Habt ihr mal eine Zigarette, fragt Arid U. die US-Soldaten am Frankfurter Flughafen. Es ist Mittwochnachmittag gegen 15.20 Uhr. Die jungen GIs, die vor ihrem Bus am Eingang zum Terminal 2 Gepäck ausladen, sind freundlich. "Klar", sagen sie und beginnen ein Gespräch mit dem jungen Mann. Der will wissen, ob sie nach Afghanistan fliegen. "Ja", antwortet ein 25-Jähriger ahnungslos, dreht sich um und ist Sekunden später tot. Arid U. hat ihm mit einem gezielten Schuss aus einer 9-Millimeter-Pistole in den Hinterkopf geschossen.
Keiner der Soldaten scheint zu realisieren, was da gerade passiert. Als Arid U. auf den Bus zugeht, einsteigt, "Allahu Akhbar" ruft und dem 21-jährigen Kameraden auf dem Fahrersitz ebenfalls in den Kopf schießt, ist niemand zu einer Reaktion fähig. Arid U. schießt auf zwei weitere Soldaten, die er dabei schwer verletzt, ehe er vor einem 22-Jährigen stehen bleibt, die Pistole an dessen Kopf hält, den Abzug durchdrückt - und nichts passiert. Millisekunden Starre. Arid U. drückt erneut den Abzug, doch es löst sich wie durch ein Wunder kein Schuss. Eine Hülse hat sich verklemmt. In der Waffe stecken noch sechs Patronen.
Es ist der Moment, in dem Arid U. offenbar Panik bekommt. Vergeblich versucht er in den Flughafen zu flüchten. Der 22-jährige Soldat folgt ihm geistesgegenwärtig und kann ihn schließlich überwältigen. Es ist das Ende des ersten "erfolgreich" ausgeführten islamistischen Anschlags in der Bundesrepublik Deutschland und der Beginn umfangreicher Ermittlungen.
Ein sauberer Lebenslauf ohne Radikalisierung
Als die Generalbundesanwaltschaft am Tag danach die Akte Arid U. von den Kollegen des Frankfurter Polizeipräsidiums übernimmt, hat Arid U. die Tat in einer ersten Vernehmung gestanden. Für Bundesanwalt Rainer Griesbaum steht fest: "Es handelt sich hier um eine besonders schwere staatsgefährdende Straftat mit offensichtlich islamistischem Hintergrund."
Die zentrale Frage: Ist Arid U. Teil eines terroristischen Netzwerkes und drohen weitere Anschläge, die eine Neubewertung der Sicherheitslage im Land rechtfertigen?
Erste Ergebnisse und eine Entwarnung geben Griesbaum und seine Kollegen am Freitag auf einer eiligst einberufenen Pressekonferenz in der Bundesanwaltschaft bekannt. Sie sagen, Arid U. sei nach derzeitigem Ermittlungsstand kein Angehöriger eines dschihadistischen Netzwerkes, sondern ein fanatisierter Einzeltäter. Wer also ist Arid U. und was trieb ihn zu der Tat?
Arid U., 21 Jhre alt, hat serbisch-montenegrinische Wurzeln und lebt seit vielen Jahren mit seinen Eltern in Frankfurt-Sossenheim. Seit Januar hatte er einen Job als Zeitarbeiter im Internationalen Postzentrum der Stadt. Ein - so scheint es zumindest - unauffälliger Moslem mit einem sauberen Lebenslauf ohne Hinweise auf mögliche Radikalisierungsauslöser. In seiner polizeilichen Vernehmung erzählt Arid U., dass er auf einem Gymnasium war, das Abitur allerdings nicht bestanden habe. Er sagt, er habe nichts mit Terroristen zu tun. Auch seine Eltern versichern, er sei ein guter Sohn. Und wissen offenbar nicht, dass sich Arid U. schon vor Monaten eine Pistole zulegte. Wozu er das tat, kann er den Polizisten nicht erklären. Er habe nichts Spezielles damit geplant.
Sinnsuche auf islamistischen Websites
Als die Ermittler die Wohnung durchsuchen, beschlagnahmen sie den PC von Arid U. und staunen. Der junge Mann hatte in der Vergangenheit mehrere einschlägig bekannte Websites mit teils radikalislamistischen, teils dschihadistischen Inhalten besucht. "Offenbar fühlte sich Arid U. zu Muslimen mit salafistischen Ansichten hingezogen", berichtet Griesbaum. Und: "Es konnte festgestellt werden, dass der Tatverdächtige in den vergangenen Tagen über seinen Facebook-Account verstärkt Kontakte knüpfte." Unter den Internet-Kontakten sei auch Sheikh Abdellatif verzeichnet. Ein Frankfurter Prediger, der im Verdacht steht, radikalislamistische Ansichten zu vertreten.
Hatte Arid U. sich bei ihm für den Anschlag Rat geholt?
"Nein", sagt Arid U. in seiner ersten Vernehmung. Auslöser für die Tat sei ein Video gewesen, das er tags zuvor bei Youtube entdeckt habe. Darin sei gezeigt worden, wie US-Soldaten das Haus einer muslimischen Familie in Afghanistan plündern und eine Frau vergewaltigen. Als er gesehen habe, wie die Soldaten sich damit auch noch brüsteten, seien Wut und Hass in ihm entbrannt.
Er habe sich vorgenommen, die Tat zu rächen und seinerseits US-Soldaten dafür zu töten. Dass die jugendlichen GIs zu seinen Opfern wurden, sei allerdings der reine Zufall gewesen. Sie waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort.
Justizielle Kontakte zum FBI
Ob das so stimmt, müssten die weiteren Ermittlungen zeigen, erklärt Bundesanwalt Rainer Griesbaum bei der Pressekonferenz und versichert, man werde allen Spuren der Radikalisierung nachgehen. Eine Art vorsorgenden Schutz vor Turbo-Islamisten wie Arid U., die sich sehr kurzfristig zu Attentaten entschließen, könne es allerdings nicht geben. Selbst mit einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze und mehr Beamten könne das Treiben im Internet nicht umfassend überwacht werden.
Wichtig sei, die Kompetenzen in Sachen Islamismusbekämpfung zu bündeln. Dass unmittelbar nach dem Anschlag FBI-Beamte am Frankfurter Flughafen auftauchten, habe allerdings nur etwas mit "justiziellen Kontakten" zu tun, die "auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften" beruhten, versichert Griesbaum.