Da haben die Fridays-for-Future-Leute aus Hannover ein schönes Eigentor geschossen. Die Sängerin Ronja Maltzahn darf nicht auf ihrer Kundgebung singen, weil sie als weiße Frau Dreadlocks trägt. Mit dieser Frisur habe sie sich "einen Teil einer anderen Kultur" angeeignet "ohne die systematische Unterdrückung dahinter zu erleben." Die FFF-Leute wiesen Maltzahn allerdings einen Ausweg: Wenn sie sich die Haare abschneiden würde, dürfe sie auftreten.
Nun ist die Aufregung groß. Leider nicht zu Unrecht. Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob Dreadlocks bei Weißen tatsächlich ein mieses Zeichen kultureller Aneignung sind. Als politisches Statement könnten sie auch als Zeichen der Solidarität, gegen die Unterdrückung von Schwarzen, durchgehen. Allerdings ist nicht mal klar, wer die Locken zuerst verfilzt hat und was er damit sagen wollte. Die Rastafari, eine Bewegung auf Jamaika, die dem Christentum entsprungen ist, liebte ihre Zöpfe verfilzt. Andere Quellen wissen zu berichten, dass schon die Priester der Azteken ihre Haare gerne zu Zöpfen filzten. Als Erkennungszeichen. Dreadlocks sind vielleicht ein politisches Statement, aber sie sind auch, so böse das jetzt klingt, eine Modeerscheinung.
Dreadlocks: Ehre oder Anmaßung?
Und ob in der Mode, Kunst, Kultur, beim Kochen, Essen, Trinken – überall wird geklaut. Oder weiter gesponnen. Das ist auch Aneignung. Und nicht immer böse gemeint. Dass Andy Warhol Picasso schätzte, ist nicht zu übersehen. Picasso ließ sich von afrikanischen Bildhauern beeinflussen, eignete sich deren Kultur an, bediente sich ungeniert, entwickelte ihre Ideen weiter. Ehre oder Anmaßung?
Vor ein paar Jahren waren bunt gehäkelte Wayuu-Taschen groß in Mode. Das indigene Volk der Wayúu wurde in Kolumbien unterdrückt und leistete Widerstand. Die Taschen werden allerdings, wenn sie echt sind, angeblich fair gehandelt und schaffen ein Auskommen für die Handarbeitenden. Zollen die Trägerinnen dem Handwerk Respekt? Negieren sie das Leid der Unterdrückten? Schaffen sie eine Lebensgrundlage für die Arbeitenden? Beuten sie sie aus? So könnte man weiter diskutieren. Dürfen heterosexuelle Männer Kettenportemonnaies tragen? Stammen die nicht aus der Schwulenszene? Negieren Heteros damit das Leid von Homosexuellen, deren Sexualität in einigen Ländern noch immer mit der Todesstrafe bedroht ist? Die Diskussion führt ins Nirgendwo.
Rückschrittliche Forderungen
Natürlich gibt es Beispiele von kultureller Aneignung. Blackfacing, zum Beispiel. Weiße, die sich die Gesichter schwärzen, gehen zu weit. Auf der Bühne war das lange Usus, Stereotypen wurden bedient. Dreadlocks aber sind allenfalls eine Herausforderung für Friseure.
Besonders peinlich ist, dass die FFF-Leute aus Hannover der Sängerin anbieten, sie könne sich ja die Haare abschneiden. Erst wenn eine Frau sich die Haare kürzt, darf sie arbeiten. Wie rückschrittlich ist das denn?
FFF ist eine wichtige Bewegung. Schräge Vögel, die übers Ziel hinausschießen, gibt es überall. Vermutlich raufen sich viele FFF-Aktivisten die Haare über diesen PR-Gau, der die ganze Bewegung zu Unrecht in Misskredit bringt. Und der dafür sorgt, dass sich Klimagegner jetzt die Hände reiben.