Ein Rekordtief bei den Verkehrstoten - diese gute Nachricht muss bei näherem Hinsehen relativiert werden. Zwar sterben von Jahr zu Jahr weniger Menschen auf deutschen Straßen, weil die Autos immer sicherer werden. Doch ist hier zu Lande das Risiko, bei einem Verkehrsunfall verletzt zu werden, im internationalen Vergleich sehr hoch.
Kein Wunder: Inzwischen sind bundesweit fast 54 Millionen Autos, Lkw und Motorräder unterwegs, ebenfalls ein Rekordwert. Die daraus resultierende hohe Verkehrsdichte und wachsender Zeitdruck im Berufsleben befördern nach Einschätzung des Bundesverkehrsministeriums aggressive Verhaltensweisen wie "Rasen, Drängeln und allgemeine Rücksichtslosigkeit", wie es im Regierungsprogramm für mehr Sicherheit im Straßenverkehr heißt. Dies wiederum lasse das Unfallrisiko steigen. Das Fazit: Ein Klimawechsel im Straßenverkehr gehöre zu den dringlichsten Aufgaben der Verkehrspolitik.
Erschreckende Gesamtbilanz
Laut einer aktuellen OECD-Statistik ereignen sich in Deutschland bezogen auf zehn Millionen Fahrzeugkilometer 6,1 Unfälle mit mindestens einem Toten oder Verletzten. Im Nachbarland Frankreich liegt dieses Risiko um zwei Drittel niedriger, ebenso in Schweden und Norwegen. In den Niederlanden und Griechenland beträgt der Wert die Hälfte des deutschen Durchschnitts. Nur Österreich, Großbritannien und Belgien erreichen beim Verletzungsrisiko in etwa das Niveau der Bundesrepublik. Die Gesamtbilanz schreckt auf: In den vergangenen 50 Jahren sind auf europäischen Straßen gut zwei Millionen Menschen getötet und rund 100 Millionen verletzt worden.
Damit Deutschland von dem traurigen Spitzenplatz beim Verletzungsrisiko herunter kommt, erhebt der Verkehrsclub VCD weitere Forderungen. Benötigt wird vor allem eine aktivere Verkehrssicherheits-Politik, wie Sprecher Daniel Kluge erläutert. "Dazu gehören unter anderem allgemeine Tempolimits, die 0,0-Promille-Grenze und eine bessere Verkehrserziehung, die den Fahrern mehr Rücksichtnahme vermittelt." Es könne nicht sein, dass in Deutschland Fahrlehrer innerhalb von fünf Monaten quasi im Schnellverfahren geschult würden.
Nötig seien aber auch Initiativen im Straßen- und Fahrzeugbau, betonte Kluge: "Also mehr Kreisverkehre statt gefährlicher Kreuzungen und mehr Radwege, aber auch Autos mit bruchsicherem Scheinwerferglas und flexibleren Motorhauben, die bei Kollisionen mit Fußgängern weniger schlimme Verletzungen verursachen."
Landstraßen am gefährlichsten
Experten verweisen zudem darauf, dass nicht auf Autobahnen die meisten schweren Unfälle passieren, sondern auf Landstraßen: Hier sterben 60 Prozent aller Verkehrstoten. Innerhalb von Ortschaften sind es dagegen nur rund ein Viertel und auf Autobahnen nur 13 Prozent. Bernd Kulow vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) sagte im AP-Gespräch: "Generell wird auf Landstraßen viel zu schnell gefahren. Besonders nachts und am Wochenende sind viele unerfahrene Fahranfänger unterwegs, die sich leicht überschätzen." Lebensgefährlich werde es stets, wenn Bäume am Straßenrand stehen, sagt Kulow. Sein Vorschlag: An neuralgischen Punkten sollten Tempolimits gelten. "Und an gefährlichen Alleen gehören Schutzplanken entlang der Bäume installiert."
Ein weiterer Trend, der den Experten zu denken gibt: Senioren sind im Verkehr immer stärker gefährdet. Inzwischen ist beinahe jeder zweite getötete Fußgänger älter als 65 Jahre. Bei den getöteten Radfahrern stellen die Senioren schon einen Anteil von 40 Prozent. Umgekehrt ist der Trend dagegen bei Kindern und Heranwachsenden: Im Vergleich zum Vorjahr ging die Zahl der Getöteten unter 15 Jahren um rund zehn Prozent zurück, bei den 18- bis 25-Jährigen waren es sieben Prozent.