Ingrid Liebs, 68, und die Redaktion von stern Crime kennen sich seit mehr als sechs Jahren. Damals berichtete stern Crime in einem umfangreichen Artikel über den ungelösten Mord an Frauke Liebs. In den Jahren darauf blieb der Kontakt zwar bestehen, doch Ingrid Liebs signalisierte, dass sie keine weitere Berichterstattung wünsche. Sie habe sich geschworen, dass zehn Jahre nach dem Tod ihrer Tochter, also 2016, Schluss sein müsse mit der Suche.
Doch im vergangenen Jahr änderte sich ihre Sicht auf die Dinge: Ingrid Liebs stellte eine Website (www.frauke-liebs.de) ins Netz, um an das Verbrechen an ihrer Tochter zu erinnern und Zeugen anzusprechen. Mit der Unterstützung eines Stifters lobte sie eine Belohnung aus. Und in den Gesprächen mit stern Crime äußerte sie die Hoffnung, dass eine erneute Berichterstattung bei der Aufklärung des Mordes helfen könnte.
So entstanden im Lauf dieses Jahres ein 100-minütiger Dokumentarfilm (ab sofort bei RTLplus und am 24.11., 20.15 Uhr, bei VOX), Artikel im stern und in stern Crime und diese Webseite. Im kommenden Jahr soll ein Serien-Podcast zum ungelösten Mord an Frauke Liebs erscheinen.
Frau Liebs, wir haben Sie über Monate mit der Kamera begleitet. Sie waren mit uns dort, wo man damals den Leichnam Ihrer Tochter gefunden hat. Wir haben gespürt, wie unwohl Sie sich in diesem Wald fühlten. Warum nehmen Sie das auf sich?
Nicht, weil es mir Spaß macht, in die Öffentlichkeit zu treten oder weil ich es angenehm finde. Ich habe die Hoffnung, dass jemand, der absichtlich oder unabsichtlich zum Mitwisser geworden ist, heute so weit ist, dass er mir etwas erzählt. Der Film und das gesamte Projekt sind der letzte Versuch, das ganze Geschehen aufzuklären. Wenn es dieses Mal nicht gelingt, dann gebe ich auf. Dann muss ich mit den Fragezeichen irgendwie weiterleben.
2016 sagten Sie, es sei Schluss. Was ist heute anders?
Damals habe ich mir gesagt: Ich will nicht mehr und ich kann nicht mehr. Aber jetzt ist es anders: Ich habe alle Kraft und Zeit dafür investiert. Dabei hat mir geholfen, dass ich heute in Pension bin. Und dass ich nicht allein bin. Es haben sich alle, die damals in irgendeiner Form beteiligt waren, zusammengefunden und gesagt: Jetzt probieren wir es noch einmal. Und davor habe ich alle Achtung, denn ich weiß, dass das allen sehr viel Kraft gekostet hat.
Wie ist es bei Ihnen?
Ich schlafe vor jedem Interview schlecht und ich gebe mir Mühe, denn ich möchte tatsächlich jemanden ansprechen, jemanden berühren, in der Hoffnung, dass er sieht, wie schlimm die Folgen des Geschehens sind und die Folgen dessen, dass ich immer noch nicht weiß, was wirklich geschehen ist und warum. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich nicht an Frauke denke und mich frage: Was war wirklich los?
Geht es Ihnen um Strafe?
Ich bin kein rachsüchtiger Mensch. Ich möchte Antworten haben, wissen, wer ist schuld, was ist passiert, warum ist das passiert. Das ist es, was im Vordergrund steht.
Was wünschen Sie sich?
Ich hoffe, dass jemand, der etwas weiß, der etwas Konkretes gesehen hat, der vielleicht einen Namen nennen kann, sich bei mir meldet, so dass darüber dann tatsächlich Aufklärung möglich ist. Ich wünsche mir, dass dieser Mensch den Mut besitzt, mich zu kontakieren, mich anzurufen, sich mit mir zu treffen oder mir zu schreiben.
Wie hat sich Ihr Leben verändert durch das, was geschehen ist?
Ich habe das Vertrauen darin verloren, dass alles letztlich wieder gut wird. Ich kann auch mit einem Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ nicht wirklich umgehen. Die Zeit verändert Wunden, aber sie heilt sie nicht.
Weil die Fragen Sie immer wieder einholen?
Es ist eine quälend bohrende Frage: Was ist eigentlich passiert? Und manchmal kommt auch der Gedanke: Mensch, warum hat sie damals ihr Auto nicht mitgenommen, vielleicht wäre das dann nicht passiert? Oder hätte ich selbst noch mehr tun können, um das zu verhindern? Ich glaube, Antworten würden mir helfen, mehr ins Reine mit mir zu kommen.
Wie schauen Sie auf Ihr Leben?
Wenn ich vielleicht in zehn Jahren noch einmal zurückschaue auf mein Leben, dann hätte ich mir gewünscht, dass ich drei Kinder gehabt hätte, die mich besuchen kommen – so wie die zwei, die mir geblieben sind. Dass es vielleicht sogar Enkelkinder gegeben hätte, nicht nur von einem meiner beiden anderen Kinder, sondern auch von Frauke. All diese Dinge, die ich immer für möglich gehalten habe, solange Frauke gelebt hat.
Stellen Sie sich manchmal vor, was wäre, wenn es nicht passiert wäre?
Manchmal rede ich in Gedanken mit Frauke drüber. Ich weiß, dass Frauke ihre Familie gern hatte. Ich denke, ihr Bestreben wäre es gewesen, eine eigene Familie zu gründen, Kinder zu haben, natürlich einen Hund dabei, also ein ganz normales Leben zu führen. Und wenn ich dann mit ihr darüber rede, bin ich traurig, dass sie ihre Träume nicht verwirklichen konnte. Denn ihre Träume waren auch ein bisschen meine Träume.
Suchen Sie die Antworten für sich?
Ich suche für mich, und ich weiß, dass auch meine Kinder gerne Antworten hätten. Ich möchte verstehen, was geschehen ist, auch aus Verbundenheit Frauke gegenüber.
Glauben Sie, dass der Täter* dies hier liest?
Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es. Und ich hoffe, dass er sich auf den Weg macht, reinen Tisch zu machen. Ich denke, es ist kein Täter ohne Gewissen, denn er hat Frauke zwar alle Gegenstände genommen, aber er hat ihr eine Kette mit einem Kreuz gelassen. Und ich denke, ein Täter, der kein Gewissen hat, der hätte das weggenommen.
Was würden Sie ihm sagen?
Ich würde sagen: Reden Sie, sagen Sie, geben Sie eine Antwort und machen Sie damit zwar die Sache nicht wieder gut, aber helfen Sie uns, damit umzugehen.
Sachdienliche Hinweise an das Polizeipräsidium Bielefeld: 0521/ 545-0
Oder an Fraukes Mutter Ingrid Liebs: www.frauke-liebs.de
* Aus Gründen der Lesbarkeit belassen wir es in allen Berichten zum Fall Frauke Liebs bei der männlichen Form. Es ist aber unklar, ob es sich um einen Täter, eine Täterin oder mehrere Täter handelt.
Die Zitate in diesem Beitrag entstammen teilweise aus Videointerviews, die für die RTL-Plus-Dokumentation „Der letzte Anruf. Wer hat Frauke Liebs getötet?“ geführt wurden. Aus Gründen der Lesbarkeit wurden sie stellenweise redaktionell bearbeitet.