Straftäter in nachträglicher Sicherungsverwahrung können trotz einer Entscheidung des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) nicht mit ihrer schnellen Freilassung rechnen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe lehnte den Eilantrag eines Häftlings ab, der 1996 wegen Sexualstraftaten und Zuhälterei verurteilt worden war und gegen den gleichzeitig Sicherungsverwahrung angeordnet wurde.
Der Straftäter wollte sofort freigelassen werden, nachdem der EGMR in Straßburg am 10. Mai die in Deutschland geltende Sicherungsverwahrung in einigen Punkten beanstandet hatte. Er stellte einen entsprechenden Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht. Dies betonte jetzt jedoch, nach der EGMR-Entscheidung müssten Rechtsfragen in einem Hauptsacheverfahren geprüft werden.
Eine sofortige Freilassung der Betroffenen sei nicht geboten: Die Gefährdung der Allgemeinheit wiege schwerer - selbst falls der Straftäter später mit seiner Verfassungsbeschwerde Erfolg hätte. Bis zu dieser Hauptsacheentscheidung müssen die Betroffenen nach der Karlsruher Rechtsprechung nicht entlassen werden. Bereits im Dezember 2009 hatte Karlsruhe einen Eilantrag abgelehnt. Damals war die Straßburger Entscheidung zur Sicherungsverwahrung jedoch noch nicht rechtskräftig. Das Bundesverfassungsgericht bleibt dennoch bei seiner Linie, das Hauptsacheverfahren abzuwarten.
Verwahrung oft in denselben Gefängnissen vollstreckt
Bis 1998 war die Sicherungsverwahrung in Deutschland auf zehn Jahre begrenzt. Danach konnte sie jedoch rückwirkend auch für Altfälle verlängert werden. Das Bundesverfassungsgericht billigte vor Jahren diese rückwirkende Verlängerung, da es sich bei der Sicherungsverwahrung nicht um eine Strafe, sondern um eine vorbeugende Maßnahme zur Besserung handele.
Der Straßburger EGMR bewertete die Rechtsfrage anders: In Deutschland werde die Sicherungsverwahrung oft in denselben Gefängnissen vollstreckt wie die Haftstrafe. Sie sei als Strafe zu bewerten. Nachträglich dürfen Strafen aber nicht verlängert werden, deshalb beurteilten die Straßburger Richter die rückwirkende Verlängerung als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention.
Das Bundesverfassungsgericht will nun anhand des aktuell eingegangenen und eines weiteren Falls prüfen, ob dieses Straßburger Urteil nur für die rückwirkende Verlängerung von Sicherungsverwahrung für bundesweit etwa 70 Fälle bindend ist, oder ob sie auch Auswirkungen auf 130 weitere indirekt Betroffene hat. Einige Betroffene klagten bereits vor Fachgerichten auf Freilassung.