Es gibt eine Menge zu tun. Die neuen Fensterleisten mit Holzschutzmittel streichen, die Gurkensämlinge eintopfen, die Wildwiese mähen, die Soden mit der Wiedehopfhaue raushebeln und entsorgen, anschließend 50 Deschampsia cespitosa einpflanzen. Eisfach abtauen, Zeitschriftenstapel abtragen, Flaschen zum Container. Mal wieder durchsaugen, wie sieht denn das hier aus? Ein paar Mails schreiben. Da liegt ein Buch, ungelesen, Montag ist Buchklub, jetzt aber schnell. Ach so, und die Kolumne. Die besonders.
Stattdessen tue ich: nichts. Absolut gar nichts. Ich schwänze, ich gebe mir frei, ich gebe mich frei. Ich tue nicht mal was für mich selbst, das gilt ja inzwischen auch schon als sinnvoll verbrachte Zeit. Nicht meditieren. Keine Fußnägel lackieren. Nicht mal mit dem Hund spielen, egal welche abgeliebten Spielzeuge er auch auffordernd heranschleppt. Na gut, vielleicht später. Na gut, gleich. Um wieder mal darüber nachzudenken, ob ich mit dem Hund spiele oder er mit mir. Will er mich beschäftigen?
Verdaddelte, vertrödelte Zeit
Ich sitze einfach nur auf der Gartenbank und gucke Löcher in den strahlend blauen Himmel. Schaue zwei Kohlweißlingen im taumelnden Paarungsflug zu (vermute ich wenigstens), die sich höher und höher schrauben, bis über die Baumwipfel hinaus. Wie hoch können eigentlich Schmetterlinge fliegen? Normalerweise würde ich jetzt das Handy zücken und es googeln und die Info sofort anschließend wieder vergessen. Heute: nicht. Ist egal, wie hoch die fliegen, die fliegen hübsch.
Dass ich das kann, dieses Nichtstun, daran habe ich hart gearbeitet. Das muss man sich hierzulande mühsam antrainieren. Denn unausgefüllte, verdaddelte, ziellos vertrödelte Zeit widerspricht dem Diktat der Nützlichkeit, die in allen Lebenslagen Pflicht ist. Auch Entspannung hat bitte zielführend zu sein, auch die Freizeit möge bitte sinnvoll genutzt werden. Urlaub? Klar, steht einem zu, aber allein die Formulierung "Urlaub nehmen" klingt schon wie ein kleiner Diebstahl, wie eine Form von Unterschlagung.
Herzlich gelacht habe ich kürzlich über einen Artikel in der "New York Times" anlässlich des amerikanischen Nationalfeiertags Memorial Day. Überschrift: "Was man mit einem freien Tag anfängt." Es gab schöne Vorschläge zur Freizeitgestaltung:
• Bringen Sie Ihre Finanzen in Ordnung. Überlegen Sie, wie Sie Ihre Ausgaben reduzieren können, kümmern Sie sich um Ihre Altersvorsorge.
• Reinigen Sie Ihren Kühlschrank richtig gründlich.
• Setzen Sie einen Teig an.
• Tun Sie etwas, das Sie schon lange vor sich herschieben.
• Denken Sie über Ihre Karriere nach.
Am Ende des Artikels dann die schockierende Idee: "Tun Sie absolut nichts." Genauer: "Schlafen Sie sich mal richtig aus. Es könnte Ihre nächste Arbeitswoche viel produktiver machen."
Zweck des Nichtstuns
Natürlich. Auch das Nichtstun muss einen Zweck erfüllen: anschließend umso besser reinhauen zu können. Nicht mit mir, Freunde. Ich tue nichts, und morgen werde ich dafür auch nicht mehr tun als sonst. In keiner Weise nützlich sein heißt auch: sich überflüssig machen. Man trägt nichts zum Gelingen des Tages bei, zum Fortbestand der Menschheit, zum Weiterrattern der Welt. Es ist komplett egal, ob man existiert. Ist das der Grund, warum so viele Leute die Tatenlosigkeit nicht ertragen? Weil es uns so schmerzhaft bewusst macht, wie entbehrlich wir alle sind?
Das sind die besten Tage: die geschwänzten, lustvoll verweigerten, trotzig verplemperten Tage, an deren Ende man keine Ahnung hat, wo die Zeit geblieben ist. Ein Gefühl wie damals, wie große Ferien, wie ein einziger endloser Sommernachmittag.
