Emily Pellegrini ist makellos schön, nie müde oder genervt und richtig billig – das liegt daran, dass sie kein echter Mensch ist. Sie ist ein Model, das mit künstlicher Intelligenz generiert wurde. Eine unechte Person, die echtes Geld verdient. Ihre Follower auf Social Media sind im sechsstelligen Bereich und sie wird von mehr oder weniger berühmten Menschen angeflirtet.
Neben ihr gibt es inzwischen einige, die es in die Schlagzeilen geschafft haben – und auf den ersten Blick könnte man meinen, dass sich in der Modebranche etwas grundlegend ändert. KI-Models sind makellos – aber eben auch künstlich. Ob sie wirklich echte Menschen ersetzen können, ist fraglich.
Die MGM Models Group ist Deutschlands größte Modelagentur. Zu den Kunden zählen Chanel, Balenciaga oder Dior, ebenso wie H&M oder Zalando. CEO Marco Sinervo (47) spricht mit dem stern über den richtigen Umgang mit KI-Models, darüber, was sie können und was nicht, und ob er in ihnen eine Bedrohung für das eigene Geschäft sieht.
Wie sind Sie das erste Mal mit dem Thema KI-Models in Berührung gekommen? Haben Sie schon Menschen in Ihrem Portfolio, die es eigentlich gar nicht gibt?
Nein, wir haben keine KI-Models im Portfolio und wir werden auch in Zukunft keine haben. Aber ich werde natürlich permanent darauf angesprochen, zuletzt von einem Professor für künstliche Intelligenz, der mir sagte, ich sei schon fast "Vinyl" und müsste mein Geschäftsmodell überdenken, weil es in der Zukunft nur noch KI-Models geben wird. Ich bleibe aber ziemlich unaufgeregt, weil ich nicht daran glaube, dass sich das durchsetzt.
Gab es denn schon Anfragen von Ihren Kunden?
Ja, meine Kunden versuchen natürlich, Geld zu sparen und mit KI an den Models zu arbeiten. Es gibt schon ziemlich weit fortgeschrittene Programme, die die verschiedensten Arten von Models erschaffen können. Da werden schöne Gesichter zusammengeschnitten und der Kunde kann ganze Kollektionen auf die Körper der Models spiegeln. Aber die Endkunden sind von dem Ergebnis nicht überzeugt. Es hat sich bisher nicht durchgesetzt.
Warum kann das aus Ihrer Sicht nicht überzeugen?
Wenn ich mir ein Model für eine Kampagne buche, geht es nicht nur um die physische Attraktivität, sondern vor allem um die Ausstrahlung. Wie wirkt sie auf mich? Wie ist die Mimik, die Gestik, ihre Bewegung? Ist sie authentisch? Wirkt sie sympathisch? Das ist es, was beim Betrachter später Identifikation und schlussendlich einen Kaufimpuls auslöst. "Menschlichkeit"... das kann eben kein KI-Model.
Welche Kunden sind das, die sich dafür interessieren?
Das sind meistens große Firmen im Discount- oder Fast-Fashion-Bereich, die wirklich viele Models buchen müssen, weil sie viele Kollektionen produzieren und große Mengen an Artikeln fotografieren müssen. Sie sind es vor allem, die an diesen Konzepten arbeiten – und das schon seit zehn Jahren. Da gab es wirklich wilde Themen in der Vergangenheit, wo zum Beispiel Bilder von Modelköpfen bei uns eingekauft wurden, die dann auf Avatare gesetzt wurden, um möglichst viele Einstellungen fotografieren zu können. Aber das sieht einfach zu künstlich aus.
Ich habe zuletzt über die KI-Models Emily Pellegrini und Aitana Lopez geschrieben, denen viele auf den Leim gegangen sind. Erkennen Sie sofort, wenn ein Model mit KI erstellt wurde?
Nein, ich bin auch schon drauf reingefallen. Das ist oft echt gut gemacht. Man denkt, das sei ein normaler Mensch, der vielleicht ein bisschen viele Filter verwendet hat oder sein Gesicht retuschiert hat. Aber wenn man mehrere Bilder von so einer Person sieht, erkennt man irgendwann, dass sie unecht ist. Man kann an der Gestik und Mimik feststellen, dass das keine realistischen oder authentischen Bewegungsabläufe sind.
Es sind auch diese kleinen Makel, die uns als Menschen ausmachen.
Was können echte Models aus Ihrer Perspektive besser? Sie haben schon gesagt, KI-Models sind kaum in der Lage, Emotionen rüberzubringen…
Ja, wenn Sie jetzt zum Beispiel an ein mitreißendes Lachen in der Werbung denken, wo man schon fast mitlachen muss – so eine Situation kann KI nicht kreieren. Auch was natürliche Bewegungen angeht: Eine KI hat keinen Sexappeal. Und dann sind es auch diese kleinen Makel, die uns als Menschen ausmachen. Niemand ist perfekt. Da steht vielleicht ein Ohr ab oder eine Nase ist ein bisschen groß. Aber das macht einen Menschen besonders – vielleicht auch besonders attraktiv.
Ein ziemlich klischeebelastetes Argument für KI-Models ist, dass man sich so nicht mehr mit "zickigen Models" auseinandersetzen muss. Ist es wirklich so, dass es in der Branche diese Äußerungen gibt, und man nicht mehr mit echten Menschen zu tun haben möchte?
Ja das gibt es, aber vor allem liegt es an den Kosten. Ein Model ist teuer, die Fotografie, der Stylist – so ein Tag im Studio kostet einfach Geld. Aber ich glaube, wir machen uns da etwas vor. Es gab schon Systeme mit künstlich erschaffenen Models in der Vergangenheit, "Looklet" zum Beispiel, H&M hat damit schon gearbeitet – und es verkauft sich einfach nicht gut. Für die Kunden ist aber entscheidend, ob das Model die Ware verkauft. Dazu kommt die Debatte um Diversity. Es wird heiß diskutiert, mit welchen Menschen man wirbt. Mache ich meine Marke zum Beispiel nahbarer, wenn ich mit Plus-Size-Models arbeite, mit älteren Models oder Menschen, die überhaupt keine Models sind, die "Schönheitsfehler" haben? Das kann man einfach nicht mit KI abbilden.
Aber sehen Sie nicht gerade das Thema Diversity als Chance? Dass man zum Beispiel eine KI genau damit beauftragt, möglichst diverse Models zu erschaffen, mit ganz unterschiedlichen Figurtypen?
Ich war neulich auf einer Roadshow von einem großen Kunden, der ein System entwickelt hat, bei dem Mitarbeiter auf der Bühne stehen und Textilien von potenziellen Kunden tragen. Die wurden dann abfotografiert und für das Publikum mit der KI neu ausgespielt – etwa, indem man entschieden hat, "wir machen nun einen etwas asiatischen Typ daraus". Irgendwann wurde diese Kunstfigur auf der Bühne gezeigt und daneben steht diese "normale", echte Mitarbeiterin und sieht sich in dieser aufgepimpten Version. Da herrschte betretenes Schweigen im Publikum. Es gibt bei vielen Kunden eine ethische Sperre, dass an Menschen so herumgeschraubt wird – das macht man einfach nicht.
Sie sehen also überhaupt keine Gefahr für Ihr Geschäft, dass sich diese aufgepimpten Models durchsetzen werden?
Mein Geschäft besteht nicht nur aus Fotoshootings. Wir haben den Runway, wir haben Videos und immer mehr auch Influencer, die ein Produkt bekommen, das sie auf den sozialen Medien live anprobieren und bewerben sollen. In dem Segment funktioniert eine KI aus meiner Sicht überhaupt nicht. Wo soll denn da die Gefahr sein? Dazu kommt, dass Leute, die auf diese besagten KI-Models reingefallen sind, es sicherlich blöd fanden, dass das kein realer Mensch war.
Wenn wir allerdings von diesen Models sprechen, Emily Pellegrini zum Beispiel, ist ja nicht zu leugnen, dass ihnen wahnsinnig viele Menschen auf Instagram folgen – über 200.000. Und diese KI-Models arbeiten sehr wohl als Influencer und präsentieren Ware. Das hat doch Erfolg?
Ich glaube das liegt jetzt an dem Spannenden, Neuen. Da ist etwas entstanden, das die Leute interessant finden. Wenn wir hunderte oder tausende KI-Models haben, wird das wieder langweilig. Und 200.000 Follower – wenn man das jetzt mit einem Model wie Caro Daur vergleicht, die über vier Millionen Follower hat, ist diese Zahl verschwindend gering. Wir reden jetzt darüber, weil es aufregend ist, was die Technik alles kann, weil es erstaunlich ist, wie realistisch diese Models sind. Aber die Frage ist: Wollen wir das wirklich? Ich denke nein. Ich habe keine Angst davor. Wenn ich mir vorstelle, ich würde Magazine durchblättern oder Instagram und jede zweite, dritte Person wäre nicht mehr real – ich würde das nicht spannend finden und ich glaube, alle anderen auch nicht.
Man sagt ja auch, dass der Influencer-Markt ohnehin schon sehr übersättigt ist. Also auch diese Sparte wird keine Konkurrenz bekommen von den künstlichen Emily Pellegrinis dieser Welt?
Nein. Ich glaube, dass der Markt mittlerweile so inflationär ist, weil es zu viele Influencer gibt. Das reduziert sich meiner Meinung nach auf die, die wirklich authentischen Content machen. Die Leute nehmen sehr großen Anteil daran, was mit wem beworben wird, und diskutieren das. Da bleibt eher die junge Mutter mit zwei Kindern, die ihre Beauty-Tricks live erzählt, als der typische oberflächliche Mode-Influencer mit dem täglich identischen Content. Das wird schnell langweilig.
Das ist doch ein Paradoxon. Einerseits wollen die Leute möglichst authentischen Content, andererseits sind Bilder fast immer bearbeitet. Wie blicken Sie darauf? Müssen wir, wenn wir über künstliche Intelligenz sprechen, nicht auch noch einmal über Fotobearbeitung sprechen?
Ich glaube, dass man alles bis zur Perfektion retuschiert, ist ein Trend, der inzwischen überholt ist. Die Leute glauben nicht mehr daran. Man muss ja nicht völlig auf Filter verzichten, aber man möchte sich doch selbst noch erkennen – gerade, wenn es um Beauty-Tipps geht, bei denen die Leute das Vorher und Nachher sehen wollen.
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Müsste man KI- oder Photoshop-Bilder nicht zumindest kennzeichnen?
Ich denke, dass eine Kennzeichnungspflicht kommen wird. Das muss passieren. Das ist auch aus Jugendschutzgründen wichtig. Ich glaube auch, dass wir alle lernen müssen, richtig mit Social Media umzugehen. Das ist für viele junge Leute eine Ursache für ernsthafte psychische Erkrankungen, wenn sie permanent dieses perfekte "Highlife" vorgelebt bekommen, das die Menschen, die dahinterstecken, meist gar nicht führen. Das wird sicher irgendwann reglementiert. Und spätestens dann ist es eher peinlich, als Firma mit nicht-existenten Personen zu werben.
Sie blicken ohne Angst in die Zukunft der Modebranche, aber wird sich Ihre Arbeit trotzdem auf irgendeine Art und Weise verändern?
Ich glaube, die Anforderungen werden sich verändern. Unser Geschäftsmodell wird sich immer mehr Richtung Influencer und Creator verschieben, wir werden den Social-Media-Bereich intensiver betreuen. Und was mehr kommen wird, sind so genannte Avatare beim Einkauf. Das bedeutet, dass man seine Maße eingeben und virtuell Klamotten anprobieren kann. Das sehe ich jetzt aber auch nicht als Konkurrenz für mein Geschäftsmodell.