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"Verrottete frauenfeindliche Kultur" Londoner Beamter wegen Dutzender Vergewaltigungen verurteilt – der Skandal in der Polizei könnte sich noch kräftig ausweiten

Zwei "Bobbys" der Londoner Polizei auf Streife
Zwei "Bobbys" der Londoner Polizei auf Streife (Archivbild)
© Friso Gentsch / DPA / Picture Alliance
Der Fall eines Londoner Polizisten, der Dutzende Vergewaltigungen zugegeben hat, könnte nur die Spitze des Eisbergs sein. Zehntausende Beamtinnen und Beamte sollen nun überprüft werden. Kritiker beklagen eine frauenfeindliche und rassistische Kultur in der Behörde.

Der Fall sorgt für Entsetzen in Großbritannien – und könnte noch deutliche weitere Kreise ziehen. Ein Londoner Polizist hat vor Gericht 24 Vergewaltigungen und weitere sexualisierte Übergriffe gegen zwölf Frauen gestanden (der stern berichtete). Nach Angaben der Ermittler soll er seinen Beruf ausgenutzt haben, um das Vertrauen seiner Opfer zu gewinnen. Er sei "angewidert und entsetzt", kommentierte der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan die Taten.

Londoner Metropolitan Police massiv in der Kritik

Ein Strafmaß gibt es noch nicht, klar ist aber, dass die Metropolitan Police reagiert hat: Der Beamte ist seit Herbst seinen Job los. Doch die Reaktion der Behörde kam spät. Zu spät, wie die Polizeiführung nun einräumte. Es habe bereits vor dem Eintritt des heute 48-Jährigen in den Polizeidienst Vorwürfe wegen häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen und Belästigung gegeben. Auch in seiner Dienstzeit gab es Beschwerden – Konsequenzen Fehlanzeige. "Wir hätten sein Verhalten bemerken müssen, und weil wir das nicht getan haben, haben wir die Gelegenheit verpasst, ihn aus dem Verkehr zu ziehen", sagte eine Vertreterin der Londoner Polizeibehörde.

Die Metropolitan Police steht nach einer Reihe von Skandalen ohnehin massiv unter Feuer. Für Empörung sorgte unter anderem die Entführung, Vergewaltigung und Ermordung einer Frau durch einen Polizisten im März 2021.

Doch dieser und der jüngste Fall könnten nur die Spitze des Eisbergs sein, wie etliche britische Medien berichten. "Mehr als 1000 Beamte, denen häusliche Gewalt und Sexualdelikte vorgeworfen werde, sollen überprüft werden", titelt zum Beispiel "The Telegraph". Die Metropolitan Police bestätigte die großangelegte Untersuchung zu möglichen Straftaten ihrer Beamte und nannte die Zahl von insgesamt 1600 Fällen.

Die auch "Met" genannte Behörde ist die Polizei der Region London – Touristen vor allem durch die "Bobbys" genannten Streifenpolizisten bekannt. Allerdings unterhält sie auch Kriminalpolizeieinheiten, Verkehrsbeamte und alle weiteren Abteilungen einer Großstadtpolizei. Insgesamt versehen rund 44.000 Männer und Frauen in der "Met" ihren Dienst.

Die bereits bekannten Fälle offenbaren laut Harriet Wistrich eine "eine zutiefst verrottete frauenfeindliche Kultur" in der Londoner Polizei. Die 63-jährige Juristin und Feministin ist Mitgründerin der Vereinigung "Justice for Women", die sich für Frauenrechte einsetzt. Sie sagte dem "Guardian": "Das Versäumnis, den Beamten vom Dienst zu suspendieren oder gegen ihn wegen Fehlverhaltens zu ermitteln, nachdem Berichte von Frauen bekannt wurden (...) spiegeln genau die Probleme wider, die wir identifiziert haben." Sie meint damit auch: eine jahrzehntelange Kultur des Wegschauens.

Polizeichef will aufräumen

"Met"-Chef Sir Mark Rowley stimmte ihr zu: "Durch eine Kombination aus schwacher Politik und schwachen Entscheidungen haben wir in den 20 Jahren Gelegenheiten verpasst, den Beamten aus dem Dienst zu entfernen", sagte er der BBC. 

Rowley kam erst vor wenigen Monaten in das Amt an der Spitze der Londoner Polizei. Er war auch angetreten, das ramponierte Image seiner Behörde zu polieren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Beamtinnen und Beamte zurückzugewinnen. Aufgaben, die nach dem jüngsten Skandal nicht einfacher werden. "Ich verstehe, dass dies dazu führen wird, dass sich einige Frauen in ganz London fragen, ob sie der 'Met' vertrauen können."

Einem bereits kurz nach Rowleys Amtsantritt veröffentlichten Untersuchungsbericht zufolge sind viele Fälle mutmaßlicher Belästigungen oder anderer Fehlverhalten von Beamten im Sande verlaufen. Hunderte Verfahren liefen noch. "Es muss Hunderte Leute geben, die nicht mehr hier sein sollten, die rausgeworfen werden müssten", sagte der Polizeichef damals. Die für den Bericht zuständige Oberhaus-Abgeordnete Louise Casey attestierte der "Met" unter anderem systematischen Rassismus und Frauenfeindlichkeit.

Die anstehenden erneuten Überprüfungen von mehr als 1000 Polizisten soll nun der Befreiungsschlag für die Londoner Polizei werden – und kann womöglich weiteren Opfern Gerechtigkeit verschaffen. Deren Vertreter glauben, dass noch weitere Straftaten ans Licht kommen.

"Met"-Chef Rowley will sogar noch weitergehen. Er kündigte laut BBC an, alle 45.000 Mitarbeitenden seiner Behörde auf bislang übersehene Straftaten überprüfen zu wollen. "Wir haben bisher nicht die gleiche Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt, um unsere eigene Integrität zu schützen, wie wir sie routinemäßig bei der Auseinandersetzung mit Kriminellen anwenden." Dies solle sich nun ändern.

Auch die britische Innenministerin Suella Braverman forderte weitere Anstrengungen, kriminelle und korrupte Beamte aus dem Polizeidienst zu entfernen – auch wenn dies "bedeuten könnte, dass kurzfristig weitere schockierende Fälle ans Licht kommen".

Quellen: "Metropolitan Police", "The Telegraph"(kostenpflichtiger Inhalt), "The Guardian", BBC, Nachrichtenagenturen DPA und AFP

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