Thälmann Demircioğlu, 20, kämpft wie Ivana Hoffman in Rojava gegen den Islamischen Staat. Dem stern hat er erzählt, wie er Ivana, die erste Deutsche, die im Kampf gegen den IS starb, erlebt hat und wie das Leben als ausländischer Kämpfer in Syrien ist. Ein Protokoll seiner Äußerungen.
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Irgendwann habe ich die Bilder im Fernsehen nicht mehr ertragen. Das Leid der Menschen in Syrien, abgeschlachtet vom Regime und von Isis, das hat mich schwer mitgenommen. Ich beschloss, mich dem kurdischen Freiheitskampf in Syrien anzuschließen.
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Ivana ging es wie mir. Sie hat den Schmerz der Menschen tief in ihrem Herzen gefühlt. Wir kannten uns durch unsere politische Arbeit noch aus Deutschland. Sie war in der Bewegung "Young Struggle" engagiert, ich in der MLKP, der marxistisch-leninistischen Partei. Wenn wir uns auf Demonstrationen begegnet sind, haben wir oft über die Möglichkeit gesprochen, uns dem Kampf anzuschließen. Als Ivana plötzlich nicht mehr da war, ahnte ich, dass aus der Idee Realität geworden war.
"Stehe mit Familie nicht in Kontakt"
Vor vier Monaten bin ich auch nach Rojava gegangen. Meiner Familie habe ich vorher nicht Bescheid gesagt. Wir stehen auch jetzt nicht in Kontakt. Deshalb will ich anonym bleiben. Nach Syrien zu kommen war gar nicht so schwierig. Ich bin von Deutschland aus nach Erbil in den Nordirak geflogen. Von dort habe ich mich mit Bussen und Taxis an die syrische Grenze durchgeschlagen. Auf syrischer Seite hat mich ein Kontaktmann der MLKP abgeholt und zu einer Militärbasis in Serê Kaniyê gebracht. Die Stadt ist auch unter dem arabischen Namen Ras al-Ain bekannt. Sie liegt in Rojava an der syrisch-türkischen Grenze.
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Im Lager bin ich sofort Ivana begegnet. Ich wusste inzwischen, dass sie da sein würde und hatte mich sehr darauf gefreut, sie wiederzusehen. „Willkommen“, sagte sie und schloss mich in ihre Arme. Sie war immer noch so fröhlich wie früher. Aber gleichzeitig wirkte sie reifer, erwachsener
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Unsere Militärbasis ist von hohen Mauern umgeben, um uns vor Angriffen zu schützen. Hier leben viele ausländische Kämpfer. Sie kommen aus Deutschland, Georgien, Spanien und arabischen Ländern. Wie viele es genau sind, kann ich nicht sagen. Auch Frauen sind dabei, ungefähr zehn bis 15. Die Kämpfer gehören unterschiedlichen Organisationen an. Wie sind quasi ein internationales Bataillon, das sich dem Kommando der kurdischen YPG unterordnet.
Ivana auf schwere MG spezialisiert
Neuankömmlinge erhalten einen Monat lang eine militärische Ausbildung. Am Morgen treiben wir Sport. Nachmittags lernen wir, mit allen Waffen umzugehen, die wir auf der Basis haben. Danach spezialisiert sich jeder auf eine Waffe. Ivanas Spezialität war der Umgang mit schweren Maschinengewehren, Marke PKT, alte, sowjetische Ware.
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Alle paar Wochen werden die Kämpfer in Gruppen an die Front abgezogen. Ein bis zwei Wochen sind sie dann unterwegs, verteidigen Stellungen gegen den IS und greifen Stellungen des IS an. Danach geht es zur Erholung zurück an die Basis. Zweimal war Ivana schon an der Front gewesen. Bevor sie bei ihrem dritten Einsatz starb, hat sie mir von einer Kampferfahrung erzählt. Ihre Truppe hatte einen IS-Stützpunkt angegriffen. Die Dschihadisten feuerten zurück. Kugeln flogen um sie herum. „Ich habe mich einfach weggeduckt, und irgendwann zogen sich die IS-Kämpfer zurück“, hat Ivana erzählt. Angst hat sie nie gezeigt. Das hat mich sehr beeindruckt.
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Wenn wir nicht kämpfen, kann das Leben auf der Basis ganz schön eintönig sein. Ein Soldatenleben eben. Im Winter ist es auf der Militärbasis eisig kalt. Strom und Heizung gibt es keine. Viele von uns sind krank geworden. Über solche Dinge habe ich mir vorher keine Illusionen gemacht. Wir kämpfen hier schließlich für unsere Ideale, nicht für Geld.
Sie vermisste vor allem Currywurst
In unserer Freizeit trinken wir Tee oder spielen Volleyball. Trotzdem fehlen uns manchmal die Kleinigkeiten, die wir aus der Heimat gewöhnt sind: Handys, Internet, Fernsehen. Manchmal saßen Ivana und ich in dem Innenhof der Kaserne auf kleinen Plastikstühlen und sprachen über Deutschland. Ivana vermisste vor allem die Currywurst aus Duisburg.
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In der Nacht, als Ivana starb, war ich in einer Militärbasis in Tall Hamis. Gemeinsam mit anderen Kämpfern habe ich dort Genossen besucht. Das machen wir gelegentlich, um uns gegenseitig Unterstützung zu zeigen. Irgendwann kam mein Kommandant und sagte, Ivana sei gefallen. Ich war schockiert, und hatte gehofft, ihn falsch verstanden zu haben. Mein Türkisch ist noch etwas holprig. Irgendwann hatte ich dann Gewissheit. Eine wirkliche Überraschung war es nicht. Wenn du dich den Kämpfern anschließt, ist dir sehr bewusst, dass irgendwann einer deiner Freunde stirbt, oder du selbst.
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Ivana hat immer gesagt: „Wenn ich hier sterben sollte, wird sich jeder an mich erinnern. Man wird mich nicht einfach vergessen. Ich werde ein Vorbild sein, weil ich für eine große Sache kämpfe.“ Daran glaube ich auch.
Wie Ivana zur Märtyrerin gemacht wird ...
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