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Endlich mal runterkommen Ich bin extra nach Seoul geflogen, um mich dort mit anderen im Nichtstun zu messen

Mit der Startnummer 72 trete ich gegen die anderen Nichtstuer an
Mit der Startnummer 72 trete ich gegen die anderen Nichtstuer an
Mit Yoga konnte man unseren Autor immer jagen. Kann man gar nicht anders zur Ruhe kommen? Er entscheidet sich für eine radikale Maßnahme: einen Wettkampf am anderen Ende der Welt –  im Nichtstun.

Die Arztkittel kreisen um mich herum, die Drohnen über mir, die Helikopter rotieren, die Reporter notieren, und die Fotografen fotografieren. Die fotografieren mich. Dabei habe ich doch nichts getan. Sitze nur da, in einem Park in Seoul, vor mir Koreaner, die um die Wette chillen. Was habe ich hier verloren?

Was ich verloren habe, habe ich nicht hier und jetzt verloren, sondern vor Langem, irgendwo da unten, tief in mir drin. Das Runterkommen. Das Nichtstun.

Monate bevor ich in dem Seouler Park sitze, mache ich selbst auf den Hamburger Sitzgelegenheiten, denen das Runterkommen anhaftet, das Gegenteil. Setze ich mich auf den Heimtrainer, ist der treue Diener desjenigen, der nie nichts tut, stets zu meinen Diensten, mein Smartphone, auf dem ich Nachrichten lese oder schreibe, während vor meinen Augen Netflix oder in meinen Ohren ein Podcast läuft. Nach Feierabend nehme ich mir den Laptop, eine Schachtel Zigaretten, einen Stoß Artikel und die drei Bücher, die ich just wie drei angelesene Tabs im Browser geöffnet habe, mit auf den Balkon und bette mich in dieses Nest der Möglichkeiten. Von der "Tyrannei der Möglichkeiten" schrieb die Publizistin Hannah Arendt mal, so sieht meine Freundin das Nest wohl eher. Regelmäßig ermahnt sie mich, vom Balkon ins Bett zu kommen. Rüber! Sie meint auch: runter.

Sitze ich in meinem Nest auf dem Balkon, gesellt sich das Runterkommen höchstens als schemenhafte Erinnerung dazu. Eine Kirche, Mitte der 90er-Jahre. Verhallter Singsang, ein Anklang Ewigkeit, vernebelt vom Weihrauch, der zu einem vorpubertären Rausch einlädt, zu einer Trance, aus der ich erst erwache, als mein Messdienerkollege ohnmächtig auf den Boden im Hause Jesu knallt. Bums, Amen. Gepriesen seist du, o seliges Nichtstun! Warum hast du mich verlassen?

Im Nest stoße ich auch zum ersten Mal auf die chillenden Koreaner, eine Fotostrecke auf dem Laptopbildschirm. Ich lese, dass es sich um einen Wettkampf im Nichtstun handelt, jährlich veranstaltet von einer südkoreanischen Künstlerin, die an Burn-out litt und sich in einer nichtstuerischen Einsamkeit verlor, was sie noch mehr stresste und weshalb sie beschloss, aus dem Nichtstun ein Happening zu machen. Ein Happening gegen das, was der Soziologe Hartmut Rosa als "Grundprinzip der modernen Gesellschaft" beschrieb, die Beschleunigung.

Ich denke an Floskeln wie Wellness und Achtsamkeit einerseits, Reizüberflutung andererseits, an den Nachtmodus des Smartphones als letzten Hoffnungsschimmer der Schlaflosen, an die vielen Freunde, die am liebsten Yoga als Religionszugehörigkeit im Perso angeben würden, an die vielen Ratgeber, die sich an klar bezifferten Schritten zum Nichts überbieten ("Die 7 Geheimnisse der Schildkröte", "53 federleichte Übungen", "365 Wege zur Achtsamkeit"), eine bizarre Industrie des verkrampften Entspannens, die mit jedem neuen Handbuch den Entspannungsdruck steigen lässt.

Mir wird klar, dass ich, der Nicht-Nichtstuer, dem sein Nest der Möglichkeiten auch mal wie Tyrannei vorkommt, nicht alleine bin. Schließlich gibt es sogar den Wettkampf in Seoul. Die Regeln: 90 Minuten lang nichts tun. Nicht reden. Nicht bewegen. Nicht einschlafen. Nicht aufs Klo gehen. Klingt machbar. Vielleicht erfahre ich mehr darüber, wie schlimm es um mich und meine yogainfizierten Freunde steht, wenn ich mich mit Südkoreanern messe, die der Philosoph Byung-Chul Han "eine Müdigkeitsgesellschaft im Endstadium" nannte? Oder, besser, vielleicht lerne ich so wieder runterzukommen und spare mir ein scheinheiliges Comeback als Messdiener?

Ich bewerbe mich.

26 Tage bis zum Nichts 

Ich sitze im ICE und denke an die Beschleunigung. Hinter dem Fenster verschwimmt die Landschaft, dazu laufen in meinem Kopf Klagelieder von Kulturpessimisten aus dem 18. Jahrhundert, die sich gegen die Einführung der Eisenbahn stellten. Sie sei zu schnell, schade der Gesundheit. Jaja, diese fiese Beschleunigung also, denke ich, checke binnen Sekunden Whatsapp, Twitter und das Wetter auf dem Handy, lache in mich hinein – bis mir einfällt, dass ich unterwegs bin zu meinem ersten Entschleunigungscoach.

Ich wurde wirklich als einer von etwa 70 Tuenichtsen auserwählt, unter Tausenden Bewerbern. Die Veranstalter schrieben, ich würde beim Wettkampf meine demografische Gruppe vertreten, europäische Medienfutzis um die 30, und solle mich gut vorbereiten. Erst verstand ich das ironisch, fand nur keinen Zwinkersmiley, erinnerte mich dann an die "Müdigkeitsgesellschaft im Endstadium" und kam zu dem Schluss, dass die das verdammt ernst meinen. Das klang nicht nach Runterkommen. Das klang nach Verantwortung. Nach Druck. Stress. Ich entschied mich daher, bei einem Experten in die Lehre zu gehen, dem Berliner Stressforscher Mazda Adli. Auf den muss ich mich noch vorbereiten, hole also einen Stapel Papier aus meinem Rucksack. Einen Stapel Studien. Einen Stapel Stress.

Demnach wünschen sich die meisten Deutschen ein "stressfreieres Leben". Ich lese, was ich schon geahnt habe, Stress macht krank. Eine Auswahl: Angst. Sucht. Herpes. Tinnitus. Bluthochdruck. Magengeschwür. Depression. Burn-out. Schlaganfall. Herzinfarkt. Mehr Griesgram. Weniger Sex. Oje. Ich lese auch, was ich nur erhofft habe, Stress kann heilen. Beschleunigt Reaktionen. Regt das Langzeitgedächtnis an. Stärkt das Immunsystem. Verbessert die Wundheilung. Beugt Alzheimer vor. Schützt vor Hautkrebs. Lässt Zellen langsamer altern und verlängert so das Leben. Wie passt all das zusammen?

Der Schaffner sagt die Verspätung durch, und ich weiß, dass ich gleich rennen werde. Im Stress zum Stressforscher.

"Stress ist nicht per se problematisch, er gehört völlig zum gesunden Leben dazu", beruhigt Mazda Adli mich, als ich ihm nun gegenüberschwitze. "Vor allem chronischer Stress, einer, den man als unentrinnbar erlebt, ist problematisch." Stress kann good oder bad cop sein. Wie er sich auswirkt, hängt auch davon ab, wie man ihn wahrnimmt. Gestresste, die glauben, ihr Stress schade ihnen, sterben früher als Gestresste, die glauben, ihr Stress schade ihnen nicht. Letztere leben zudem länger als die restlos Relaxten. Ich atme auf. Im Zug fühlte sich der Stapel Stress kurz an wie eine Abrissgenehmigung für meinen Balkon, das Nest der Möglichkeiten.

Noch mehr beruhigt mich, dass Adli, der eine beidseitig bedruckte Visitenkarte und einen vollen Terminkalender hat, so gelöst wirkt. Zurückgelehnt sitzt er da, die Hände wie zum Gebet ineinandergefaltet, und gibt mir Trainingstipps für Seoul.

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Kaffee? "Kein Problem."

Alkohol? "Stört die Schlafarchitektur." Problem.

Schlaf? "Der eine braucht mehr, der andere weniger."

Sport? "Schadet nicht."

Zigarette? "Schadet."

Wann Adli zuletzt nichts getan hat? "Wahrscheinlich als Kind", sagt er, und da ist sie wieder, die schemenhafte Erinnerung an den vorpubertären Rausch. Wie kommt er heute runter? "Indem ich Musik mache. Beim einzigen Psychiaterchor der Welt, den Singing Shrinks." Und plötzlich ist da noch eine Erinnerung. Ein Proberaum, Mitte der Nullerjahre. Verhallte Gitarren, eine Wand aus Klang, vernebelt vom Gras, das zu einem selbstvergessenen Jam einlädt, zu einer Trance, aus der ich erst erwache, als der Strom im Proberaum ausfällt. Klack, Stille.

Als Student habe ich täglich Musik gemacht. Seit ich arbeite, verstaubt die Gitarre, drei gerissene Saiten, in der Ecke. Vielleicht komme ich auch deshalb nicht mehr runter? Die Erinnerung auf Pause, frage ich Adli noch nach einem Rat für die Rückfahrt. "Meinen Patienten empfehle ich, mal bewusst eine Zugfahrt ohne Handyeinsatz zu verbringen und sich darauf zu konzentrieren, was um einen herum oder im eigenen Körper vor sich geht."

Ich sitze im ICE und denke an meinen rechten großen Zeh. Und je mehr ich mich in diesen Zeh reindenke, desto stärker juckt er. Und je stärker er juckt, desto weiter zoome ich raus aus der Welt des Zehs, rüber, nach Seoul. Welche Pose soll ich dort eigentlich einnehmen? Ich lese im Handy (wenn Coach Adli das sehen würde) die Regeln nach. Liegen verboten. Schade. Liegen kann ich gut. Auf den Fotos vom letzten Wettkampf sitzen fast alle im Schneidersitz, den ich Strebersitz nenne und schon im Kindergarten boykottiert habe. 90 Minuten Strebersitz. Schaff ich nie. Der Wettkampf war eine dumme Idee. Doch nun ein Foto von zwei Frauen, die auf Hockern sitzen. Das kann ich auch, dank lebenslangem Training in Klassenräumen, Hörsälen, Büros, Zahnarztwartezimmern.

Hoffnung.

25 Tage bis zum Nichts 

Zu Hause stößt mich meine Freundin auf die Autobiografie der Performancekünstlerin Marina Abramovic. Die wisse, wie man lange regungslos sitzt, immerhin habe sie das bei ihrem Projekt "The Artist is Present" drei Monate jeden Tag gemacht – acht Stunden lang. Wie sie das ohne Pinkelpausen oder Windeln ausgehalten hat, bleibt schleierhaft, Abramovic schreibt: "Ich bin die Tochter von Partisanen. Ich hatte meinen Körper trainiert." Auf einem Stuhl zu sitzen, schreibt sie weiter, sei "die Hölle" gewesen. Schmerzen im Rücken und in den Rippen. "Ohne Armlehnen war es unmöglich."

Ich bin nicht der Sohn von Partisanen, aber von einer Krankengymnastin. "Mama", sage ich in den Hörer, "ich nehme bald an einem Wettkampf im Nichtstun teil." – "Nichtstun? Das ist idiotisch", sagt sie. "Das ist ungesund." Sie hat recht. Bei Coach Adli klang das so: "Unterstimulation und Reizdeprivation führen zu Krankheit und Verhaltensänderungen." Dass meine Mutter das Nichtstun idiotisch findet, lässt mich ahnen, woher meine Probleme mit dem Runterkommen stammen könnten, schließlich lautet einer ihrer Lieblingssätze "Bewegung ist Leben". "Was ich eigentlich fragen wollte", sage ich jetzt, "welche Körperhaltung empfiehlst du?" "Den Kutschersitz." Sie erklärt, Asthmapatienten säßen so, um leichter atmen zu können. Auf einem Hocker, den Rücken leicht nach vorn gebeugt, die Unterarme auf die Oberschenkel gelegt, die Hände ineinandergefaltet. Klingt besser als Strebersitz.

Erster Versuch im Nichtstun, im Kutschersitz vorm Plattenregal: 13 Minuten und 8 Sekunden.

Ich breche ab, nachdem ich die rechte Hand bewegt habe, weil sie eingeschlafen war. So hippiesk ich kurz dasaß, so sehr glich mein Inneres einem Moshpit. Wann hole ich den Reisepass, wen kenne ich in Seoul, welcher Cohen-Song ist besser, "Suzanne" oder "Avalanche", weiß schon, "Suzanne", ist der Herd aus? Und dazwischen, immer wieder: Woran denkt man, wenn man nichts tut? Doch nicht ans Nichts.

20 Tage bis zum Nichts

Als meine Freundin mich mal fragte, ob ich zum Yoga mitkäme, schien mir das so einladend wie eine Saufflatrate für die Alpendisco. Meditieren verbinde ich mit Räucherstäbchen und deren Geruch mit einem Fluchtreflex. Doch wird mir, je mehr ich mich ans Runterkommen ranpirsche, klarer, dass ich mich vor dem Meditieren nicht verstecken kann. Da sind sie nämlich noch mal, die Studien. Yoga is king, steht zwischen den Zeilen, schon allein, um den Pegel an Stresshormonen im Blut zu senken.

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In knapp drei Wochen werde ich nicht zum Yogi, aber ein Crashkurs Meditation kann nicht schaden. Der Archetyp des ausgeglichenen Sitzers ist ja ein gewisser Buddha, und so wende ich mich an einen, der dessen Lehren kennt: den buddhistischen Mönch Karma Tsultim Namdak. Er hat ein Qigong-Studio in meiner Nachbarschaft und schon 18 Jahre in einem Kloster in Tibet gelebt.

Im Studio, einem schmucklosen Raum voller Kissen und Matten, weicht Namdaks Blick nie von mir ab. Stelle ich ihm eine Frage über ihn, antwortet er, ruhig und bestimmt zugleich: "Nein. Ich stehe jetzt nicht im Mittelpunkt."

"Sie gehen nach Südkorea", sagt er nun, "aber Sie lernen hier." Namdak ist kein Fan meiner Idee, am Wettkampf teilzunehmen, "Stress ist da vorprogrammiert". Stimmt, sage ich, so könnte ich mich aber zumindest zum Meditieren zwingen, an dem ich zurzeit scheitere, Meditieren, was heißt das eigentlich? "Positive Gewohnheit", sagt er. "Man wiederholt es, weil man immer wieder daran scheitert."

Namdak rät mir zur strengen Wiederholung. Aufstehen um sechs Uhr (ich, Eule, schlucke), viel Sport, "zack, zack, zack", viel Tee (den ich in Kaffee übersetze) und, zwischendrin, sitzen. Nichtstun eben, sage ich. "Nichtstun gibt’s nicht", sagt Namdak. "Nur eines tun. Das gibt’s." Vielleicht geht es hier gar nicht um das Nichts, sondern um das Eine, darum, das Zappen zwischen den Möglichkeiten zu lassen, von Instagram über die Eilmeldung zur Kalorienzähl-App zurück zu Instagram, darum, in einem Tun zu verweilen, ein bisschen wie in meiner schemenhaft erinnerten Trance als Musiker. Könnte ich das heute, wäre ich schon froh, denke ich, der die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs hat und dessen Gedanken rumspringen wie Lachse gegen den Strom.

Wie soll ich denn nun dagegen andenken? "Mit großen weißen Wolken", sagt Namdak, "wie beim Fliegen." Mir kommt das erst kitschig vor, dann spricht Namdak allerdings so überzeugt vom "weiten Genuss", dass mich die Sehnsucht packt, diesen Genuss auch zu spüren. Zum Schluss sagt er noch etwas, das ich in dem Augenblick kaum wahrnehme, mir aber notiere, zum Glück. Meditation bedeute auch, "den Tag noch mal bewusst durchzugehen. Erinnern. Nicht bewerten" . Und am Ende? "Steht da vielleicht ein Wunsch, vielleicht eine Entscheidung."

Als ich sein Studio verlasse, freut mich, dass Coach Namdak mir, anders als Coach Adli, nicht grundsätzlich vom Rauchen abgeraten hat. Ich zünde mir eine an. Ein Wunsch, eine Entscheidung. "Ein kleiner Rausch der Unendlichkeit", schrieb der Philologe Richard Klein mal. Der weite Genuss, denke ich jetzt.

17 Tage bis zum Nichts

Die Sechs und ich, wir haben uns nicht verstanden. Einmal stand ich um sechs Uhr auf, nach drei Stunden Schlaf, und lief wie ein Untoter durchs Büro. Nun habe ich Urlaub in Polen. Hier könnte es klappen.
Am Abend, in Omas Küche, erzähle ich den polnischen Verwandten vom südkoreanischen Wettkampf. Mein Onkel lacht mich aus.

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Onkel: "Das schaffst du nie!"

Neffe: "Ich zeig’s dir. Morgen steh ich um sechs auf. Das hat mir mein buddhistischer Lehrmeister geraten."

Onkel: "Dann können wir zusammen frühstücken. Ich koch uns Würstchen."

Mitten in der Nacht wache ich auf, die Sechs schaffe ich locker, denke oder träume ich, das weiß ich am nächsten Morgen nicht mehr, nur ist nicht mehr Morgen, sondern Mittag. Schlafen ist doch auch Runterkommen, belabere ich mein schlechtes Gewissen. Ey, Gewissen, lies mal, was der Philosoph Lin Yutang schrieb: "Was macht es, wenn jemand morgens um acht im Bett liegen bleibt? In dieser bequemen Lage kann er über seine Leistungen und Fehler von gestern nachdenken und das Wichtige vom Belanglosen im vor ihm liegenden Tagesprogramm trennen." So. Und Yutang schrieb acht, nicht sechs Uhr.

Das Lachen meines Onkels und Coach Namdaks "zack, zack, zack" hallen trotzdem nach. Als ich mich in Omas Küche schleiche, steht dort ein Topf auf dem Herd. Drin schwimmen Würstchen, kalt und geknickt. Ich starte mein belangvolles Tagesprogramm mit dem späten Vorsatz, besser zu meditieren denn je. Onkel, ich zeig’s dir. Hier klappt es wirklich besser, vielleicht weil ich weniger in meinen Gewohnheiten festsitze. In Hamburg habe ich bestenfalls eine Stunde geschafft, mich jedes zweite Mal von Arbeit oder Freizeitstress ablenken lassen, abgebrochen und es nur dank Coach Namdaks "Man wiederholt es, weil man immer wieder daran scheitert" am nächsten Tag erneut versucht. In Polen knacke ich zum ersten Mal die 90-Minuten-Marke.

Dabei gucke ich durchs Balkonfenster meiner Oma auf die Nachbarhäuser, mein Blick skippt alle paar Minuten von einem Detail zum nächsten, Giebel, Terrassenrinne, Fensterecke, irritierte Nachbarin im Fenster. Karma Namdaks Wolken sind mir immer noch fern, aber ich folge seinem Rat, den Tag durchzugehen, ohne zu bewerten. Ich denke daran, wie ich beim Frühstück versucht habe, Aufmerksamkeitsökonomie ins Polnische zu übersetzen, und gescheitert bin.

Doch mit jeder Wiederholung werde ich besser. Wenn am Abend nach 90 Minuten auf dem Hocker der Wecker klingelt, bin ich in meinem Kopf immer noch kurz nach dem Aufstehen, weil ich mich so tief es geht ins Nebensächliche eingrabe.

Jeder hat seine eigene Strategie, wie er das mit dem Nichtsun angehen möchte
Jeder hat seine eigene Strategie, wie er das mit dem Nichtsun angehen möchte
© Jun Michael Park/NEON

Wie oft hat meine Freundin am Morgen das polnische Wort für Gurke, ogórek, gesagt? Wie genau hat sie es ausgesprochen? Wie groß war der Shampoo-Klecks, den ich mir unter der Dusche ins Haar geschmiert habe? Habe ich rechts vorne oder hinten links begonnen?

Das Schlimmste am Nichtstun ist inzwischen, dass mir ständig der Po einschläft. Ich stelle mir dann vor, wie mir die Partisanentochter Abramovic von ihrem Stuhl im MoMA einen verächtlichen Blick zuwirft, und bleibe sitzen.

13 Tage bis zum Nichts

Da hockt ein Typ im Strebersitz, im Regal neben ihm stehen Yogabücher, es läuft Räucherstäbchenmusik. Der Typ bin ich. Danke, dass es so weit kommen musste.

Nein, ich bin wirklich dankbar. In Polen habe ich das Rauchen aufgegeben, also "aufgegeben", fast, so halb, im Endspurt meiner Wettkampfvorbereitung rauche ich seltener. Nicht nur wegen Coach Adli, sondern weil ich in den Regeln für Seoul nachgelesen habe, dass dort alle 15 Minuten mein Puls gemessen wird. Am Ende gewinnt der mit dem niedrigsten Puls und der besten Publikumswertung. Mein Puls muss also runter. Das geht besser, wenn man nicht raucht. Und noch besser, wenn man bewusst atmet. Habe ich gelesen.

Da stand auch, dass die Atmung im normalen Modus auf Autopilot geschaltet ist. Der heißt im Körper vegetatives Nervensystem und steuert neben dem Atemrhythmus auch den Takt, in dem das Herz schlägt, und das Tempo, in dem der Magen verdaut. Im Gegensatz zum Magen und zum Herz kann man den Atem selbst regulieren. Yogis, klar, machen das so. Auch klar, dass Buddha dazu was gesagt haben will: "So du zerstreut bist, lerne, auf den Atem zu achten." Bewusstes Atmen soll gegen Migräne, Bluthochdruck und Panikattacken helfen. Gegen den schlechten Stress.
Mein dritter Coach ist Bettina Karper, eine Apnoe-Taucherin, die über vier Minuten lang die Luft anhalten und ohne Sauerstoffflasche über 40 Meter tief tauchen kann, 14 Stockwerke. Karper kennt sich aus mit Atem. Um von ihr zu lernen, hocke ich jetzt in ihrer Hamburger Wohnung, im Strebersitz zwar, doch beglückt, da sie Sätze sagt wie "Wenn Yogis die ganze Zeit dasselbe sabbeln, dann krieg auch ich einen Rappel". Ich mag sie sofort.

Jurek hat sich extra seinen Hocker mitgebracht, um entspannt Nichtszutun
Jurek hat sich extra seinen Hocker mitgebracht, um entspannt Nichtszutun
© Jun Michael Park/NEON

"Wampe raus!" Wir üben die Vollatmung, die Kindern leichtfalle, Erwachsenen aber nicht, sagt Karper, "weil wir zu enge Klamotten tragen und nie dick wirken wollen". Ich versuche, so viel Luft in mir aufzusaugen, wie Platz da ist, nicht nur hinterm Brustkorb, sondern gefühlt in den Flanken, im Zwerchfell, im Bauch, und fühle mich zum Schluss wie einer dieser halb aufgeblasenen Ballons, die nach der Party über den Boden kriechen.

Die anderen Übungen liegen mir eher. Ich schließe die Augen, wie Karper beim Apnoe-Tauchen, um den Puls unten zu halten. Darf ich das beim Wettkampf auch? Egal, atmen soll ich nun, nicht fragen. Nur atmen. Einfach einatmen. Doppelt ausatmen. Einfach einatmen. Doppelt ausatmen. Zehn Minuten vergehen wie zwei. Ich öffne die Augen. Karper misst meinen Puls und grinst. 64. Nicht schlecht. Als ich bei ihr ankam, abgehetzt, fast zu spät, lag er noch bei 163.

Zurück auf der Straße sieht die Welt anders aus. Heller. Bunter. Kaleidoskopischer. An der Weggabelung vor der U-Bahn-Station denke ich kurz: Gleich schleicht ein Einhorn ums Eck. Oder Gandalf. Ich bin verzaubert, irgendwie high, ein bisschen wie in der schemenhaft erinnerten Trance als Messdiener, dem vorpubertären Rausch. Und merke: Rosenkranz, Vaterunser, Ave-Maria, ist das nicht alles auch bewusstes Atmen, ohne dass es so heißt? Vielleicht steckt mehr Nichts in mir, als ich dachte.

3 Tage bis zum Nichts

Bevor ich in den Flieger nach Seoul steige, fühle ich mich im Wechsel wie eine Maschine und ein Wrack. Es gibt Tage, an denen wären meine Coaches stolz. Ich sitze. Atme. Rauche nicht. Kollegen sagen, ich sähe so entspannt aus, ob ich einen Tipp hätte? Und es gibt Tage, an denen hetze ich, rauche, schlafe kaum. Von grumpy Jurek hätte sie jetzt genug, sagt meine Freundin, ob ich den nicht mal wegsperren könne?

Einmal versuche ich, da nichts zu tun, wo man stets geschäftig wirken muss, im Büro. Ich schließe die Tür, setze mich auf den Schreibtischstuhl, wundere mich kurz darüber, wie gut das klappt, doch dann setzt der Pling-Chor ein. E-Mail (Bariton), Facebook (Alt) und Whatsapp (Sopran) üben sich in Kakophonie, das Telefon will mitspielen, und als noch eine Eilmeldung ihr Solo zum Besten gibt, irgendwas mit UKIP und Nigel Farage, brülle ich "Farage, du Wichser!", wundere mich kurz darüber, wie laut das war, und hoffe, dass die Kollegen schon im Feierabend sind. Ich bin doch mehr Wrack als Maschine, fürchte ich.

Die Übungen sehen eigentlich nicht nach Nichtstun aus
Die Übungen sehen eigentlich nicht nach Nichtstun aus
© Jun Michael Park/NEON

Doch dann hebt der Flieger ab, und über den Wolken verstehe ich zum ersten Mal, was Karma Namdak gemeint haben könnte, als er vom weiten Genuss sprach. Der Blick auf diese wattegleiche, sich allmählich vom Weiß ins Blau auflösende Ebene, er beruhigt mich sehr. An diesem Nichtort, in dieser Nichtzeit, mitten im "rasenden Stillstand", wie der Philosoph Paul Virilio schrieb, komme ich runter wie an keinem Tag vor dem Wettkampf. Säße ich doch öfter in Langstreckenfliegern, denke ich, nicht um irgendwo auf der Welt, sondern irgendwo da unten, tief in mir drin, anzukommen, für eine Weile zumindest, und schlafe ein.

2 Tage bis zum Nichts

Seoul. Für diese Stadt muss das Wort Megacity erdacht worden sein. Zwischen den Bürotürmen bewegen sich die Menschen wie Lemminge auf Speed. Überall Bildschirme, die K-Pop-Bands, Samsung-Werbung oder flackernde Schriftzeichen zeigen, die ich nicht verstehe. Soldaten kreuzen meinen Weg und erinnern mich daran, dass die Grenze zu Nordkorea nur 40 Kilometer entfernt liegt.

Vor Jahrtausenden ist der Taoismus aus China nach Korea rübergeschwappt, die Philosophie des Nichtstuns. Heute deuten nur verstreute Tempel an, dass sie mal hier zu Hause war, bevor sie den Wolkenkratzern weichen musste. Seoul ist die Hauptstadt eines Landes, das sich so schnell wie kaum ein anderes von Armut zu Wohlstand hochwirtschaftete, bei Pisa, Burn-outs und Suiziden weit vorn; irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten.

Auf den ersten Blick sieht Seoul aus wie eine Übertreibung dessen, was ich bereits kenne. Dass Leute mehr in die Smartphones starren als in die Gesichter um sie herum, kenne ich aus Hamburg, in Seoul aber scheint das jeder, egal wie alt, egal wann und wo, so zu tun. Dass Pendler in der S-Bahn ein Nickerchen einlegen, kenne ich aus Deutschland, in der Seouler Metro scheint es perfektioniert worden zu sein. In all dem Trubel wirkt das seltsam kontemplativ. Die Metro als mobiler Meditationsraum des Kapitalismus.

Nicht wenige Teilnehmer kommen in ausgefallenen Outfits zu dem Event
Nicht wenige Teilnehmer kommen in ausgefallenen Outfits zu dem Event
© Jun Michael Park/NEON

Auf den zweiten Blick wirkt Seoul, als hätte hier jeder einen niedrigen Ruhepuls. Vielleicht weil die Einheimischen die Beschleunigung schon als Tempo 30 wahrnehmen, und ich, der vom Jetlag geplagte Tourist, nicht folgen kann, ähnlich wie die Eisenbahnkritiker im 18. Jahrhundert? Oder lässt die Müdigkeit "im Endstadium" sie so sediert wirken? Ich weiß es doch auch nicht. Brauche jetzt Ruhe. Ziehe im Hotel die Vorhänge zu. Schalte mein Handy aus. Keine Ahnung, wann ich das zuletzt gemacht habe.

Eine Nacht bis zum Nichts

Ich kann nicht schlafen. Mein Herz rast. Da ist er, der bad cop Stress. Oder der Jetlag?

Obwohl Stressforscher Adli gesagt hat, Alkohol störe die Schlafarchitektur, hole ich mir ein Bavaria an der Tankstelle neben dem Hotel. Und ich rauche. Eine Zigarette, zwei, halbe Schachtel. Ich bin ein Idiot, denke ich, und wahrscheinlich war es, wie Mutter schon sagte, idiotisch, so sehr das Nichtstun zu suchen.

Im Hotel schalte ich den Fernseher an, eine Gameshow. Verliert ein Teilnehmer, blinkt über ihm ein Totenkopf-Emoji. Während der Fernseher läuft, will ich gegen mein schlechtes Gewissen anmeditieren und anatmen. Schmeckt nach Rauch. Nach nicht mal zehn Minuten breche ich ab, schalte den Fernseher aus. Es bleibt ein Gedanke, den ich nicht abschalten kann: Morgen werde ich der sein, über dem ein Totenkopf blinkt. Ich werde verlieren.

Das Nichts

Ich verschlafe. Klar. Dusche zehn Sekunden, vergesse fast den Anglerstuhl, den ich vorm Abflug extra noch in einem Campingshop gekauft habe, setze mich mit nassen Haaren in ein Taxi, der Fahrer versteht mich nicht, ich zeige ihm einen Screenshot mit der Adresse des Parks, er nickt, glaube ich, und wir stehen im Stau. Ich versuche, an Coach Karper zu denken. Einfach einatmen. Doppelt ausatmen. Einfach, verdammt, einatmen, wo sind wir? Komme ich pünktlich an? Und wie zum Teufel komme ich dann runter?

Ich komme zu früh an. Im Park zelten Familien, spielen Kinder, und hinter einem Busch steht dieser seltsame Europäer mit den halbnassen Haaren. Was macht der da?

Ich beobachte. Habe einen Teil des Parks im Visier, der mit blauen Matten ausgelegt ist, umringt von Menschen, ziemlich vielen Menschen, darunter Arztkittel. Das sind also die üblen Typen, die mir den Puls messen sollen. Ich checke meine Fluchtwege. Noch hat mich keiner entdeckt. Noch kann ich türmen. Denke dann aber an meine Coaches. Meine Freundin. Meinen Onkel. Die Partisanentochter. Die Kollegen. Und nähere mich den Arztkitteln.

Mitleid, ich glaube, das ist Mitleid in ihren Blicken, als sie mir eine Nummer geben, 72 von 72, ich bin der oder das Letzte, weiß nicht so recht, krakle noch meinen Namen und einen wirren Text über mich, den aus Deutschland angeflogenen Möchtegernnichtstuer, an eine Wand, auf der die Zuschauer später Punkte für ihre Favoriten verkleben können, suche nun meine Matte, da ist sie, hinterste Ecke, wenigstens von einer Brise umweht, die mich etwas runterkühlen könnte, justiere meinen Anglerstuhl, der wackelt, ja, jetzt, so, da, der Stuhl steht, teste den Kutschersitz, schließe die Augen und starte die Atemübungen.

Ich höre Gewusel und öffne die Augen. Meine Konkurrenten stehen. Eine Frau und ein Mann machen vor uns Tai-Chi, oder ist das Qigong? Weiß nicht. Bin zu aufgeregt und werde noch aufgeregter, als ich daran denke, dass ich gleich so unaufgeregt sein muss, wie ich noch nie unaufgeregt war. Wir Wettkämpfer, ahne ich nun, sollen nachmachen, was die Frau und der Mann tun, um vor dem Nichtstun runterzukommen. Guter Witz. Dazu imitieren wir mit den Armen Propeller oder stellen uns auf ein eingeknicktes Bein. Ich bin ein Pinguin unter Flamingos.

Jetzt kreisen wieder die Arztkittel um mich herum, die Drohnen über mir, die Helikopter rotieren, die Reporter notieren, und die Fotografen fotografieren. Die fotografieren mich. Und ich? Soll nichts tun. Und zwar jetzt.
Meine Halsschlagader pocht, als hätte ich mir eben eine im doppelten Espresso ertränkte Zuckerpyramide einverleibt. Den Anglerstuhl habe ich nicht mehr nachjustiert, fällt mir auf. Was, wenn ich umkippe? Gott, wäre das peinlich. "Im Park ist ein deutscher Sack umgefallen", eine Schlagzeile in fremder Schrift, die in den Lokalnachrichten läuft. Ich versuche, mich nicht auf den Hauch Panik zu konzentrieren, sondern auf meinen Atem. Einfach einatmen. Doppelt ausatmen. Einfach einatmen. Doppelt ausatmen. Ich wiederhole das, eine gefühlte Viertelstunde lang. Es wirkt. Dank sei Coach Karper.

Vor dem Nichtstun kommt das Tun
Vor dem Nichtstun kommt das Tun
© Jun Michael Park/NEON

Dabei fixiere ich den Hinterkopf meines Vordersitzers, eines Seouler Rappers, wie sich zeigen wird, der umgeben ist von Lakaien, die ihn filmen und ihm Luft zuwedeln. Nur ist der Rapper leider von der hibbeligen Sorte, mein Fixpunkt treibt. Wieso wird der nicht disqualifiziert? Da schnappt sich ein Arztkittel den Zeigefinger meiner rechten Hand, misst meinen Puls und lacht mich vielleicht aus, ohne dass ich es sehen kann. Im Augenwinkel taucht nun die Seouler Künstlerin auf, die den Wettkampf organisiert hat. Verschwommen schleicht sie durch die Reihen, immer wieder kriegt einer die gelbe Karte, mancher die rote, disqualifiziert. Weshalb, kann ich nicht sagen. Darf eh nichts sagen. Tue ja nichts.

Phase zwei. Nach dem Atmen will ich jetzt meinen Tag durchgehen, ohne zu bewerten. Und lande, als ich mir den Koffer vorm Hotelbett vorstelle, plötzlich in den Wolken, auf die ich vor Tagen aus dem Flieger geblickt habe. Die großen weißen Wolken. Der weite Genuss. Ich verharre darin. Wie lange, weiß ich nicht. Dank sei Coach Namdak.
Und frage mich dann doch, wie viel Zeit noch bleibt. Ganz vorn sagt ein Moderator unentwegt irgendwas, vielleicht auch die Zeit durch, dann aber wohl auf Koreanisch, vielleicht hätte ich die Sprache lernen sollen? Und nun wird auch noch der Rapper vor mir disqualifiziert, mein Fixpunkt weicht. (Und, ja, er hat sich zu viel bewegt.) Kurz weiß ich nicht, wohin mit den Gedanken, flüchte also an einen Ort, den ich kenne und mag, in eine schemenhafte Erinnerung. In einen Song meiner alten Band, wiederaufgelegt in meinem Kopf.

Das habe ich beim Meditieren noch nie versucht, das hat mir so auch kein Coach geraten. Es sind mehr die ungeahnten Zufallsentdeckungen als die vorgefertigten Regeln, die beim Runterkommen helfen, kommt mir in den Sinn. Nicht die klaren Schritte, sondern die Schlenker. Jeder tut anders nichts, oder, wie Mönch Namdak sagen würde, eines. Und ich gehe nun eben einen Song meiner alten Band Note für Note auf dem Griffbrett in meinem Gehirn durch. Ein Wunsch, eine Entscheidung. Vielleicht sollte ich wieder eine Band gründen, Musik machen, um nichts zu tun? Dank sei Coach Adli und den Singing Shrinks.

Phase drei. Vor mir hockt wieder ein Arztkittel, aber diesmal fühlt sich mein Puls gut an, ha. Im letzten Drittel nur noch atmen, hat Bettina Karper gesagt. Was dann passiert, weiß ich nicht mehr. Vergesse die Zeit. Vergesse den Ort. Vergesse den Moderator und die Arztkittel. Die Drohnen und die Helikopter. Die Reporter und die Fotografen. Da ist nur noch Atem. Ein Hauch von nichts.

Während ich noch sitze, werden schon die Sieger gekürt, ein Dreiergespann Seouler Teenager in Schlafanzügen, die in der ersten Reihe chillten, einer lag sogar, wieso durfte der das? Ich falte den Anglerstuhl zusammen und greife einen der Sieger ab.

Nicht-Sieger: "Jetzt mal ehrlich, wie habt ihr das geschafft?"

Sieger: "Wir haben immer auf einen Punkt geguckt; auf einen Grashalm oder in eine Ecke der Brille."

Nicht-Sieger: "Ja, okay, so was hab ich auch versucht. Aber wann habt ihr angefangen, euch vorzubereiten?"

Sieger: "Vor einer Woche."

Das Interview ist an dieser Stelle für mich beendet, es plätschert zwar noch kurz vor sich hin, aber eine Woche, denke ich, so ein Kack, Kamsahamnida, sage ich, das einzige koreanische Wort, das ich gelernt habe, danke, verbeuge mich, und suche die Künstlerin, die das alles zu verantworten hat. Ist die runtergekommen?

"Nein. Ich habe das eigentlich genau dafür ins Leben gerufen, hier trage ich heute aber die Verantwortung. Keine Zeit, um runterzukommen."

Sie muss los, die südkoreanischen Journalisten und Kameras überstrahlen naturgemäß den deutschen Reporter, sieglos rumgesessen. Wieso kreisen hier eigentlich Helikopter? Habe ich alles dabei? Auch den Anglerstuhl? Wie komme ich zurück zum Hotel? Während ich mir solch elementare Fragen stelle, wirft mir die Übersetzerin noch einen Satzfetzen zu: "Du bist übrigens unter den besten zehn. Dank Publikumswertung."

Mein Herz rast. Da ist er, der good cop Stress. Ich bin stolz. Dabei habe ich doch nichts getan.

Dieser Text ist in der Ausgabe 11/17 von NEON und auch digital für das Tablet auf iOS und Android erschienen. Hier können Einzelhefte des Magazins nachbestellt werden.

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