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Französisch vs Englisch Kanada: Jahrelanger Sprachenstreit in Québec – mit neuem Gesetz droht Eskalation

Passant vor einem Schild mit der Aufschrift "Bonjour – Hi"
"Bonjour – Hi" sagen die Menschen in Montreal, wenn sie sich grüßen
© Graham Hughes / Picture Alliance
In Kanada verteidigt sich die französischsprachige Provinz Québec gegen die Übermacht des Englischen. Ein neues Gesetz geht etlichen Unternehmen und Einwohnern aber zu weit.

Offiziell gelten Französisch und Englisch als gleichberechtigte Amtssprachen in Kanda, aber "Québec ist nicht zweisprachig", sagt Marie-Anne Alepin, Präsidentin der Organisation Société Saint-Jean-Baptiste de Montréal. Seit Jahren verteidigt die regierende Partei der Provinz die französische Sprache vehement gegen die Dominanz des Englischen. Denn in den meisten Teilen Kanadas sprechen die Menschen Englisch. Aus Angst vor der Übermacht der "Weltsprache" herrschen seit Jahrzehnten strenge Sprachregeln in Québec. Das neue "Gesetz 96", das die Vorgaben noch einmal verschärft, könnte weitreichende Folgen haben. Einwohner, Unternehmen und der Gesundheitssektor gehen auf die Barrikaden.

Mit der "Charta der französischen Sprache" hat Québec im Jahr 1977 Französisch – bis heute – als seine einzige Amtssprache definiert. Damit legte das Kultusministerium eine Reihe an minutiösen Vorschriften für den Umgang mit der Sprache fest. Kunden haben das Recht, auf Französisch bedient zu werden, Angestellte müssen sich am Arbeitsplatz auf Französisch unterhalten können, Einwanderer sollen innerhalb von sechs Monaten die Amtssprache lernen und Schilder müssen in erster Linie auf Französisch angeschrieben sein.

"Sprachpolizei" in Kanada

Wer gegen die Regeln verstößt, muss mit einer Verwarnung der "Sprachpolizei" rechnen. Harry Schick, Inhaber eines Feinkostgeschäfts in Montreal, hat des Öfteren Besuch von der Behörde bekommen. Zum Beispiel weil seine aus Polen oder der Schweiz importierten Waren nicht auf Französisch beschriftet seien. Das "Office québécois de la langue française" ist deshalb sogar gerichtlich gegen den Ladenbesitzer vorgegangen, wie Schick der "Neuen Zürcher Zeitung" erzählt. In Montreal, einer traditionell multikulturellen Stadt, sei der Sprachenkonflikt besonders deutlich zu spüren, berichtet der "Tagesspiegel".

"Arrêt" statt "Stop" ist auf den Verkehrsschildern in Québec zu lesen
"Arrêt" statt "Stop" ist auf den Verkehrsschildern in Québec zu lesen
© Chris Cheadle / Picture Alliance

Die Provinzhauptstadt ist im 18. Jahrhundert von Franzosen gegründet worden, stand dann aber unter britischer Herrschaft. Zahlreiche Migranten sind damals zugezogen und haben die Metropole zu einem kulturellen Schmelztiegel gemacht. Die meisten Einwohner können problemlos zwischen Französisch und Englisch wechseln. "Bonjour-Hi", lautet die Grußformel, mit der Einwohner ein Gespräch beginnen. "Die Montrealer haben kein Problem, nur die Regierung", sagt Harry Schick. Für die Regierungspartei "Coalition Avenir Québec" sei der Fokus auf das Französische ein wichtiges Argument im Wahlkampf. Mit den strengen Gesetzen solle die Amtssprache geschützt und gegen das Englische – eine Bedrohung in den Augen konservativer Politiker – verteidigt werden.

Auch die "Société Saint-Jean-Baptiste" engagiert sich für den Erhalt der französischen Sprache. Präsidentin Alepin weigere sich konsequent, sich auf Englisch zu unterhalten. "Ich habe das Recht, hier französisch zu sprechen", betont sie im Gespräch mit der "Neuen Zürcher Zeitung". Das "Gesetz 96", das ab Juni in Kraft tritt, soll einen verschärften Gebrauch des Französischen in Hochschulen und kleinen Unternehmen forcieren.

Neues Gesetz verschärft Regeln

So sollen Betriebe ab einer Größe von 25 Mitarbeitern künftig auf Französisch geführt werden, Schüler müssen auf dem "Collège d’enseignement général et professionnel" (Cépeg), einer vor-universitären Bildungseinrichtung, drei Pflichtkurse auf Französisch absolvieren und im Gesundheitswesen sollen Einwanderer innerhalb der ersten sechs Monate nach ihrer Ankunft auf Französisch behandelt werden.

Eine Vorschrift, die bei einer Koalition von Ärzten, die "Coalition pour des services sociaux et de santé de qualité" Entsetzen auslöst. Dr. Suzanne Gagnon, die mit Flüchtlingen in der Region Quebec City arbeitet, findet, dass eine Frist von sechs Monaten, um effektiv auf Französisch kommunizieren zu können, "völlig unrealistisch" sei. "Es ist bereits schwierig genug, Informationen unter stressigen Umständen zu verstehen. Das Hinzufügen unnötiger Barrieren wird dieses Risiko nur erhöhen", sagt die Medizinerin der "Canadian Broadcasting Company". Sie befürchtet, dass das neue Gesetz den Zugang zur Gesundheitsversorgung für diejenigen, die kein Französisch sprechen, einschränkt. Dies könne das Leben und die psychische Gesundheit der Menschen ernsthaft gefährden.

Probleme bei Einstellung von neuem Personal

Zwar sieht das Gesetz Ausnahmen im Gesundheits- und Sozialwesen vor, diese seien jedoch nicht präzise genug formuliert. Die Ärtzevereinigung fordert, von der neuen Regelung ausgenommen zu werden. Gerade bei sensiblen Themen wie psychische Probleme oder verhaltensauffällige Kinder zähle in der Kommunikation jedes Wort.

Zudem fürchten Krankenhäuser, dass das "Gesetz 96" den bereits bestehenden Personalmangel verstärken könnte. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur "Reuters" habe Québec ohnehin eine der höchsten Quoten an unbesetzten Arbeitsplätzen im Land, wobei die offenen Stellen im Gesundheits- und Sozialhilfenetz als besonders besorgniserregend gelten.

Die verschärften Vorschriften könnten eine noch kritischere Lage zur Folge haben. Gemäß dem Gesetzentwurf müssten "angemessene Maßnahmen" ergriffen werden, um zu vermeiden, dass andere Sprachen als Französisch als Arbeitsvoraussetzung aufgenommen werden. Eric Maldoff, Vorsitzender einer Vereinigung von Gesundheitseinrichtungen, rechnet daher mit Problemen beim Einstellen von neuem Personal.

Sorgen im Bildungswesen

Im Bildungswesen gibt es ebenfalls Widerstand gegen die geplante Reform. Die Verpflichtung zu drei Kursen auf Französisch könne sich negativ auf die Abschlussnote der Schüler der Cépeg-Einrichtungen auswirken und damit auch den Zugang zu Universitäten, besonders im englischsprachigen Raum, massiv behindern.

Protestler mit Schildern in Montreal, Kanda
Ob Englisch oder Französisch – beide Gruppen verteidigen ihre eigene Sprache. Im Mai 2021 demonstrierten Menschen aus Montreal für den Erhalt des Französischen.
© Graham Hughes / Picture Alliance

Diese Bedenken planen die Elternkomitees der englischen Schulbehörden laut einem Bericht der "Montreal Gazette" bei einem Protest am 14. Mai zum Ausdruck zu bringen. Charles Boberg, Linguistikprofessor an der McGill-Universität in Montreal, spricht von einem "sprachlich-kulturellen Gefängnis", das französischsprachigen Schülern die Chance nimmt, solide Englischkenntnisse – heutzutage eine Grundvoraussetzung für die meisten Berufe – zu erlernen. Das "Québec Community Groups Network", eine gemeinnützige Einrichtung in Montreal, geht noch weiter und bezeichnet das "Gesetz 96" als "Überschreitung der Menschenrechte und Freiheiten".

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Für Betriebe ab 25 Mitarbeitern bedeuten die strengen Sprachregelungen eine aufwendige Umstrukturierung. Computerprogramme müssen beispielsweise auf Französisch umgestellt werden, für die Einstellung einer englischsprachigen Person braucht er künftig eine behördliche Erlaubnis. Harry Schick will sich dem entziehen, indem er sein Unternehmen unter der Größe von 25 Mitarbeitern hält. Sonst dürfte er nicht einmal mehr eine Mikrowelle mit der Beschriftung "on / off" in seinem Laden stehen haben. Bereits in der Vergangenheit sind Unternehmen aufgrund der rigiden Französisch-Politik in englischsprachige Teile des Landes umgesiedelt. Durch das "Gesetz 96" könnten noch mehr Konzerne abwandern.

Zweisprachigkeit als Trumpf

Trotzdem hält die Regierung an der Reform der Gesetzgebung fest. "Es ist wichtig zu verstehen, dass Franzosen in Nordamerika immer in einer schwachen Position sein werden", zitiert "Reuters" Premierminister Francois Legault. Marie-Anne Alepin betont, dass Quebec eine winzige Insel im englischsprachigen Ozean Nordamerikas sei. Sie fordert sogar die Abspaltung und Unabhängigkeit der französischsprachigen Provinz. Laut Angaben der "Neuen Zürcher Zeitung" sprechen sich 40 Prozent der Einwohner ebenfalls für diesen Vorschlag aus.

Straßenzug in Montreal, Kanda
Ein Straßenzug in Montreal: Namen von Cafés und Geschäften müssen in erster Linie auf Französisch angeschrieben sein
© Imaginechina-Tuchong / Imago Images

In den Augen von Professor Boberg liegt der Rückgang der französischen Sprache aber darin begründet, dass die Menschen in Québec immer weniger Kinder bekommen. Das neue Gesetz schaffe demnach keine Abhilfe, sondern vergifte lediglich das Verhältnis zwischen den beiden Sprachgruppen. Der Experte plädiert für ein Umdenken: Die Zweisprachigkeit sollte nicht als Nachteil oder Bedrohung, sondern als Trumpf gesehen werden.

Quellen: "Canadian Broadcasting Company", "Montreal Gazette" "Neue Zürcher Zeitung", "Reuters", "Tagesspiegel"

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