Das weiße Haar ordentlich gekämmt, in dunkelblauem Anzug, weißem Hemd und hellblauer Krawatte erscheint Julian Assange am Mittwochmorgen vor dem High Court in London. Am Revers eine rote Mohnblume, die an die Opfer des Ersten Weltkriegs erinnert. Eine Traube aus Menschen - Journalisten, Unterstützer und Gegner - umringt ihn. Noch 20 Minuten, dann wird das Gericht mitteilen, ob der Wikileaks-Gründer nach Schweden ausgeliefert werden darf. Assange scheint zuversichtlich. Wortlos, aber erhobenen Hauptes und mit einem selbstsicheren Blick bahnt er sich seinen Weg durch die Menge.
Das Urteil war für 10.45 Uhr angekündigt - und schon wenige Minuten später dringt der Beschluss von Richter Sir John Thomas und Richter Ouseley an die Öffentlichkeit: Julian Assange darf von Großbritannien an Schweden ausgeliefert werden. Assanges Argument, dass der schwedische Haftbefehl wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung von einem Staatsanwalt und nicht von einem Gericht ausgesprochen wurde, ließen sie nicht gelten. Auch bügelten sie das Argument, Assange könne in Schweden nicht mit einem fairen Prozess rechnen, ab.
Kurzes Statement - und zurück in den Hausarrest
Nach dem Urteil zog sich Assange mit Anhängern und Unterstützern in ein Gerichtscafé zurück. Sein schwedischer Anwalt, Björn Hurtig, war von dem Richterspruch wenig überrascht. "Das ist natürlich traurig, aber so funktioniert das internationale Rechtssystem", sagte Hurtig der schwedischen Tageszeitung Svenska Dagbladet. Der Verteidiger rechnet damit, dass Assange früher oder später ausgeliefert wird.
Damit rechnet auch Claes Borgström, Anwalt der beiden Frauen, die Assange beschuldigen. Borgström sieht die Berufung als reine Verzögerung. Eine Auslieferung nach Schweden sei unausweichlich. Seine beiden Klientinnen fühlten sich nach dem Gerichtsurteil erleichtert, so Borgström zur schwedischen Agentur TT. Die Ungewissheit der letzten Monate sei schwer gewesen.
Assange von Urteil enttäuscht
In einem ersten kurzen Statement auf den Stufen des Gerichts erklärte Assange, er werde in den kommenden Tagen die nächsten Schritte erwägen. Er zeigte sich enttäuscht, dass das Gericht die Fakten bezüglich der Vergewaltigungsvorwürfe nicht in Betracht gezogen habe. Der 40-Jährige wies auf die Homepage www.swedenvsassange.com hin, auf der er seine Sicht der Dinge darlegt. Dann entschwand er in einem Taxi - zurück in den Hausarrest.
Assange hat nun eine weitere Berufungsmöglichkeit vor dem Supreme Court. Seine Anwälte deuteten bereits an, sie würden die Frist von 14 Tagen, die ihnen dafür bleibt, ausschöpfen. Sollte der Australier die Möglichkeit nicht wahrnehmen oder das höchste Gericht den Fall nicht annehmen, könnte Assange binnen 14 Tagen nach Schweden geflogen werden. Nach britischem Recht ist eine neuerliche Berufung nur möglich, wenn an einem Fall ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Sollte der Supreme Court den Fall abweisen, will Assange sich an ein EU-Gericht wenden, wie er bereits vor Wochen erklärt hatte. Wenn sich zunächst das höchste britische Gericht mit dem Fall beschäftigt, wird wohl erst im kommenden Jahr ein Urteil fallen.
Der dritte Haftbefehl führte zur Verhaftung
Assange werden in Schweden Sexualstraftaten vorgeworfen. Er soll im August 2010 Sex mit zwei Frauen gehabt haben. Ohne die Einwilligung der Frauen soll der Geschlechtsverkehr ungeschützt gewesen sein. Das kann in Schweden als Vergewaltigung gewertet werden.
Daher hatte eine Staatsanwältin einen Haftbefehl ausgestellt, der wenige Stunden später zurückgezogen wurde. Die Staatsanwaltschaft in Stockholm ermittelte jedoch weiter, stellte im November einen internationalen Haftbefehl aus. Assange war zu diesem Zeitpunkt abgetaucht. Man vermutete den Australier zu recht in England.
Bislang keine Anklage gegen Assange
Im Dezember 2010 wurde Assange dann in London verhaftet. Zwei Monate saß er in Untersuchungshaft, wurde dann auf Kaution freigelassen und unter Hausarrest gestellt. Seitdem lebt er auf dem Hof Ellingham Hall in Norfolk und ist dort Gast von Vaughan Smith, dem Gründer des Frontline Clubs. Assange trägt eine Fußfessel, muss sich täglich bei der Polizei melden und um 22 Uhr zu Hause sein.
Der Wikileaks-Gründer hat die Vorwürfe stets bestritten. Er sieht in dem Vorfall einen politischen Komplott gegen ihn und seine Enthüllungsplattform. Bislang gibt es keine Anklage, im Haftbefehl ist die Rede von einem Verhör in Schweden. Assange fürchtet eine Auslieferung von Schweden in die USA. Dort seien weder Folter noch Todesstrafe ausgeschlossen, meint er. Seine Plattform Wikileaks hatte Tausende vertrauliche Unterlagen unter anderem aus US-Botschaften an die Öffentlichkeit gebracht. Die letzte große derartige Aktion fand im November 2010 statt. 250.000 Depeschen aus US-Botschaften wurden in Zusammenarbeit mit Medienpartnern veröffentlicht.
Wie und ob überhaupt die Enthüllungsseite fortbestehen wird, ist fraglich. Zuletzt hatte Wikileaks angekündigt, dass bis auf Weiteres keine Enthüllungen veröffentlicht werden. Es fehlt schlichtweg das Geld, nachdem amerikanische Kreditkartenunternehmen Spendengelder nicht mehr an Wikileaks weiterreichen.