Neonleuchten unter der niedrigen Betondecke. Im Halbdunkel geparkte Autos, ein Plastikband, auf dem "Polizeiabsperrung" steht. Dahinter schießt ein roter Laserstrahl von einem Stativ durch die Garage. Rotiert über den ölgefleckten Boden bis zu einem silbernen 5er BMW mit offener Heckklappe. Wandert langsam zu der aufgerissenen Fahrertür und weiter zu einer schwarzhaarigen Frau, die hinter dem Steuer zusammengesunken ist. Leblos. Tatort Tiefgarage. Gestalten in weißen Plastikanzügen markieren mit Nummern die Spuren auf dem Boden und schleppen einen Koffer mit Spezialwerkzeug heran, um DNA-Material und Fasern zu sichern. Erhard Wedhorn beugt sich über den Laptop unter der Laserkanone, in den ein Strom von Daten fließt. "Damit können wir den Tatort virtuell einfrieren", sagt der Kriminalhauptkommissar, "bis hundert Meter Reichweite vermessen wir alles millimetergenau. Und mit einer speziellen Software zaubern wir später daraus einen Grundriss, in dem man wie in einem Computerspiel rumspazieren kann."
Noch ist die Wunderwaffe beim Bundeskriminalamt (BKA) neu, und die Szene in der Tiefgarage, die wie ein Raubmord in einem Thriller aussieht, ein Test. Aber der 3-D-Laser mit 700 Nanometer Wellenlänge war auch schon im "heißen" Einsatz: beim Massaker im niedersächsischen Sittensen, dem sieben Asiaten zum Opfer fielen. Dort tastete sich der rote Strahl über Tische und Tresen, über Blutlachen und Leichen im Chinalokal "Lin Yue" - Premiere für den rotierenden Roboter, der das Grauen cool und dreidimensional bis in den letzten Winkel dokumentiert. Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden rüstet auf. Gerade seine Spurenleser, immer an vorderster Front, wenn es wirklich brennt - nach RAF-Anschlägen, nach dem Amoklauf Robert Steinhäusers in Erfurt, nach dem islamistischen Mordanschlag auf deutsche Touristen auf Djerba -, bekommen neue Tools, um Täter elektronisch einzukreisen. Die "Spürhunde" der Tatortgruppe sollen nicht nur wie vor hundert Jahren mit Rußpulver Fingerabdrücke bepinseln.
Wiesbaden ist auf dem Vormarsch
Nicht bloß mit einem Nebel aus Luminol Mordwaffen bedampfen, damit unsichtbares Blut leuchtet. Sie sollen jetzt zum Beispiel auch empfindliche Eindruckspuren in der Erde so sichern können, dass sie nicht zerstört werden: mit einem Atos-Oberflächen-Scanner, der mit Licht arbeitet statt mit Gips. Während früher ein Fuß- oder Reifenabdruck im Matsch mit der weißen Masse ausgegossen und dadurch oft beschädigt wurde, surren jetzt zwei Kameras an einem ultrahellen Lichtstrahl entlang, um die Reflektionen am Boden aus unterschiedlichen Winkeln zu messen. "Der Streifenlichtscanner erfasst das dreidimensional, eine feine, berührungslose Sache", schwärmt Kommissar Wedhorn, "wir können damit zum Beispiel auch ein eingeschlagenes Schädeldach aufnehmen. Oder Bissspuren, die der Mörder in einem Apfel zurücklässt. Und demnächst, verbunden mit Computertomografie, durch eine komplette Leiche zoomen und so den Schusskanälen nachgehen." Schöne neue Kriminalistenwelt - im Hochsicherheitstrakt der Wiesbadener Verbrechensjäger ist Hightech immer weiter auf dem Vormarsch.
Hinter hohen, mit Stacheldraht bewehrten Zäunen und Bewegungsmeldern arbeiten 300 Spezialisten aus 60 Berufen: Physiker, die an einem weltweit einzigartigen Rasterelektronenmikroskop Geschosspartikel bis zu 100.000-fach vergrößern. Ingenieure, die mit einer "Ionensäge" die Chips manipulierter Auto-Wegfahrsperren zerlegen. Chemiker, die winzigste Textilreste durch das Mikrospektralphotometer auf ihre Farbe analysieren, und Biologen, die unscheinbare Bodenkrümel auf ihre exakte Herkunft prüfen. "Unser Job ist es, stumme Zeugen zum Sprechen zu bringen", sagt Gottfried Vordermaier, Leiter des Kriminaltechnischen Instituts. Vordermaier sitzt im obersten Stock eines schmucklosen Allerweltbaus, in dem ein paar Zierpflanzen auf verlorenem Posten gegen einen 20 Millionen Euro teuren Maschinenpark stehen. Der nüchterne Beamte mit dem messerscharf gestutzten Bart gerät ins Träumen, wenn er von der Technik spricht: "Da wird manches möglich werden, das Sie sich heute noch nicht vorstellen können. Wir sind an einer Untersuchungsmethode dran, bei der uns die Isotopen Ihrer Haare verraten, ob Sie gestern Fisch gegessen haben oder vor ein paar Monaten in Afghanistan waren."
"Die digitale Welt hat ein Gedächtnis wie ein Elefant"
Aber das alles, sagt Vordermaier, sei natürlich nicht ganz so einfach wie in der US-Fernsehserie "CSI", sondern zeitraubende Kleinarbeit. "Der Sachbeweis wird immer wichtiger, weil Sie gerade beim Terrorismus oder bei der organisierten Kriminalität kaum noch Aussagen kriegen. Im Verfahren gegen die Kölner Kofferbomber waren über ein Dutzend Fachbereiche des BKA involviert." Zum Beispiel KI 22, der "Bildverbesserungsservice". Ohne diese Optik-Experten wären die beiden Libanesen wohl nicht gefasst worden, die im Juli 2006 Koffersprengsätze in Regionalzügen hochgehen lassen wollten. Die Ermittler hatten nur verschwommene Videos aus Überwachungskameras im Kölner Hauptbahnhof. Durch eine Vermehrung der Pixel per Computer konnten die IT-Experten die Bilder so scharf konturieren, dass ein Mann im Fußball-Shirt mit der Rückennummer 13 erkennbar wurde. Nach der TV-Fahndung ging er ins Netz. "Unsere Aufgabe ist es, Datenmüll lesbar zu machen, und da müssen wir manchmal puzzeln", sagt Jürgen Fuchs, der in einem mit Rechnern gespickten Raum sitzt. Auf einem Bildschirm setzt er 30 Einzelfotos aus der Videokamera eines Gelsenkirchener Nachtclubs so zusammen, dass er daraus das Porträt eines Schutzgelderpressers filtern kann.
Den Männern von KI 22 gelang es auch, eine Aufnahme des mutmaßlichen Kinderschänders "Vico" so zu entzerren, dass Interpol ihn in Thailand fassen konnte. Der Kanadier Christopher Paul N. hatte Bilder von sich ins Internet gestellt - allerdings mit elektronisch verwirbeltem Gesicht. So hielt er sich anscheinend für unerkennbar. "Wir haben Wochen gebraucht, um sein Porträt mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl zu rekonstruieren", sagt Bernhard Schneider, Vizechef der Gruppe Technologien. "Wir haben auch schon Fotos auf Handys hervorgezaubert, die nicht mehr gespeichert schienen. Alles noch da! Die digitale Welt hat ein Gedächtnis wie ein Elefant." In ihrem abgeschirmten Rechenzentrum sitzen die Spezialisten zwischen Batterien von Boards und Prozessoren. "Sieht aus wie bei Media-Markt", spottet einer, "ist aber feiner": An Mikro-Kontaktier- Tischen, erschütterungsfrei auf Luftpolstern gelagert, stoßen die Tüftler mit elektronischen Pinzetten in die tiefsten Innereien von Chips vor. Verfolgen das mehrstöckige Leitungsgewirr, das auf dem Bildschirm wie eine planetarische Superstadt aussieht.
Verknüpfen unvorstellbar winzige Datenbahnen. "Wir untersuchen die Signale, mit denen sich Computer unterhalten", sagt Thomas Willkomm, einer der IT-Bastler in Slippern und Jeans. Mit der digitalen Schatzsuche half er, den Mord an zwei Kindern bei Eschweiler aufzuklären. Der elfjährige Tom und seine neunjährige Schwester Sonja waren beim Spielen auf einer Schlackenhalde entführt und erdrosselt worden. Als die Kripo zwei Männer unter Verdacht hatte, fand man in einem Mülleimer in der Nähe eine weggeworfene Diskette, die zerknickt und stark verschmutzt war. "Wir haben hier im BKA die Scheibe aus der Hülle geholt, unter Hitze einigermaßen glatt gepresst und mit ein paar Tricks bestimmte Sektoren wieder lesbar gemacht", sagt Willkomm. Was da plötzlich auf seinem Bildschirm flimmerte, waren Fragmente einer Datei mit dem Namen "Der absolute Wahnsinn". Einer der Täter, ein 33-jähriger Hausmeister, hatte nach dem Doppelmord in seinen Computer getippt: "Ursprünglich wollten wir einen Kindersexring aufbauen und betreiben. Wir sind der Meinung, das man mit legalen Mitteln auf keinen grünen Zweig mehr kommt." In einem grausigen Protokoll beschrieb er dann, wie er mit seinem Freund, einem 28-jährigen Elektroniker, das Mädchen stundenlang missbraucht hatte, nachdem der Bruder schon erwürgt worden war.
"Maden sind unbestechliche Zeugen"
Die rekonstruierte Floppy Disk wurde zum perfekten Beweismittel und trug auch zur Verhängung der Höchststrafe bei - wegen "besonderer Schwere der Schuld". Nicht mit Bits und Bytes, sondern mit anderen kleinen Biestern hat Frank Reckel zu tun. Der Biologe gehört zu der ganz besonderen Spezies von Forschern, die mit Maden auf Mördersuche gehen. Forensische Entomologie heißt ihre Wissenschaft, bei der Insekten die Geheimnisse einer Leiche verraten. Dafür hat Reckel, der beim Bayerischen Landeskriminalamt arbeitet, einen Versuch gemacht, mit dem er sogar dem BKA voraus ist: Er hat nach dem Muster der "Body Farm", der FBI-"Leichen-Farm" im amerikanischen Quantico, in München ein totes Schwein ausgelegt. "Wenn eine Leiche sehr blutig ist, sind die Weibchen innerhalb von Minuten da", sagt Reckel, während er vor einer Kollektion aufgespießter Schmeißfliegen in seinem Labor steht, "die wittern das über viele Kilometer." Diese Erfahrung machte er auch, als er und seine Kollegen im Sommer vergangenen Jahres das Versuchstier auf einem abgesperrten Gelände am Olympiastadion der Hitze überließen.
"Je nach Temperatur und Feuchtigkeit kommen Stuben- und Fleischfliegen, später Käfer, und aus abgelegten Eiern schlüpfen Abertausende von Maden." Sicher, auch für ihn sei es eine Überwindung gewesen, die Zersetzung über Wochen zu beobachten. "Aber wir lernen daraus. Der Fortschritt der Besiedelung und Skelettierung lässt ziemlich genaue Rückschlüsse auf eine Leichenliegezeit zu." Frank Reckel erinnert sich noch genau, wie der Mord an zwei Georgiern in einem Frankfurter Wäldchen mithilfe von Entomologen aufgeklärt wurde. Durch den Nachweis von sechs Fliegenfamilien konnte man den Zeitraum eingrenzen, in dem die Toten im Gehölz gelegen hatten. Konnte einen Landsmann ermitteln, der damals mit ihnen zusammengelebt hatte. Konnte ihn vernehmen und überführen. "Maden sind unbestechliche Zeugen", sagt der Münchner Insektenjäger, "ich hab schon welche in einer Maus gefunden, die angeblich ein Kabel durchgebissen und so einen Hausbrand verursacht haben sollte. Pech für den Brandstifter, dass sich damit nachweisen ließ, dass die Maus längst tot war."
Nachweismethoden machten im vergangenen Jahrzehnt einen Quantensprung
Konservierte Fliegenlarven, Puppen in Alkohol, Prachtkerle grünlich schimmernder Käfer - das Gruselkabinett, das Frank Reckel beherbergt, ist nur ein Teil im Reich der Spuren, die Wissenschaftler im Bayerischen Landeskriminalamt zum Reden bringen. Ein paar Türen weiter wird unter einem riesigen Vergleichsmikroskop ein Rehhaar einem Kaninchenhaar gegenübergestellt, um einen vorgetäuschten Wildunfall zu entlarven. Nebenan prüft eine Chemikerin die Glühwendel einer Pkw-Lampe, um an der Verformung festzustellen, ob der Scheinwerfer beim Crash des Wagens gebrannt hat. Ein anderer Spezialist untersucht per Infrarot einen Autolacksplitter, um den Wagen eines Unfallflüchtigen zu finden, während ein weiterer den THC-Gehalt im Haar eines Haschischrauchers analysiert. Nicht nur in München oder in Wiesbaden, auch bei den meisten Landeskriminalämtern haben die Nachweismethoden im vergangenen Jahrzehnt einen Quantensprung gemacht. So reichen heute wenige Milligramm eines Trümmers vom Schauplatz eines Bombenattentats, um die Zusammensetzung des Sprengstoffs zu ermitteln. Der "genetische Fingerabdruck", etwa aus Hautschuppen, überführt inzwischen Mörder, die sich Jahrzehnte sicher wähnten.
Und das BKA setzt jetzt bereits die DNA-Analyse von Tierhaaren ein, sodass schon ein einzelnes verschlepptes Hunde- oder Katzenhaar ein wichtiges Indiz bei einem Verbrechen werden kann. Sogar der Gen-Code von Pflanzen hatte bereits seine forensische Premiere. Es war ein vertrocknetes Eichenblatt, das einen hoffnungslos erscheinenden Mordfall aus Wuppertal aufklären half. Im November 1998 fand die niederländische Polizei in einem Wald bei Venlo neben einer Straße die Leiche einer 30-jährigen Afrikanerin. Indizien führten schnell zu ihrem Ehemann, mit dem sie in Wuppertal im Streit gelebt hatte. Doch mangels Beweisen kam der Mann aus Togo aus der U-Haft frei. Fünf Jahre später lieferte ein Wuppertaler Kripo-Mann, der den Fall wieder aufrollte, im BKA ein unscheinbares Eichenblatt ab, das gleich nach der Tat im Kofferraum des Verdächtigen sichergestellt worden war. Ein Job für Uwe Schleenbecker im Kriminaltechnischen Institut: Konnte er nun feststellen, ob dieses Blatt aus Venlo war? Schleenbecker, Biologe im Fachbereich Pflanzen-, Tier- und Bodenspuren, beriet sich mit Botanikexperten der Uni Marburg.
Überführung aufrgrund eines Eichenblattes
Experimentierte mit Laub, um eine eigene Untersuchungsmethode zu entwickeln. Reiste nach Venlo, wo er Blätter von Eichen pflückte, die in der Nähe der Stelle wuchsen, wo die Leiche gefunden worden war. Dann zermahlte er dieses Material zu Pulver, löste die Zellen auf, isolierte und reinigte die empfindliche DNA. Nach endlosen Stunden mit Pipetten, Küvetten und einem surrenden Monster namens Kapillar-Elektrophoresegerät konnte er das Blatt aus dem Kofferraum mit Proben von 41 Bäumen in Venlo vergleichen. An einem Samstagabend, als er allein in seinem Labor war und sich über die Peaks der ausgedruckten Kurven beugte, machte es plötzlich Bingo: "Spur 102". Das Eichenblatt aus dem Kofferraum entsprach exakt dem Baum "S 10", der unmittelbar neben der erdrosselten Afrikanerin gestanden hatte. "Schon ein Triumph", sagt Schleenbecker leise. Der Mann aus Togo bekam wegen Totschlags acht Jahre Haft.