Kampf gegen Pandemie Covid19-Visitendienst: So versucht Österreich die Intensivstationen zu entlasten

Visitendienst
Noch kurz die Hände desinfizieren bevor es zu den Patienten geht: Der mobile Visitendienst versorgt Corona-Patienten zu Hause
© Hannes Pacheiner/Samariterbund
Wer in Österreich an Corona erkrankt oder zum Verdachtsfall wird, muss nicht sofort in die Klinik. Stattdessen werden die Patienten vom Visitendienst überwacht. Das entlastet die Krankenhäuser. Ein Modell für Deutschland?

In Deutschland steigen die Inzidenzen – und mit ihnen die Furcht vor einer Überlastung auf den Intensivstationen. Ideen für Anti-Corona-Maßnahmen gibt es einige: Söders Öffnungsmatrix, Merkels Osterruhe, Laschets Brücken-Lockdown. Doch die Vorschläge stehen in der Kritik. Während Ministerpräsidenten und Regierung hierzulande erst einmal versuchen, sich auf eine einheitliche Linie zur Bekämpfung der Pandemie zu einigen, scheint der südliche Nachbar Österreich zügiger im Bestreben, die Zahlen zu drücken – und die Krankenhäuser zu entlasten.

Unter Druck steht das Land vor allem wegen der sich dramatisch ausbreitenden britischen Coronamutante B1.1.1.7, die die Inzidenzen in den vergangenen Wochen in einigen Bundesländern auf bis zu 300 ansteigen ließ. Die Regierung sah sich deshalb gezwungen, im besonders betroffenen Burgenland, der Landeshauptstadt Wien und in Niederösterreich eine Osterruhe mit strengen Schutzmaßnahmen zu verhängen, die auch über die Feiertage hinaus gelten sollen.

Die angespannte Lage spiegelte sich auch auf den Intensivstationen des Landes. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verkündete vor zwei Wochen, mehrere Wiener Kliniken seien "voll ausgelastet und warnte vor einer "Triage-Gefahr". Viele Patienten musste in andere Krankenhäuser im Westen des Landes verlegt werden. Was also tun?

Hausbesuche bei Corona-Patienten

Um einen Kollaps des österreichischen Gesundheitssystems zu verhindern, wurden zu Beginn des ersten Lockdowns im vergangenen Frühjahr "Corona-Visitendienste" eingerichtet. "Diese Visiten erfolgen zum Teil in Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst und dem Ärztefunkdienst", heißt es aus dem österreichischen Gesundheitsministerium. Finanziert werden sie von den Bundesländern und der Österreichischen Gesundheitskasse. Sie sollen Corona-Verdachtsfälle und -Patienten zuhause betreuen. Das Angebot dient zudem dazu, Risikogruppen zu schützen und die Ausbreitung des Virus bei niedergelassenen Ärzten und Therapeuten zu stoppen.

Links spricht ein weißhaariger Mann mit randloser Brille, rechts leuchten die Rücklichter einer U-Bahn in einem Bahnhof
© Herbert Pfarrhofer/Georg Hochmuth/APA / DPA
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Vorreiter beim mobilen Covid-Visitendienst ist unter anderem das Bundesland Kärnten. Initiiert von der Kärntner Landesregierung, der Landesärztekammer und einer Krankenkasse fuhr der Arbeiter Samariterbund Kärnten den ersten Arzt des Covid19 Visitendienst Kärnten am 21. März 2020 zu den Corona-Patienten nach Hause. "Viele erfahrene Hausärzt:innen gehören selbst der Risikogruppe an und sahen sich nicht mehr in der Lage, Corona-Patienten zu betreuen", fasst Christel Müller die Lage zu Beginn der Pandemie zusammen. Die Ärztin ist ebenfalls seit einem Jahr Teil des Dienstes und koordiniert den Visitendienst per Telefon. Ausgerüstet mit Medikamenten, Schutzkleidung und diagnostischen Hilfsmitteln geht es dann für den Visitendienst zu den Patienten nach Hause.

Eine direkte Hotline zum Dienst gibt es nicht, die Vermittlung übernehmen die Hausärzte. Telefonkoordinationsärzte wie Christel Müller entscheiden dann, welche Patienten am schnellsten besucht werden müssen. "Viele Menschen sind auch einfach verängstigt, häufig geht es darum, sie zu beruhigen", sagt Müller. Schwere Fälle werden vorrangig und wiederholt besucht. Wann ein Patient doch ins Krankenhaus muss, entscheidet der Arzt vor Ort. "Bei uns gilt die Devise: Wer beatmet werden muss, gehört in die Klinik", sagt Müller. Alles andere, wie Medikamente oder Heimsauerstoff verordnen und Infusionen geben, könne der Gesundheitsdienst ambulant erledigen. Das entlaste die Krankenhäuser.

60 Patienten pro Tag

Der Visitendienst arbeitet täglich von acht bis 18 Uhr. Aktuell sind 65 Ärztinnen und Ärzte an dem Programm beteiligt, die gemeinsam mit dem Arbeiter-Samariter-Bund durch Kärnten fahren, um die Corona-Patienten zu betreuen. Je nach Bedarf steigt oder sinkt die Zahl der täglich beschäftigten Einsatzkräfte. Während im Sommer zwei Ärzte an einem Tag für die Betreuung zuständig waren, fuhren im November und Dezember, als die Fallzahlen stiegen, täglich sieben Ärzte zu den Patienten. Derzeit sind vier Mediziner im Einsatz.

Entsprechend dem Infektionsgeschehen entwickelt sich auch die Nachfrage. Aktuell sind täglich ungefähr 60 Patienten zu besuchen. Wegen der britischen Virusmutante nehmen derzeit vermehrt auch jüngere Patienten den Covid19-Visitendienst in Anspruch. "Manche sind Mitte 40 oder 60, andere erst Mitte 20, aber auch Kinder visitieren wir immer wieder", weiß Telefonkoordinatorin Müller. Von den Patienten gebe es viel Zuspruch.

Entlastung auf der Intensivstation

"Rückblickend war die Etablierung des Covid19-Visitendienstes Kärnten eine kluge Entscheidung. Wir können die Patient:innen in ihrem häuslichen Umfeld medizinisch betreuen, entlasten damit die Krankenhäuser und unterstützen die hausärztlichen Kolleg:innen bei ihrem Versorgungsauftrag", sagt Müller. In Kärnten seien die Krankenhäuser zwar vergleichsweise wenig belegt gewesen, doch zu den Hochzeiten der Pandemie sei man auch hier an seine Grenzen gestoßen.

"80 Prozent der Corona-Patienten werden im Laufe der Krankheit in einer Klinik vorstellig", sagt Müller. Bei täglich über hundert Neuinfektionen kämen die Hospitäler schnell an ihr Limit. Auch Bewohner in Pflegeheimen werden durch den Visitendienst betreut. "Oft wollte man dort die Patienten direkt ins Krankenhaus schicken", sagt Müller. Dabei seien die betroffenen Heimbewohner in aller Regel froh, wenn Sie nicht ins Krankenhaus müssen sondern in ihrer vertrauten Umgebung behandelt werden können.

Ob und in welchem Umfang das Angebot die Krankenhäuser wirklich entlastet, werde noch untersucht. Dazu würden aktuell noch standardisierte Daten der Ärzteteams ausgewertet. Wann das Ergebnis bekannt gegeben wird, steht noch nicht fest.

Auch in Niederösterreich ist kürzlich ein neuer Corona-Visitendienst gestartet. „Wir wissen, dass etwa 90 Prozent aller Covid-Fälle ihre Erkrankung zu Hause auskurieren können“, sagt Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) laut einem Bericht des ORF. Mit dem Dienst werde "einerseits die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung sichergestellt und andererseits der Schutz des Gesundheitssystems erhöht – in diesem Fall vor allem des niedergelassenen Bereichs“, sagte Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) dem ORF.

Und in Deutschland? Das Gesundheitsministerium verweist auf stern-Anfrage auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die für solche Angebote zuständig ist. Dort heißt es: "Wir haben sehr viel dafür getan, um die Krankenhäuser zu entlasten: Videosprechstunden, mobile Impfdienste und natürlich Hausbesuche", zählt KBV-Pressesprecher Roland Stahl auf. Zudem würden neun von zehn Covid-19-Patienten ambulant behandelt.

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