Justizwirrwarr in Baden-Württemberg: Der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger hält den Heilbronner Polizistenmord für aufgeklärt, sein Innenminister Reinhold Gall (SPD) widersprach ihm am Dienstag postwendend: "So weit sind wir noch nicht."
Pflieger geht davon aus, dass der Mord im April 2007 von der Gruppe um zwei tot aufgefundene mutmaßliche Bankräuber aus Thüringen und einer 36-Jährigen aus Sachsen begangen wurde. Das sagte Pflieger dem Südwestrundfunk (SWR). Dafür sprächen die Gesamtumstände, vor allem der Besitz der Dienstwaffen der Polizisten: "Solche Waffen gibt man nicht weiter", sagte Pflieger. Das Motiv vermutet er im Bereich der Beschaffungskriminalität. Gall konstatierte immerhin, "dass es eine Spur gibt, die erfolgversprechend ist". Nicht nur die Waffe, sondern auch Handschellen der ermordeten Polizistin seien gefunden worden.
Der Mord an der Polizistin Michelle Kiesewetter und ihrem Kollegen hatte 2007 die Republik schockiert. Denn die beiden Polizisten wurden am helllichten Tage mitten in Heilbronn erschossen. Sie hatten gerade Vesperpause in ihrem Dienstwagen gemacht, als sie angegriffen wurden. Die Täter schossen beiden Beamten in den Kopf und nahmen ihnen Dienstwaffen, Handschellen und Munition ab. Kiesewetter, eine Bereitschaftspolizistin, die aus Thüringen stammt, starb, ihr Kollege überlebte schwer verletzt. Obwohl eine Großfahndung nach den Mördern eingeleitet wurde, konnten sie entkommen. Seitdem wird fieberhaft nach ihnen gesucht - vergeblich. Doch jetzt gibt es eine neue Spur: Auf der Suche nach den Polizistenmördern hatte die Polizei dann nach einer 36-Jährigen gefahndet, die sich am Dienstagnachmittag stellte.
Die Frau aus Zwickau wohnte in der sächsischen Stadt mit den zwei Bankräubern zusammen, die sich am Freitag nach einem Überfall in Eisenach erschossen hatten. Bei den Toten fanden die Ermittler die Dienstwaffen der getöteten Polizistin und ihres Kollegen. Spekuliert wird, ob die Täter eine Verbindung in die Neonazi-Szene hatten.
Die Bombenbauer
Die beiden Bankräuber im Alter von 34 und 38 Jahren und die Frau, die zuletzt mehrere Alias-Namen benutzt haben soll, sind nach Darstellung der Thüringer Linken-Fraktion und Medienberichten bereits als Bombenbauer in Erscheinung getreten. Der Thüringer Linken-Fraktion zufolge waren die beiden Toten und die heute 36-Jährige bereits 1998 im Visier der Ermittler. Nach der Aushebung einer Bombenwerkstatt in Jena seien die drei damals geflüchtet und spurlos verschwunden, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Martina Renner. Das Landeskriminalamt soll die Männer zufolge fünf Monate lang observiert haben. Das Verfahren wurde demnach 2003 wegen Verjährung eingestellt.
Wer ist Susann?
Die Wohnung der Bankräuber und der Frau wurde kurz nach den Vorfällen in Eisenach durch eine Explosion zerstört. Die Verdächtige, die hier unter dem Namen Susann lebte, soll das Gebäude kurz vor der Detonation verlassen haben. Die Polizei verfolgte die Spur der Dienstwaffen zurück. Die in Heilbronn ermordete Polizistin stammte aus dem südthüringischen Oberweißbach.
Es wurde auch geprüft, ob es einen Zusammenhang zu dem jüngsten Mord an einem Polizisten in Augsburg gibt. "Das ist eine Spur von vielen, die derzeit geprüft und bewertet wird", zitierte die Nachrichtenagentur DPA einen Polizeisprecher. Weitere Aussagen über einen möglichen Zusammenhang gibt es noch nicht. Ein Hauptkommissar in Augsburg war am 28. Oktober nach einer Routinekontrolle und anschließenden Verfolgungsjagd erschossen worden. Eine Kollegin wurde durch einen Streifschuss verletzt. Seitdem fahndet die Polizei nach den Tätern.
Das Phantom und verunreinigte Wattestäbchen
Der Heilbronner Mord war von Anfang an mysteriös. Denn aus dem kaltblütigen und dreisten Mordfall entwickelte sich eine der bizarrsten Fahndungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Juni 2007 entdeckten die Ermittler eine weibliche DNA-Spur an dem Dienstwagen der beiden Polizisten. Die Jagd nach der angeblichen Mörderin begann. Und tatsächlich tauchte in den Monaten und Jahren danach genau diese DNA immer wieder an diversen Tatorten vor allem in Süddeutschland auf. Das "Phantom von Heilbronn" war geboren, eine unbekannte Frau, die scheinbar regelmäßig in Geschäfte einbrach, Gartenhäuser ausraubte oder sogar in weitere Mordfälle verwickelt war. Jedenfalls wurde die fragliche DNA immer wieder an diesen Orten gefunden, die Ermittler wähnten sich jedes Mal der Frau ein Stückchen näher.
Im Frühjahr 2009 enthüllten dann stern und "stern.de", dass es eine solche Frau nie gegeben hat. Denn die Polizei hatte bei der Spurensicherung verunreinigte Spurenträger benutzt, die DNA-Spur gehörte der Mitarbeiterin eines Wattestäbchenherstellers. Doch anstatt den Fehler zuzugeben, vermeldet die "Soko Parkplatz" dies als Erfolg. Es sah fälschlicherweise so aus, als sei die Herstellerfirma an der Polizeipanne schuld.
Auch zu Islamisten gab es Spuren
Die bittere Erkenntnis: Die Ermittler sind zwei Jahre tatsächlich einem nicht-existenten Phantom und einer Scheinspur hinterher gehechelt und haben womöglich andere Hinweise vernachlässigt. Zumindest wurde viel Zeit und Geld verschwendet.
Anderthalb Jahre später, im September 2010, gab es neue Spuren, die auf eine Zusammenarbeit von osteuropäischen Mafiosi und radikalen Islamisten hinwiesen. Offensichtlich eine falsche Fährte.