Die Zahl der Infektionen mit der weltweit grassierenden Schweinegrippe ist in Deutschland auf sechs gestiegen. Wie der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Jörg Hacker, in Berlin sagte, habe ein mit dem H1N1-Virus infizierter Mexiko-Reisender nicht nur wie schon bekannt eine Krankenschwester, sondern auch einen Zimmernachbarn in der Klinik im niederbayerischen Mallersdorf angesteckt. Damit wurden bereits zwei Menschen in Deutschland mit dem Virus infiziert, die selbst nicht im Ursprungsland Mexiko waren. Insgesamt gab es am Samstag 30 weitere Verdachtsfälle in Deutschland.
Die bisher bundesweit nachgewiesenen sechs Fälle, darunter fünf in Bayern und einer in Hamburg, verliefen insgesamt milde, sagte Hacker. "Die Patienten sind auf dem Weg der Besserung." Der Krankheitsverlauf sei bei den sechs Infizierten mit dem einer saisonalen Grippe vergleichbar. Schwere Fälle der neuen Grippe seien bisher nur in Mexiko und den USA aufgetreten. Auch der neu infizierte Patient zeigt nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit inzwischen keine Grippe-Symptome mehr.
Warnungen vor "Aktionismus"
Trotz der steigenden Zahl der Erkrankungen warnte Hacker vor "Aktionismus". Es bestehe "kein allgemeines Gefährdungspotenzial, aber das Ansteckungsrisiko darf auch nicht bagatellisiert werden", sagte Hacker. Hygieneregeln im Kontakt mit anderen Personen sollten unbedingt eingehalten werden, um Ansteckungen vorzubeugen. Bei Influenza-Symptomen sei umgehend ein Arzt aufzusuchen. Am RKI hat sich indes eine Influenza-Expertenkommission gebildet, die sich mit zukünftigen Maßnahmen zur Bekämpfung der neuen Grippe befasst. Sie sucht auch nach möglichen Impfstoffen, die im Falle einer weiteren Ausbreitung in Deutschland zum Einsatz kommen sollen.
Die Zahl der bestätigten Fälle der neuen H1N1-Variante in Europa stieg nach Angaben des Europäischen Seuchenbekämpfungszentrums am Samstag auf 40. Zwei neue Fälle waren am Freitagabend aus Frankreich gemeldet worden, auch Italien, wo das Virus bei einem 50-Jährigen gefunden wurde, ist betroffen. Weltweit haben sich inzwischen mindestens 635 Menschen mit dem Erreger infiziert. 17 Menschen starben. US-Präsident Barack Obama hat vor einer Unterschätzung der Grippe gewarnt. Das Virus könne sich weiter verändern und verstärkt tödlich wirken.
Meldepflicht für Ärzte
Ärzte müssen von Sonntag an alle Fälle der Schweinegrippe Influenza A/H1N1 den Behörden melden. Am morgigen Sonntag werde eine Rechtsverordnung in Kraft treten, mit der die Arztmeldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz auf die neue Grippe ausgedehnt wird, teilte das Bundesgesundheitsministerium am Samstag in Berlin mit. Die Ärztinnen und Ärzte müssen Verdachts- und Erkrankungsfälle an das Gesundheitsamt melden. Zur Beurteilung von Verdachtsfällen werde das Robert Koch-Institut eine Empfehlung für Ärztinnen und Ärzte herausgeben.
Die Rechtsverordnung stärkt nach Ansicht des Ministeriums die Möglichkeiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes, dem Auftreten des neuen Erregers in Deutschland so früh wie möglich mit Maßnahmen zur Krankheitsverhütung und -bekämpfung begegnen zu können. Die Rechtsverordnung sei am Samstag in einer Sonderausgabe des Bundesanzeigers erschienen.
"Nicht so gefährlich wie 1918"
Trotz immer neuer Fälle von Schweinegrippe ist das Virus offenbar weit weniger gefährlich als der Erreger der verheerenden Spanischen Grippe von 1918. Das Schweinegrippe-Virus H1N1 verfügt nach Angaben der US-Behörden nicht über die genetischen Eigenschaften, die den früheren Erreger so gefährlich machten. Es gebe allerdings noch vieles, was die Wissenschaft über die Virulenz des Virus von 1918/19 herausfinden müsse, sagte Grippeexpertin Nancy Cox vom US-Zentrum für Seuchenkontrolle und Prävention am Freitag ein. Die Spanische Grippe war einer der tödlichsten Seuchen in der Geschichte der Menschheit. Experten schätzen, dass 40 bis 50 Millionen Menschen an der Krankheit starben. Das neue Virus scheine nicht die gefährliche Kraft früherer Erreger zu haben, bestätigte auch Cox' Kollege Steve Waterman, unter dessen Leitung ein internationales Expertenteam Mexiko im Kampf gegen die Schweinegrippe zur Seite steht. Eine voreilige Entwarnung dürfe es jedoch nicht geben, zunächst müsse abgewartet werden, ob sich die Lage in Mexiko nun stabilisiere.