD. "Wenn nun selbst prominente SPD-Politiker eine Kurskorrektur fordern, dann ist das ein spätes, aber wichtiges Signal", sagte der außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Markus Frohnmaier, zu AFP. Mit der Forderung nach einem Dialog mit Russland bewegten sich Teile der SPD nun "auf den außenpolitischen Kurs der AfD zu".