Die Debatte um eine Grundgesetzänderung, die der nächsten Bundesregierung mehr finanziellen Spielraum gibt, hat nach der Bundestagswahl am Sonntag an Dringlichkeit gewonnen. Im neuen Bundestag, der Ende März zusammentritt, werden für eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit Stimmen von Linke oder AfD benötigt. Debattiert wird, ob der bisherige Bundestag vor Abschluss der Legislaturperiode noch eine Grundgesetzänderung mit den alten Mehrheiten beschließt.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) will entsprechende Grundgesetzänderungen aber erst durch den neuen Bundestag vornehmen lassen - und dann auf die Stimmen der Linken setzen. "Wir können uns das ja nicht aussuchen. Wir haben jetzt eine Wahl gehabt", sagte er im Berlin Playbook Podcast des Nachrichtenportals Politico. Neben einer Reform der Schuldenbremse will Günther dann auch ein neues Verteidigungs-Sondervermögen verankern.
Unionsfraktionsvize Middelberg (CDU) regte ein neues Sondervermögen an, um die anstehenden Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Ihm seien solche "Sonderschulden (...) allemal lieber als eine generelle Änderung oder Aufweichung der Schuldenbremse", sagte Middelberg in der ARD. Ein solche Aufweichung nähme "dann für die Dauer, für Jahrzehnte jede Disziplin, mit dem Geld auszukommen, das man als Einnahmen hat".
Die Grünen hatten sich bereits im Grundsatz zu Gesprächen darüber bereit erklärt, noch vom alten Bundestag eine Grundgesetzänderung verabschieden zu lassen. Die FDP bewertete ein solches Vorgehen aber kritisch: "Ich sehe nicht, dass der Deutschen Bundestag, der noch im Amt ist, legitimiert ist, das Grundgesetz zu ändern", sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki in Berlin. Dies würde sein "Demokratiegefühl ziemlich stören".
Scharfe Kritik kam von der Linken. Wer jetzt noch in wenigen Wochen ein neues Sondervermögen im Grundgesetz verankere, wolle "mit dem alten gegen den neuen Bundestag putschen", erklärte Ko-Parteichefin Ines Schwerdtner.
Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht warnte, er wäre ein " Affront gegenüber dem demokratischen Votum der Wählerinnen und Wähler", wenn der alte Bundestag noch über ein Sondervermögen abstimmen sollte. Es wäre eine falsche Priorität, nun auf die Schnelle "die Finanzen für das größte Aufrüstungsprogramm der bundesdeutschen Geschichte zusammenzubringen", sagte sie zu AFP.
Auch SPD-Parteichefin Saskia Esken sieht den möglichen Beschluss zu Sondervermögen oder einer Änderung der Schuldenbremse mit dem alten Bundestag skeptisch. "Ich bin skeptisch, weil ich denke, dass das den Wähler und Wählerinnen schwer zu vermitteln ist, dass jetzt neue und alte Mehrheiten noch so strategisch ausgenutzt werden sollen, sondern wir sollten zusehen, dass wir Mehrheiten für einen guten Weg in unserem Land insgesamt finden", sagte Esken auf RTL und ntv.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte die Union aufgefordert, beim Bundeswehretat eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu beschließen. Bei einem Beschluss im alten Bundestag drängt die Zeit. Er ist nur noch bis zum 25. März beschlussfähig, wenn das neue Parlament erstmals zusammentritt. CDU-Chef Friedrich Merz hatte am Dienstag eine Reform der Schuldenbremse vor diesem Termin ausgeschlossen und nannte auch ein neues Sondervermögen "schwierig".