Welche Auswirkungen Hass und Hetze im Netz auf das reale Leben haben können, zeigte sich am Mittwoch deutlich in Dresden. Nach Morddrohungen gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), die über den Messengerdienst Telegram verbreitet wurden, fand dort seit morgens eine großangelegte Polizeirazzia statt. Bei den Durchsuchungen stellten die Beamten mehrere Waffen sicher, fünf Männer und eine Frau stehen im Fokus der Ermittlungen.
"Nach der ersten Inaugenscheinnahme bestätigt sich der Anfangsverdacht", twitterte die Polizei Sachsen. Erst letzte Woche hatte das ZDF-Magazin "Frontal" in einem Bericht die Mordpläne von Impfgegnern gegen den sächsischen Ministerpräsidenten enthüllt.
Mordpläne gegen Kretschmer in Telegram-Gruppe geplant
So hatte sich ein Rechercheteam von "Frontal" bereits vor einigen Wochen in die Telegram-Gruppe "Dresden Offlinevernetzung" eingeschleust. Dort tummeln sich mehr als 100 Menschen, die gegen die Corona-Maßnahmen und die Impfung wettern und schon bei der Demo vor dem Reichstag mitgemischt haben. Viele glauben Corona sei nur eine Grippe und Deutschland zur Diktatur geworden.
Treibende Kraft ist der Administrator des Chats, der per Sprachnachricht ankündigt: "Ich würde auch bis zum Äußersten gehen, wenn es sein muss." Der harte Kern, der auch selbst zu Gewalt bereit ist, trifft sich laut der Recherche mehrfach im realen Leben. Danach wird in der Gruppe verkündet bei den Offline-Treffen Mordpläne gegen Ministerpräsident Kretschmer besprochen zu haben. Der Administrator konkretisiert: "Bei dem Typen einmarschieren, den Typen dort rausziehen und irgendwo aufhängen."
Nach einer Konfrontation von "Frontal" ist der Telegram-Kanal nicht mehr öffentlich einsehbar. Der Administrator hat ihn auf privat gestellt. Daraufhin nehmen die Generalstaatsanwaltschaft Dresden und das Landeskriminalamt Sachsen die Ermittlungen auf.
Waffen bei Razzia in Dresden beschlagnahmt
Mittwochmorgen, 6 Uhr. Rund 140 Polizeibeamte und Spezialkräfte durchkämmen sechs Objekte – hauptsächlich Wohnungen – in Dresden und in der nahe gelegenen Kleinstadt Heidenau. Die Razzia richte sich aktuell gegen sechs Beschuldigte, die unter dem Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ständen, sagte der LKA-Sprecher Tom Bernhardt am Nachmittag. Unter den Verdächtigen befinden sich fünf Männer und eine Frau im Alter von 32 bis 64 Jahren. Zudem wurden bei dem Großeinsatz Armbrüste, weitere Waffen sowie Waffenteile beschlagnahmt.
Kretschmer selbst reagierte erleichtert. "Ich bin froh, dass der Rechtsstaat heute im Freistaat gezeigt hat, wie wehrhaft er ist", sagte der Ministerpräsident bei einem Besuch des Leipziger Impfzentrums. "Bedrohungen gegen Amtsträger, seien es Bürgermeister, Gemeinde- und Landräte, Wissenschaftler oder Journalisten, sind nicht hinnehmbar, werden nicht geduldet und mit aller Kraft verfolgt." Zudem kündigte er zusätzliches Personal "für den Kampf gegen Extremisten" an. Jeder solle wissen, in Sachsen und in Deutschland könne man selbstverständlich seine Meinung sagen – auch was einem nicht gefalle. "Aber wenn Gewalt ins Spiel kommt, ist eine Grenze überschritten, was von uns nicht geduldet wird"."
Auch für Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) ist die Großrazzia ein Erfolg. "Es ist ein klares Signal: der Rechtsstaat ist handlungsfähig", sagte Wöller der Deutschen Presse-Agentur. Geschlossene Chatgruppen seien kein anonymer Raum für die Vorbereitung von Straftaten und schützten nicht vor Strafverfolgung. Das LKA sei den Tätern der Chatgruppe auf die Spur gekommen, obwohl diese bereits gelöscht gewesen sei. "Telegram darf kein rechtsfreier Raum sein, in dem gewaltbereite Rechtsextreme unbehelligt Straftaten begehen können."
"Blutiger" Widerstand gegen Politiker
Dass Kretschmer kein Einzelfall ist, zeigte am Mittwoch ein weiterer bizarrer Fall aus Berlin: Dort erhielten mehrere ranghohe Politiker, Medien und Institutionen Drohschreiben mit beigelegten Fleischstücken. Zuerst hatten das ARD-Hauptstadtstudio und das ARD-Politikmagazin "Kontraste" darüber berichtet. Die in Alufolie eingewickelten Fleischstücke waren demnach mit dem Hinweis versehen, dass sie "mit ausstrahlenden Covid-19 Viren und mit Zyklon B durchseucht" seien. Der Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen und die Impfpflicht werde "blutig und unappetitlich", hieß es.
Laut Polizeiangaben hätten jedoch Laboranalysen des LKA ergeben, dass das Fleisch ungefährlich sei. Wer der Absender der Schreiben sein könnte, wollte die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen zunächst nicht sagen. Wie eine Sprecherin mitteilte, wurden am Mittwoch rund ein Dutzend Verfahren wegen der Störung des öffentlichen Friedens und der Androhung von Straftaten eingeleitet.
Nach dem Fackelauflauf vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping und den Morddrohungen gegen Ministerpräsident Kretschmer, sind die Drohschreiben aus Berlin nur der jüngste Beweis dafür, wie sehr sich Teile der Anti-Corona-Bewegung radikalisiert haben. Besonders die verschärften 2G-Maßnahmen und die geplante Impfpflicht hat die Protestbewegung aufs Neue mobilisiert. Undurchsichtige Chatdienste wie Telegram bieten dabei Hass und Hetze einen gefährlichen Nährboden.
Quellen: "ZDF Frontal", "Polizei Sachsen", "ARD", mit DPA-Material