Gegen den vor fast 40 Jahren verstorbenen Gründer von SOS-Kinderdorf, den Österreicher Hermann Gmeiner, gibt es schwere Missbrauchsvorwürfe. Wie der österreichische Zweig der internationalen Hilfsorganisation am Donnerstag mitteilte, werden dem bislang als großer Kinderfreund geltenden Gmeiner "sexuelle Gewalt und Misshandlungen" gegen mindestens acht minderjährige Jungen in Österreich angelastet. Die mutmaßlichen Opfer hätten inzwischen Entschädigungen erhalten. SOS-Kinderdorf Österreich will sich nun nach eigenen Angaben komplett neu organisieren.
SOS-Kinderdorf in Österreich unter Druck
SOS-Kinderdorf Österreich steht wegen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs und der Misshandlungen von Kindern seit September massiv unter Druck. Damals hatte die Wochenzeitung "Falter" über Gewaltvorwürfe gegen das SOS-Kinderdorf in Moosburg in Kärnten berichtet. Anfang Oktober entband die Organisation wegen der Vorwürfe ihren langjährigen Geschäftsführer Christian Moser von seinen Funktionen.
Den Anschuldigungen gegen den 1986 verstorbenen Gründer Gmeiner war SOS-Kinderdorf Österreich in einer internen Untersuchung nachgegangen. Die mutmaßlichen Fälle seien zwar nicht durch Gerichtsurteile belegt, aber durch glaubhafte und plausible Schilderungen, sagte die Sprecherin. Die Fälle seien bereits intern dokumentiert gewesen, seien aber erst jetzt im Zuge einer umfassenden Aufarbeitung von anderen Missbrauchsvorwürfen ans Licht gekommen.
"Die Betroffenen haben die Geschehnisse im Rahmen des Opferschutzverfahrens plausibel dargelegt", sagte jetzt die neue Geschäftsführerin Annemarie Schlack der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Es lasse sich auch nicht ausschließen, dass es noch weitere Opfer Gmeiners gebe.
"Umfassender Neustart" angekündigt
Die Entschädigungen belaufen sich der Agentur zufolge auf jeweils 25.000 Euro, zudem seien Therapien bezahlt worden. Der mutmaßliche Missbrauch und die Misshandlungen der acht Jungen durch Gmeiner sollen sich laut APA zwischen den 1950er und 1980er Jahren an vier Standorten der Organisation in Österreich ereignet haben.
SOS-Kinderdorf war 1949 von Gmeiner zunächst noch unter dem Namen Societas Socialis gegründet worden, bevor die Organisation später umbenannt wurde. Von Österreich aus breitete sich die Organisation in die ganze Welt aus, global ist sie unter dem Dach von SOS-Kinderdorf International organisiert. Die Organisation hat Zentren und Programme in mehr als 130 Ländern und betreut vor allem Kinder.
In Österreich galt Gmeiner bislang als "Pionier der Menschlichkeit". Laut der Website der Organisation erhielt er 146 Auszeichnungen. In Österreich wurden zudem zahlreiche Schulen, Straßen und Parks nach ihm benannt.
SOS-Kinderdorf Österreich plant nun einen "umfassenden Neustart", wie Geschäftsführerin Schlack der APA sagte. Schon kommendes Jahr solle die Organisation "anders aussehen als heute". Zudem solle es "eine vollständige Aufarbeitung" aller Gewaltvorwürfe geben.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde nach seiner Erstveröffentlichung umfassend aktualisiert und erweitert.