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Am Schluss brennen so viele Scheiterhaufen, dass selbst der städtische Chronist die Übersicht verliert. Um ihn herum werden immer mehr vermeintliche Handlanger des Satans enttarnt, sogar Kinder, Priester und hohe Beamte. Der Teufel, so muss es ihm scheinen, hat sich ausgerechnet am Sitz eines Fürstbischofs niedergelassen. Alle Ordnung geht verloren. Und so versucht der Schreiber, das Chaos in seiner Heimatstadt zu bannen – mit einem "Verzeichnis der Hexen-Leut, so zu Würzburg mit dem Schwerdt gerichtet und hernacher verbrannt worden". Rasch wird seine Liste immer länger.
Im achten Feuer etwa, notiert er, sterben "sieben Personen", darunter "zwei fremde Weiber" sowie "ein Raths-Herr und der dickste Bürger zu Würtzburg". Auf dem 13. Scheiterhaufen verbrennen unter anderem "ein alt Weib" und "ein klein Mägdlein von neun oder zehn Jahren". Im 17. stirbt "der Wirt zum Baumgarten", im 20. "die schönste Jungfrau in Würtzburg" und ein Student, der "so viel Sprachen gekont".
Insgesamt 31 "Brände" listet der Chronist auf – in nur rund zwei Jahren. Doch es ist nicht genug. Immer weitere Hexen und Zauberer werden zu Asche. Schließlich wächst der Hexenwahn sogar dem anonymen Schreiber über den Kopf: Am 16. Februar 1629 bricht er die Liste vorerst ab. Sie endet mit einer atemlos klingenden Notiz: "Bisher aber noch viel unterschiedliche Brandte getan worden." Die Verurteilten werden jetzt schneller geköpft und verbrannt, als er sie verzeichnen kann.
"Würzburg" wird zum Synonym der Verfolgung
In Würzburg und den umliegenden Dörfern sterben Hunderte Menschen. Bei den öffentlichen Hinrichtungen hören die Schaulustigen von schier unglaublichen Verbrechen. Eine Hebamme etwa gibt zu, sie habe mehr als 200 Neugeborenen die Hirnschalen eingedrückt. Niemand traut mehr dem anderen, jeder scheint verdächtig. Die Prozesse beruhigen die Menschen nicht – im Gegenteil. Sie steigern noch die Angst. Und kein Ende ist in Sicht.

Die meisten der unzähligen Hinrichtungen fanden auf dem Platz vor der Würzburger Marienkapelle (links im Bild) statt
Was sich in diesen Jahren am Main ereignet, zählt zu den größten Hexenjagden in ganz Europa. So schlimm sind die Exzesse, dass das Wort "Würzburg" bald stellvertretend für besonders fanatische Verfolgungen steht. Denn in dem unterfränkischen Bistum erreicht die Dynamik aus Anschuldigungen, Folter und immer neuen Denunziationen eine tödliche, ja beinahe teuflische Perfektion.
Anfang des 17. Jahrhunderts geht in der Bischofsstadt schief, was nur schiefgehen kann. Und doch: Die mörderische Massenhysterie, die Würzburg heimsucht, erscheint bis heute rätselhaft. Warum ausgerechnet Unterfranken? Wieso leidet dieses Bistum so sehr, während benachbarte Orte verschont bleiben? Was treibt die Menschen dazu, sogar Vertrauten des Bischofs zu unterstellen, diese seien mit dem Teufel im Bunde? Und warum enden die Hinrichtungen so plötzlich?
Gegenreformation und Lückenlose Kontrolle
Das Beispiel Würzburgs zeugt von der Krise, die Europa zu dieser Zeit erfasst, sowie von der Sehnsucht der Menschen nach Erlösung von dem Bösen. Dennoch müssen in der Stadt erst noch weitere Faktoren hinzukommen, damit die Katastrophe ihren Lauf nimmt.
Seit 1573 regiert der katholische Fürstbischof Julius Echter am Main. Der machtbewusste Mann mit dem rotblonden Haar zählt zum kleinen Kreis der Herrscher, die den deutschen Kaiser wählen. Echter ist ein Reformer: Er lässt Schulen, Kirchen und ein Spital bauen und saniert zugleich die Finanzen.